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"Moralische Gesetze sind keine Felsblöcke"

8. April 2016

In seinem mit Spannung erwarteten Schreiben zu Ehe und Familie hat Papst Franziskus die katholische Kirche zu mehr Realismus aufgerufen. Auch das Thema Sex wird in dem Papier "Freude der Liebe" nicht ausgespart.

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Papst Franziskus (Foto: Picture Alliance)
Bild: picture-alliance/S. Spaziani

Papst Franziskus will mehr Barmherzigkeit in der Anwendung der kirchlichen Morallehre zulassen; grundsätzlich hält er aber an den geltenden Normen zu Ehe und Familie fest. In seinem nachsynodalen Schreiben "Amoris laetitia" (Die Freude der Liebe) wendet er sich gegen eine "kalte Schreibtisch-Moral". In dem 188 Seiten langen Schreiben warnt das Oberhaupt der katholischen Kirche davor, "nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft".

Oft sei Barmherzigkeit für Menschen, die in Widerspruch zur katholischen Lehre lebten, in der Kirche an zu viele Bedingungen geknüpft. Das sei "die übelste Weise, das Evangelium zu verflüssigen". Die Kirche habe mit strengen Vorgaben und Verurteilungen die Menschen lange eher davon abgeschreckt, Ehen und Familien zu gründen, als sie dazu anzuregen, lebenslange Verbindungen einzugehen, beklagt Franziskus in dem Schreiben sinngemäß.

In dem Schreiben fasst er die kontrovers geführten Diskussionen der beiden Bischofssynoden zu Ehe und Familie zusammen, die in den vergangenen zwei Jahren im Vatikan getagt hatten. Da diese nur beratenden Charakter haben, zieht der Papst seine eigenen Schlussfolgerungen.

Die Kirche müsse Familien auch in schwierigen Situationen begleiten, schreibt er. "Niemand darf auf ewig verurteilt werden", mahnt Franziskus mit Blick auf Gläubige, deren Leben katholischen Normen nicht oder nicht mehr entspricht. Geschiedene und wiederverheiratete Geschiedene müssten in das kirchliche Leben einbezogen werden. Im Umgang mit Geschiedenen müsse den Gewissensentscheidungen größerer Raum gegeben werden. Die Kirche müsse untersuchen, "welche der verschiedenen derzeit praktizierten Formen des Ausschlusses im liturgischen, pastoralen, erzieherischen und institutionellen Bereich überwunden werden können".

Stärkere Rolle der Ortskirchen

Auf das Thema Homosexualität geht Franziskus nur kurz ein. Grundsätzlich fordert Franziskus von der katholischen Kirche mehr Respekt vor der Gewissensentscheidung des Einzelnen in moralischen Fragen. Zudem sei stets eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalls und eine Güterabwägung nötig. Zugleich stärkt der Papst die Rolle der Ortskirchen und der einzelnen Bischöfe. Er gesteht ihnen in dem Schreiben mehr Eigenständigkeit und Interpretationsspielraum in der Anwendung der kirchlichen Lehre zu.

Der Papst küsst während einer Audienz im Vatikan ein Baby (Foto: Reuters)
Der Papst küsst während einer Audienz im Vatikan ein BabyBild: Reuters

Franziskus sieht eine Einheit von Lehre und Praxis in der Kirche zwar als notwendig an. Das schließe jedoch keineswegs aus, dass "verschiedene Interpretationen" einzelner Aspekte der Lehre fortbestünden oder auch "einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden".

Ausführlich widmet sich der 79-Jährige auch Themen wie Leidenschaft, Zärtlichkeit und Erotik an, die bisher in der katholischen Kirche meist ausgespart wurden. "Wir dürfen die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die zum Wohl der Familie toleriert werden muss, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten", betont Franziskus.

"Zwangseingriffe des Staates zugunsten von Verhütung, Sterilisation oder gar Abtreibung" lehnt er in dem Schreiben ab. Verantwortete Elternschaft bedeutet demnach jedoch auch, "die Kinderzahl aus genügend ernsten Gründen zu begrenzen".

Aus Sicht der deutschen Bischöfe hat das Schreiben weitreichende Konsequenzen für den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Seelsorger müssten nun "in jedem einzelnen Fall die besondere Lebenssituation der Betroffenen" betrachten und könnten dann über eine Zulassung zur Kommunion entscheiden, teilte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) mit. "Nur im Blick auf die jeweilige Lebensgeschichte und Realität lässt sich gemeinsam mit den betroffenen Personen klären, ob und wie in ihrer Situation Schuld vorliegt, die einem Empfang der Eucharistie entgegensteht." Unterschrieben wurde die Erklärung vom DBK-Vorsitzenden Kardinal Reinhard Marx aus München, vom Berliner Erzbischof Heiner Koch und vom Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Sie hatten im vergangenen Herbst in Rom an der vorbereitenden Synode zum Thema Ehe und Familie teilgenommen.

stu/wa (epd, dpa, kna)