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Paris: Terrorplanung über Spielekonsole?

Michael Knigge17. November 2015

Der "Islamische Staat" nutze neueste Technologien zum Verschlüsseln von Nachrichten, sagt Social-Media-Experte Jamie Bartlett im DW-Interview. Die Geheimdienste müssten deshalb ihre Überwachungsmethoden überdenken.

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Der Controller einer Playstation 4 (Foto: AP)
Bild: picture alliance/AP Photo

Deutsche Welle: Nach heutigem Kenntnisstand waren die Terroranschläge von Paris durch den "Islamischen Staat" von langer Hand vorbereitet. Wie war das möglich, ohne dabei in das Netz der Überwachungsmaßnahmen der französischen und anderer Regierungen gegangen zu sein?

Jamie Bartlett: Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich das nur schwer beantworten, bald werden wir sicher mehr wissen. Allgemein kann man sagen: Der "Islamische Staat" und die meisten anderen Terrorgruppen sind nah dran an aktuellen Entwicklungen in Sachen verschlüsselter Nachrichtensysteme. Da geht es darum, über anonyme Webbrowser so miteinander zu kommunizieren, dass es für die Nachrichtendienste viel schwieriger ist, ihnen dabei zu folgen. In den vergangenen Monaten haben einige Geheimdienste immer wieder erklärt, dass Teile des Internets wegen der Snowden-Enthüllungen "dunkel" werden.

Die Arbeit der Behörden wird dadurch erschwert, dass Terroristen wie die des "Islamischen Staats" verschlüsselte Messanger-Apps für ihre Kommunikation nutzen. Es gibt einige Apps, bei denen der Inhalt der Nachricht eine sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung erhält. Das bedeutet, dass nur Absender und Empfänger den Klartext der Nachricht erkennen können. Während die Nachricht im Internet unterwegs ist, sieht sie aus wie ein sinnloses Durcheinander. Trotz der weitreichenden Überwachungsmaßnahmen der Internetkommunikation sind diese verschlüsselten Nachrichten nur sehr schwer zu knacken.

Belgien hat in diesem Jahr im Rahmen von Anti-Terror-Untersuchungen verschiedene Verdächtige verhaftet, die WhatsApp für ihre Kommunikation genutzt hatten. Drei Tage vor den Attacken von Paris erklärte Belgiens Innenminister Jan Jambon, schwierig würde es bei der Kommunikation der Terroristen über PlayStation 4 - weil die so schwer zu entschlüsseln sei. Warum ist die Kommunikation über die PlayStation 4 - eine beliebte Videospielkonsole - so schwer zu knacken?

Porträt Jamie Bartlett (Foto: privat)
Jamie Bartlett, 'Centre for the Analysis of Social Media'Bild: privat

Zur PlayStation selbst kann ich gar nicht so viel sagen. Aber was wir in den vergangenen Jahren festgestellt haben, ist, dass viele Unternehmen grundsätzlich die Kommunikation für ihre User sicherer gemacht haben, dass viel effektivere Verschlüsselungen zum Einsatz kommen. Manchmal nutzen sie sogar Technik, die sie selbst nicht entschlüsseln können. Und das machen sie, weil die Konsumenten es so wollen. Sie wollen, dass ihre Kommunikation sehr sicher ist.

Und ich spreche nicht von Terroristen oder anderen schlechten Menschen. Ich spreche von dir und mir, von jedem, der Nachrichtenportale nutzt. Zum Teil ist das der staatlichen Überwachung geschuldet, zum Teil der Sorge, dass die eigenen Daten in die falschen Hände fallen oder von Hackern gezielt gestohlen werden. Genau deshalb haben die meisten Firmen ihre Kommunikationssicherheit verbessert - also aus guten Gründen.

Das Problem ist nun, dass auch Gruppen wie der IS diese Entwicklungen ständig im Blick haben und testen, wie gut die unterschiedlichen Wege sind, die Kommunikation sicher zu halten - und entsprechend nutzen. Das ist keine Überraschung, das würde man von ihnen erwarten.

Kann man davon ausgehen, dass sich die Attentäter von Paris bei der Planung auch über die PlayStation 4 miteinander verständigt haben?

Das ist gut möglich. Es ist möglich, dass sie verschlüsselte Nachrichten-Apps wie "Telegram" genutzt haben, aber natürlich weiß ich solche Details nicht mit Bestimmtheit. Sie könnten anonyme Webbrowser genutzt haben, um die Adressprotokolle ihrer Internetkommunikation zu verschleiern. Und ich kann mir vorstellen, dass sie dazu etwas wie die PlayStation eingesetzt haben.

Deshalb kann man aber nicht sagen, dass die App-Anbieter auf irgendeine Weise einer Mittäterschaft schuldig sind. Viele dieser Dienste, wie etwa der TOR-Browser, wurden extra entwickelt für Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und andere Menschen, die sie für gute Zwecke einsetzen wollen.

Terroristen auf der einen, Menschenrechtsaktivisten auf der anderen Seite - gibt es eine Lösung für diesen Zwiespalt der Nutzung?

Für einige Probleme gibt es keine einfachen Lösungen. Aber ich denke, die Geheimdienste müssen ihre Art zu arbeiten ändern. In den vergangenen 10, 15 Jahren wurden sie sehr gut darin, Systeme zu entwickeln, um den Internetverkehr in großem Umfang zu überwachen. Darum ging es zum Teil in den Snowden-Enthüllungen.

Aber jetzt, da immer mehr Menschen verschlüsselte Nachrichten-Services und anonyme Webbrowser nutzen, wird dieser Ansatz der Geheimdienste immer weniger effektiv. Sie werden stattdessen mehr Zeit und Ressourcen dafür einsetzen müssen, um eine Gruppe zu infiltrieren. Man könnte das altmodische Techniken nennen: Man muss gezielt Einzelne ins Visier nehmen - weniger auf die breite Überwachung der vergangenen Jahre setzen.

Und dann wäre es gut, wenn Polizei und Geheimdienste die Vorteile der Verschlüsselung erkennen würden. Es gibt so viel Internetkriminalität, die vermieden werden könnte, wenn Menschen besser mit ihrer Kommunikation umgingen und sie selbst verschlüsseln würden. Das würde der Wirtschaft Milliarden sparen. Und dieses Geld könnte dann in diese neue Art der Geheimdienstarbeit fließen, die ich vorschlage.

Jamie Bartlett ist der Direktor des "Centre for the Analysis of Social Media". Er hat das Buch "Das dunkle Netz: Im digitalen Untergrund" geschrieben.

Das Interview führte Michael Knigge.