1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Krieg im Kopf

Naomi Conrad9. November 2015

Sie berichten von Selbstmordattentaten, Drohnenangriffen und Folter, geben den Opfern eine Stimme. Doch wer hört den Krisenreportern zu? Ein Traumazentrum in Peschawar schafft die dringend notwendige Anlaufstelle.

https://p.dw.com/p/1H0dB
Bombenanschlag im Nordwesten Pakistans (Foto: PPI)
Bild: PPI Images

An das erste Selbstmordattentat, das er miterlebte, sagt der Journalist, könne er sich noch ganz genau erinnern. Damals, vor etwa zehn Jahren, habe sich ein junger Mann vor einer Dorfschule in die Luft gesprengt. Er sei sofort losgerannt, als er die Explosion hörte: "Da lagen Leichenteile, überall war Blut." Der Journalist starrt auf seine Hände, macht eine kurze Pause, schluckt und redet dann weiter. Ein Bild könne er einfach nicht vergessen, so sehr er es auch gerne aus seiner Erinnerung löschen würde. Die braune Schultasche, die auf dem Boden lag, daneben eine abgetrennte Hand. "Die Hand war so klein", sagt er mit leiser, rauer Stimme.

Der Journalist, heute 34 Jahre alt, arbeitet in den Stammesgebieten im Nordwesten Pakistans, dem Rückzugsgebiet von Al-Kaida, den afghanischen und pakistanischen Taliban und Drogenbanden. Von hier aus zu berichten, bedeutet, Selbstmordattentate, Drohnenangriffe, Folter und Entführungen zu dokumentieren. Aber auch selbst zur Zielscheibe zu werden, beispielsweise durch Morddrohungen von Extremisten. "Der Stress ist immens", sagt der Journalist, der anonym bleiben möchte. Er arbeitet seit 15 Jahren als Reporter für internationale Printmedien in den Stammesgebieten. In dieser Zeit starben 13 seiner Kollegen, viele von ihnen wurden ermordet, sagt er.

Traumatisierte Reporter

Gibt es freie Berichterstattung in den Stammesgebieten? Er zuckt die Schultern. Wer überleben wolle, erzähle nicht jede Geschichte und nicht immer die ganze Wahrheit. "Keine Geschichte ist es wert, für sie zu sterben."

Fast alle Reporter in den Stammesgebieten hätten mit psychischen Problemen zu kämpfen: "Die meisten von uns haben irgendwelche Tabletten in der Tasche", sagt er und lächelt verbittert. Andere würden das Grauen mit Alkohol vertreiben, zumindest für ein paar Stunden. Diese Arbeit verändere einen: Viele seien aggressiv, stritten mit ihren Familien, könnten nicht mehr schlafen. Auch er habe psychische Probleme, darüber reden möchte er nicht. Stattdessen zeigt er auf die Zigarette in seiner Hand, "auch eine Art Betäubungsmittel." Abends, wenn er nach Hause zu seiner Frau und seinen Kindern komme, schweige er meist: "Ich kann ihnen doch nicht erzählen, was ich so gesehen habe." Das, sagt er, wolle er seiner Familie nicht antun.

Reporterin vor Wand mit Einschusslöchern (Foto: Reuters)
Anschlag auf eine Schule - Reporterin in PeschawarBild: Reuters/F. Aziz

Aufgefangen und beraten

Wiederkehrende, belastende Gedanken, Albträume, Angstgefühle bis hin zu Despressionen - die Psychologin Erum Irshad kennt die Symptome. Als Leiterin der psychologischen Fakultät der Universität Peschawar hat sie gemeinsam mit weiteren Kollegen und der DW Akademie im November 2014 das erste Traumazentrum für pakistanische Krisenreporter gegründet. Die Symptome würden hier in 15 bis 20 Sitzungen gelindert. Erlernt werde auch Handwerkszeug, das künftig besser vor Traumata schützt.

40 Krisenreporter konnten so bislang behandelt werden. Ein großer Erfolg - sind doch psychische Erkrankungen in der pakistanischen Gesellschaft ein Tabu. "Ich hätte nicht vermutet, dass die Journalisten ihre Traumatisierung so schnell akzeptieren würden", sagt Erum Irshad. "Und dass sie eine so große Motivation für unsere Behandlung aufbringen würden." Am meisten freue sie, wenn behandelte Krisenreporter das Traumazentrum an Kollegen weiterempfehlen.

Beruf mit hohem Risiko

Das Zentrum, das glaubt auch Altaf Khan, sei sehr wichtig für die Medienlandschaft Pakistans. Er stellt seine Tasse Tee auf den Holztisch in der etwas unordentlichen Nachrichtenredaktion des Uni-Radios. Neben ihm kritzelt ein Student hektisch auf ein Blatt Papier die Berichte, die er in ein paar Minuten im Radio verlesen wird.

Altaf Khan ist Leiter der Journalistischen Fakultät, die jedes Jahr etwa 80 Studierende aufnimmt. Er schätzt, dass bis zu 70 von ihnen später traumatisiert sein werden. Journalisten in den Stammesgebieten würden ein hohes Risiko tragen - das lasse sich bei dem derzeitigen Konflikt kaum ändern. "Jetzt haben sie wenigstens eine Anlaufstelle."

Altaf Khan wird bei der Eröffnung des Traumazentrums von Journalisten befragt (Foto: Fasttrack Communications)
Großes Medieninteresse: Altaf Khan bei der Eröffnung des TraumazentrumsBild: Fasttrack Communications

Damit leiste das Zentrum einen wichtigen Beitrag zur Meinungsfreiheit in der Region, meint Karin Schädler, Ländermanagerin für Pakistan der DW Akademie. "Nur wenn Journalisten in Krisenregionen psychisch gestärkt sind, können sie die Menschen im Land mit unabhängigen Informationen versorgen." Das Traumazentrum habe daher Signalwirkung: In der Provinz Belutschistan soll schon bald das nächste eröffnen. Gefördert werden die Zentren vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Von dem schattigen Campus sind es nur wenige Kilometer bis in die Stammesgebiete, nachts sind manchmal dumpfe Explosionen zu hören. Der Journalist hat sich hier mit ein paar Kollegen getroffen und raucht eine Zigarette: Irgendwann, sagt er, werde er eine Therapie machen. "Vielleicht", fügt er grinsend hinzu. Dann wird er ernst: Die Anschläge, Entführungen und Morddrohungen würden ja nicht weniger werden. Aber irgendjemand müsse ja aus den Stammesgebieten berichten. "Wer erzählt sonst die Geschichten und Schicksale dieser Menschen?"