1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Schluss mit dem Sparen!"

Christoph Hasselbach1. Mai 2013

Nicht sparen, sondern investieren sollten die EU-Staaten, um die Krise zu bewältigen, meint Patrick Itschert, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, im Gespräch mit der DW.

https://p.dw.com/p/18Pt4
Porträt von Patrick Itschert, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, ETUC (mit Sitz in Brüssel); (Foto: ETUC)
Bild: ETUC

Herr Itschert, was ist Ihre wichtigste Botschaft für diesen Tag der Arbeit?

Patrick Itschert: Unsere Botschaft ist, dass die EU unbedingt einen Kurswechsel braucht und dass das oberste Ziel der Wirtschafts- und Finanzpolitik darin bestehen sollte, Wachstum und Arbeit zu schaffen, statt diese blinde Sparpolitik fortzusetzen und eine Wettbewerbspolitik allein über die Löhne zu betreiben.

An welchem Punkt der Krise in Europa stehen wir gerade? Werden wir bald Licht am Ende des Tunnels sehen, oder kommt es noch schlimmer?

Die Kommission und der Rat der EU-Mitgliedsstaaten haben uns zwar Licht am Ende des Tunnels angekündigt, aber wenn Sie sich die jüngste Konjunkturprognose der Kommission vom Winter 2012/13 ansehen, dann wird es eben doch nicht besser. Leider sind wir also noch nicht raus aus dem Tunnel.

In Europa gehen die Meinungen zur Krisenbewältigung klar auseinander. Einige Regierungen wie die deutsche sagen, wir müssten die Defizite weiter herunterfahren, die Arbeitsmärkte reformieren und wettbewerbsfähiger werden. Der wirtschaftliche Erfolg in Deutschland scheint diese Sichtweise ja auch zu bestätigen. Auf der anderen Seite sagt etwa die französische Regierung, dass diese Politik nicht funktioniert hat, zumindest nicht in den südlichen Ländern, wo sich Arbeitslosigkeit und Rezession verschlimmern. Wer hat denn nun recht?

Das Bild ist uneinheitlich. Ja, Deutschland geht es gut. Daran gibt's gar nichts zu deuteln. Und als verantwortungsbewusste Gewerkschafter sagen wir auch, dass Haushaltsdisziplin wichtig ist. Europa ist ja auch keine Insel. Wir müssen also wettbewerbsfähig bleiben. Aber man muss auch sagen, dass Deutschland nur deshalb so erfolgreich ist, weil es in seine Nachbarländer exportiert. Das war bisher nur möglich, weil Deutschland Kunden und Verbraucher in seinen Nachbarländern fand. Aber wenn es jeder so machte wie Deutschland, wenn jeder die Löhne so drückte, würden wir die Nachfrage auf dem gesamten europäischen Markt abwürgen.

Sie sind für ein Aufweichen der Sparpolitik. Aber würde das nicht die öffentlichen Schulden noch weiter erhöhen und damit das Leiden bloß verlängern?

Nein, das stimmt nicht. Die Sparpolitik zeigt doch, dass das Gegenteil zutrifft. Die Sparpolitik hilft eben nicht, die Schulden unter Kontrolle zu bringen. Vergleichen Sie die Schuldenstände von 2009 und 2012. In Portugal zum Beispiel sind die Schulden in dieser Zeit von 84 auf 124 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen, in Spanien von 56 auf 84 Prozent, in Griechenland von 133 auf 157 Prozent. Es ist also genau umgekehrt. In meinem Heimatland Belgien hatten wir 1995 einen Schuldenstand von 135 Prozent. Wir haben ihn innerhalb von 15 Jahren ohne soziales Drama um ein Drittel auf 90 Prozent gesenkt. Also: Ja, Sie brauchen Haushaltsdisziplin, aber nicht während einer Rezession. Das ist schädlich. Zweitens: Wir treten für einen Investitionsplan ein, Investitionen in nachhaltige, grüne Projekte zum Beispiel. Unsere deutschen Gewerkschafter nennen es einen Marshallplan. Dieses Investitionsprogramm brauchen Sie für nachhaltiges Wachstum und gegen Arbeitslosigkeit. Und das sollte nicht auf nationaler, sondern auf europäischer Ebene finanziert werden.

Für wie gefährlich halten Sie die wirtschaftliche Spaltung Europas in Nord und Süd?

Sie ist sehr gefährlich. Die gegenwärtige Politik befördert diese Spaltung. Und IWF-Chefin Lagarde meint, dass zu große Unterschiede auch schlecht für die Wirtschaft sind. Ja, wir sind an einem Punkt, wo sogar EU-Kommissionspräsident Barroso sagt, dass die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise an eine Grenze angelangt sind. Ich habe das Gefühl, dass einige Leute endlich merken, was los ist.

Die gegenwärtigen Nord-Süd-Spannungen rühren ja auch von verschiedenen Kulturen, Mentalitäten und geschichtlichen Erfahrungen her. Finnische Arbeitnehmer zum Beispiel sehen die Dinge vielleicht ganz anders als etwa griechische, und polnische Arbeitnehmer anders als britische. Sie vertreten mit ihrem Verband alle europäischen Arbeitnehmer. Geht das überhaupt? Haben alle Europäer überhaupt gemeinsame Interessen?

Das ist wie in einer Familie. Die europäische Gewerkschaftsbewegung ist eine große Familie. Wie in einer richtigen Familie müssen Sie erklären, dass es ein paar Regeln gibt, es gibt auch Meinungsverschiedenheiten, aber es gibt auch Solidarität. Und in diesen Krisenzeiten ist Solidarität besonders wichtig.