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Palästinensische Nachtwachen

Kersten Knipp26. August 2015

Nach dem tödlichen Brandanschlag auf eine palästinensische Familie schützen sich die Bürger des Westjordanlands durch Nachtwachen vor Angriffen extremistischer Siedler. Diese stoßen auch in Israel zunehmend auf Kritik.

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Proteste gegen israelische Siedlungspolitik in der West Bank 19.12.2014 (Foto:AFP/Getty Images)
Bild: Abbas Momani/AFP/Getty Images

Mobiltelefone, Taschenlampen, dazu die Lautsprecher der Moscheen: Es sind bescheidene Mittel, auf die die Nachtwachen palästinensischer Dörfer im Westjordanland setzen. Über Stunden harren die überwiegend jungen Leute an ihren Posten aus, um ihre Mitbürger vor möglichen Angriffen durch extremistische jüdische Siedler zu warnen. Nähern sich diese einem der Dörfer, schlagen die Wachleute per Handy Alarm. Im Dorf selbst eilen andere dann in die Moschee, um über Lautsprecher alle Bewohner zu warnen.

Insgesamt 25 palästinensische Dörfer haben in diesen Tagen die Nachtwachen wieder aufleben lassen - eine Form des Selbstschutzes, die sie während der ersten, in den späten 1980er-Jahren einsetzenden Intifada entwickelt hatten. Nun, nach demBrandanschlag auf das Haus einer Familie in dem Dorf Duma im Süden von Nablus, besinnen sich die Palästinenser wieder auf die damals eingeübten Schutzmaßnahmen. Bei dem Anschlag waren ein wenige Monate altes Baby und dessen Vater getötet worden, die Mutter und der Bruder erlitten schwere Verbrennungen.

Trauerzug für das bei dem Brandanschlag in Duma getötete Baby, 31.07.2015 (Foto: Reuters)
Trauerzug für das bei dem Brandanschlag in Duma getötete BabyBild: Reuters/A. Awad

"Attacken sind eskaliert"

Solche Angriffe wollen die Palästinenser in Zukunft verhindern. Dabei sind sie auf sich selbst angewiesen. Zudem ist es den palästinensischen Bürgern des Westjordanlands verboten, Waffen zu tragen - anders als den Siedlern, die Gewehre und Pistolen bei sich haben dürfen.

Das Westjordanland ist in drei Zonen - A, B und C - aufgeteilt. Die Zone A steht unter Verwaltung der palästinensischen Behörden, inklusive der palästinensischen Sicherheitskräfte. Zone B wird von Palästinensern und Israelis gemeinsam verwaltet. Und Zone C steht unter alleiniger Kontrolle der Israelis. Darum konzentrieren sich die Nachtwachen fast alle auf die Zone C.

"Die Attacken der Siedler sind in letzter Zeit eskaliert", erklärt Abdullah Abu Rahme, Koordinator des mit der Organisation der Nachtwachen betrauten Volkskomitees des Städtchens Blin. "Wir müssen die Angreifer darum abschrecken. In Duma gab es diese Wachen nicht, und so kam es dort zu dem Anschlag. Es ist darum höchste Zeit, dass wir die Wachen wieder installieren."

Die Wachen seien effektiv, versichern die Organisatoren. So hätten Anfang Januar 2014 die Nachtwachen des Dörfchens Qusrah nahe Nablus 18 Siedler festgesetzt, die das Dorf nachts angegriffen hätten. Frei ließen sie sie erst, als das israelische Militär anrückte.

Einer der jüdischen Angreifer von Qusra in den Händen des israelischen Militärs 07.01.2014 (Foto: AFP / Getty Images)
Einer der jüdischen Angreifer von Qusra in den Händen des israelischen MilitärsBild: Getty Images/AFP/J. Ashtiyeh

Tausende Angriffe

Die Einrichtung der Nachtwachen ist ein Hinweis darauf, wie bedrohlich die Palästinenser die extremistischen Siedler finden. Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat erklärte nach dem Brandanschlag, seit dem Jahr 2004 hätten extremistische Siedler etwa 11.000 Mal palästinensische Bürger und ihr Eigentum angegriffen. Die Siedler hätten Zivilisten ermordet, Moscheen angezündet und landwirtschaftliche Flächen zerstört. Zugleich erhob Erekat schwere Vorwürfe gegen die Regierung von Benjamin Netanjahu. "Die Angriffe fanden unter dem Schutz der Regierung statt, ohne dass die Täter jemals zur Rechenschaft gezogen wurden." Stattdessen stachele die Regierung die Siedler zu ihren Angriffen erst auf. "Wir können zwischen Terrorismus und Siedlergruppen keinen Unterschied machen, denn beide dienen dem gleichen Ziel." Und das, so Erekat, sei die "ethnische Säuberung" des Westjordanlands.

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte den Angriff von Duma in aller Schärfe verurteilt. Auch der israelische Präsident Reuven Rivlin fand klare Worte: "In meinem Volk gibt es einige, die den Pfad des Terrorismus gewählt und ihre Menschlichkeit verloren haben."

Auf seiner Facebook-Seite äußerte sich auch Yuval Diskin, der ehemalige Direktor des israelischen Geheimdienstes Shin Bet, zum Treiben der extremistischen Siedler. Israel habe es zugelassen, dass sich ein "Staat von Judäa" gebildet habe. Judäa und Samaria sind die offiziellen israelischen Bezeichnungen für das Gebiet des Westjordanlands und die dort errichteten Siedlungen. Diskin meint in diesem Kontext aber den fundamentalistisch begründeten Anspruch auf diese Gebiete sowie den Versuch, diesen auch durch illegale Siedlungen durchzusetzen. "Jeder der glaubt, es handele sich dabei nur um ein paar halluzinierende Teenager, macht einen schweren Fehler", so Diskin.

Bewaffnete israelische Siedler in Hebron (Foto: Archiv)
Bewaffnet: Jüdische Siedler in HebronBild: picture-alliance/dpa

Extremisten belasten die israelische Gesellschaft

Die jüdischen Extremisten sind nicht nur für die Palästinenser eine Bedrohung. Auch weite Teile der israelischen Gesellschaft halten ihr ungezügeltes Treiben für schädlich für das Ansehen des Landes. "Die Kritik an der Besatzung steigt weiter", schreibt der ehemalige "Ha´aretz"-Kolumnist Akiva Eldar. Auch in innenpolitischer Hinsicht belasteten die Extremisten das Land: "Die Spannungen in der israelischen Gesellschaft steigen, besonders zwischen Rechten und Linken sowie zwischen Juden und Arabern."

Ändern wird sich an der Macht der Siedler vorerst wenig. Ein Gericht hat die mutmaßlichen Attentäter von Duma wieder aus dem Gefängnis freigelassen.