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Papst wünscht sich Europas Wiedergeburt

Bernd Riegert (Rom)6. Mai 2016

"Ich habe einen Traum": Papst Franziskus, ausgezeichnet mit dem Internationalen Karlspreis, will ein junges, humanes Europa. Bei der Zeremonie im Vatikan erhielt er viel Zustimmung. Aus dem Vatikan Bernd Riegert.

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Italien Petersdom Figur des heiligen Paulus (Foto: Bernd Riegert)
Fingerzeig aus dem Vatikan für Europa: Heiligen-Skulptur im PetersdomBild: DW/B. Riegert

Früher musste man einem Papst noch die Füße küssen. Davon künden die riesigen Wandbilder in der prächtigen, mit Gold und Stuck überladenen "Sala Regia", dem Regierungssaal im Vatikan. Kaiser und Könige verneigten sich vor dem katholischen Kichenführer, der auf den Gemälden aus der Renaissance die Krone des Papstes, die Tiara trägt.

Heute ist alles anders. Preisträger Papst Franziskus kommt gemächlichen Schrittes ohne große Ankündigung durch einen Zeremonienmeister in schlichter weißer Soutane mit leichter Verspätung in den Saal. Geküsst wird auch, aber nur die Wangen der wartenden Politiker. Umarmung für die Präsidenten der EU-Kommission, des Parlaments und des Rates.

Bescheidenheit ist die Botschaft des Pontifex. Der Aachener Theologie-Professor Ulrich Lüke bezeichnet Franziskus als "Welt-Dorfpfarrer" für die globalisierte Welt. Er sei ein "bunter Hund", der es allen politischen Richtungen recht machen könne. Weltliche Macht, wie auf den Bildern in der Sala Regia hat der Papst schon lange nicht mehr, politischen Einfluss übt der Argentinier auf dem Stuhl Petri sehr wohl aus.

Vatikan Papst Franziskus erhält Aachener Karlspreis (Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg)
Papst Franziskus: "Europa braucht ein "update"Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

"Geliebter Kontinent Europa"

Der Papst sitzt nur ein ganz klein wenig höher auf einem etwas größeren Stuhl, dem päpstlichen Thron, als der spanische König, die deutsche Bundeskanzlerin und die Staatspräsidentin von Litauen. Sie alle sind nach Rom gekommen, um zu hören, was der kritische Papst diesmal zu Europa zu sagen hat. Die Sala Regia ist voll bis auf den letzten Platz.

Allein aus Aachen sind 400 Honoratioren und Bürger angereist. Der Karlspreis der Stadt wird ja schließlich von einem Bürgerverein vergeben, jedes Jahr seit 1950. Besonders grüßt der Oberbürgermeister der Stadt, Marcel Philipp, die Bürger, die zuhause in Aachen bleiben mussten und per Bildleitung auf dem Rathausplatz zuschauen.

Der Papst ist amüsiert, aber extra nach Aachen zu reisen, dafür war keine Zeit. Den europäischen Preis will er auch gar nicht für sich selbst oder den Heiligen Stuhl haben, sagt Franziskus zu Beginn seiner Rede. Er widme die Auszeichnung lieber dem ganzen Europa, das im Moment so verunsichert und zweifelnd sei. Europa, das sei, so der Papst, sein "geliebter Kontinent".

Italien Petersdom Vatikan Sala Regia (Foto: Bernd Riegert)
Erst knipsen, dann zuhören: Aachener Pilger in der Sala RegiaBild: DW/B. Riegert

Fotografieren muss sein

Als der Papst ans Rednerpult tritt, schnellen die Handys hoch. Fast jeder im Publikum will ein Foto machen. Selfies zu schießen, ist aber nicht erlaubt. Aufstehen von den roten Samt-Stühlen auch nicht. Dafür sorgen Protokollbeamte und Sicherheitspersonal mit dem päpstlichen Wappen auf den dezenten grauen Krawatten.

