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Eine Panne reiht sich an die nächste

Anja Fähnle6. Mai 2013

Vor Beginn des Verfahrens gegen die rechtsextreme Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" gab es eine wahre Pannenserie, die dem Münchener Oberlandesgericht heftige Kritik einbrachte.

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Ein Plakat der NSU-Opfer hängt am Samstag (25.08.2012) auf dem Neuen Markt vor dem Rathaus in Rostock, Foto: Stefan Sauer dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Eigentlich sollte es am 17. April losgehen mit dem Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Zschäpe muss sich als einziges noch lebendes mutmaßliches Mitglied des Terrortrios als Mittäterin an zehn Morden zwischen 2000 und 2007 verantworten. Erschossen wurden neun Männer: Acht von ihnen hatten Wurzeln in der Türkei, einer stammte aus Griechenland. Das letzte bekannte Mordopfer ist eine Polizistin.

Es ist einer der größten deutschen Terror-Prozesse und ein Verfahren, das weltweit auf Interesse stößt. Doch ausgerechnet bei der Vergabe der wenigen Presseplätze im Gerichtssaal kamen ausländische Medien zunächst kaum zum Zuge. Nur die ersten 50 Journalisten, die sich gemeldet hatten, bekamen in der Reihenfolge des Eingangs der Anträge einen der heiß begehrten Presseplätze, die anderen gingen leer aus.

Viel Wirbel um die Platzvergabe

Auch türkische Medien bekamen zunächst keinen Platz. Sie haben ein besonderes Interesse, am Verfahren teilzunehmen, da acht der Mordopfer türkische Wurzeln hatten. Das Gericht habe Probleme mit der Rolle der Öffentlichkeit und insbesondere der türkischen Öffentlichkeit gehabt und sei nicht sensibel genug damit umgegangen, räumt der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer ein. "So ein Verfahren macht ein Gericht nicht jeden Tag", so Hassemer im DW-Interview.

Die Schlagzeile "Türkische Presse nicht erwünscht" ist am 27.03.2013 in Düsseldorf (NRW) vor einem Kiosk auf der türkischen Tageszeitung Hürriyet vom 26.03.2013 zu sehen, Foto: Daniel Naupold/dpa
Das türkische Massenblatt Hürriyet hatte zunächst keinen Presseplatz bekommenBild: picture-alliance/dpa

Die türkische Zeitung "Sabah" klagte schließlich gegen die umstrittene Platzvergabe vor dem Bundverfassungsgericht und forderte, eine bestimmte Anzahl an Plätzen für ausländische, insbesondere türkische Medien zu reservieren. Die Zeitung bekam Recht und die Presseplätze mussten neu vergeben werden. Wenige Tage vor dem ursprünglich geplanten Prozessbeginn am 17. April 2013 entschied sich das Gericht, die Presseplätze neu zu vergeben - mit einem komplizierten Losverfahren. Der Prozess musste deshalb um knapp drei Wochen verschoben werden.

"Wie ein Schlag ins Gesicht"

Davon erfuhren die Familienangehörigen der NSU-Opfer und deren Anwälte allerdings zunächst aus den Medien. Erst 40 Minuten später sei ein Fax des OLG München gekommen, mit dem das bestätigt wurde, so Sebastian Scharmer, einer der Rechtsanwälte, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er vertritt im NSU-Prozess Gamze Kubasik, Tochter des ermordeten Mehmet Kubasik. Seine Mandantin sei schockiert und verärgert gewesen: "Sie war fassungslos und ich muss sagen, auch sauer, letzteres vor allen Dingen deshalb, weil wir zunächst aus den Medien davon erfahren haben."

Gamze Kubasik, Tochter des am 4.4.2006 ermordeten Dortmunder Kiosk-Besitzers und NSU-Mordopfers Mehmet Kubasik, betrachtet Familienfotos, Foto Andrea Grunau/ DW
Gamze Kubasik: Die Verschiebung war für sie ein SchockBild: DW/A. Grunau

Der Politikwissenschaftler Hajo Funke zeigt Verständnis für die Reaktion der Angehörigen: "Es ist für die Opferfamilien ohnehin schwer, weil sie über zehn Jahre nicht ernst genommen worden sind und zum Teil mit sehr ruppigen Methoden gegen sie ermittelt worden ist."

Funke: "Ich glaube an den Rechtsstaat"

Für die nächsten Turbulenzen sorgte das neue Akkreditierungsverfahren für Journalisten, bei dem gelost wurde. Die Medien wurden in verschiedene Gruppen und Unterkategorien eingeteilt. Es gab weit über 300 Bewerbungen für 50 Plätze. Am vergangenen Montag (29.04.2013) wachte ein Notar über die Losziehung aus verschiedenen bunt markierten Plastikkisten.

Journalisten filmen am 29.04.2013 im OLG München während der Pressekonferenz, bei der die Vergabe der Presseplätze im NSU-Prozess bekanntgegeben wurde, die durchsichtigen Plastikkästen mit den gelben Loszetteln, Foto: Peter Kneffel/dpa
Nach einem ausgeklügelten Losverfahren wurden im zweiten Anlauf die Presseplätze vergebenBild: picture-alliance/dpa

Dann der nächste Faux-Pas: Es wurde der Name eines Journalisten gezogen, der seine Akkreditierung vorher schriftlich zurückgezogen hatte. Einige Tage später musste dieser Presseplatz nachverlost werden. Der Berliner Politologe Funke plädiert dennoch dafür, die Pannenserie nicht überzubewerten: "Das sind Dickköpfigkeiten, Unsensibilitäten und Inkonsistenzen im Bürokratie-Ablauf - die einen wussten nicht, was die anderen vorbereitet hatten, so etwas passiert." Dennoch glaube er an den Rechtsstaat.

Wackliger Zeitplan

Kritik gibt es auch am geplanten Prozess-Ablauf. Mehr als 600 Zeugen sind bislang geladen. Für deren Befragung sind zum Teil nur 45 Minuten veranschlagt. Erheblich zu wenig meint Hajo Funke. Vieles würde jetzt vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl abhängen. Doch der sei ja bekannt dafür, dass er Dinge durchziehen könne und "offenbar revisionsfest durchziehen kann".

Ein Schild mit der Aufschrift "Zuhörerraum besetzt" hängt an der Glastür des Sitzungssaals 101 im OLG München, Foto: Andreas Gebert/dpa
Münchener GerichtssaalBild: picture-alliance/dpa

Nach Einschätzung des Strafrechtlers Winfried Hassemer wird um den Zeitplan des Münchener Gerichts zu viel Aufhebens gemacht: "Der Richter hat nicht die Aufgabe, ein genaues Programm durchzuführen wie beim Fußball, sondern der Richter hat die Aufgabe, die Wahrheit herauszufinden." Und er werde so lange an einer Frage herumarbeiten bis sie beantwortet sei, so Hassemer.

Am Montag (06.05.2013) soll der NSU-Strafprozess in München beginnen. Die Erwartungen der deutschen Bevölkerung an das Strafverfahren sind hoch. 42 Prozent der Deutschen gaben bei einer Forsa-Umfrage für das Magazin "Stern" an, dass die gerichtliche Aufarbeitung der Neonazi-Morde das Ansehen Deutschlands in der Welt verbessern könne.