Auf Italienisch und ohne große Leidenschaft in der Stimme verkündet der Franziskus seine Botschaft zu Europa, nicht von Applaus unterbrochen, denn auch dies verbietet das Protokoll. "Ich habe einen Traum von Europa", lässt Franziskus die gespannten Zuhörer wissen. "Ich träume von einem neuen europäischen Humanismus. Dazu braucht es Gedächtnis, Mut und eine gesunde Vision für die Zukunft."

Der Papst benutzt nicht mehr das Bild von der unfruchtbaren Großmutter, sondern fordert Europa auf, wieder Mutter zu werden, die neues Leben gebären kann. Das passt zu dem Renaissance-Saal, in dem er die Worte ausspricht. Die anwesenden EU-Spitzen im Saal fordert der Pontifex auf, den jungen Menschen in Europa Arbeit zu verschaffen, sie für Kultur und ein einfaches Leben zu begeistern. Und schiebt dann noch eine kritische Ermahnung hinterher: "Ich träume von einem Europa, in dem es kein Verbrechen ist, Migrant zu sein."

"Papst der Hoffnung"

Der aus Polen stammende Ratpräsident der EU, Donald Tusk, dankt dem Papst für sein Engagement und vergleicht Religion und Europa miteinander. An beides müsse man glauben, damit es funktioniere. "Lassen Sie es mich ganz einfach sagen: Sie sind der Papst der Hoffnung für alle von uns."

Mitunter schaut der Papst, während er den Reden der EU-Granden lauscht, die seine Preiswürdigkeit herausstreichen, recht nachdenklich. Er stützt das Kinn mit der Hand ab und lässt milde Zweifel erkennen, vor allem als Jean-Claude Juncker, der Präsident der EU-Kommission, überschwänglich Lob verteilt. "Als Sie zwölf Flüchtlinge aus Lesbos mitgenommen haben, hat das unsere Herzen mit neuem Mut erfüllt", schmeichelt Juncker.

Allerdings hat sich an der Lage der Flüchtlinge, die auf der griechischen Insel auf ihre Abschiebung in die Türkei warten, seit dem Papstbesuch im April nicht viel geändert. Franziskus beeinflusst die Politik nicht direkt, aber er mahnt. Er warnt vor Zäunen und Nationalismus in Europa. Er fordert Dialog, Großzügigkeit und Solidarität, ein "update" für Europa, wie er das nennt.

Italien Eingang zum Apostolischen Palast (Foto: B. Riegert)
Palastluft schnuppern: Aufgang zur Sala Regia, stilecht bewacht von der Schweizer GardeBild: DW/B. Riegert

Theorie und Praxis

Düster fiel die Analyse von Martin Schulz aus, Präsident des Europäischen Parlaments. Wer heute wieder Mauern und Zäune errichte, habe nichts aus der Geschichte gelernt. Damit sind nicht nur Ungarn, Österreich und andere Staaten entlang der Balkanroute gemeint. Schließlich hat auch die EU als Ganze durch ihr Abkommen mit der Türkei die Einreise von Migranten gestoppt.

Nach der Südostroute will der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi nun gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Route von Libyen nach Italien irgendwie abriegeln. Darüber haben die beiden just vor dem Termin beim Papst gesprochen und Einigkeit erzielt. Doch in der Sala Regia lauschen sie dem Papst und beklatschen seine Worte, die genau das Gegenteil der heutigen EU-Flüchtlingspolitik nahe legen.

Am Ende gibt es "standing ovations" von vielen begeisterten Aachenern für den Pontifex. Er schüttelt noch die Hände von einigen prominenten Aachenern, die eine rote Einlasskarte ganz vorne bekommen haben. Einen Eindruck von Europa und seiner Vielfalt haben die Zuhörer im Saal mitnehmen können. Die Redner benutzten Deutsch, Spanisch, Französisch, Englisch, Polnisch und Italienisch, um ihre Gedanken zum Karlspreis auszudrücken.

Und das alles ohne Simultanübersetzung. Es gab nur ein Heft mit den gedruckten Reden. Die Gefühle wurden so natürlich nur mäßig transportiert. Auch der leidenschaftliche Apell des Parlamentspräsidenten Martin Schulz, jetzt aufzustehen und für Europa zu kämpfen.