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Auf Lesereise in Deutschland: Paul Auster

Jochen Kürten
13. März 2017

Er ist eines der Schwergewichte der US-Literatur: Paul Auster. Besonders die Deutschen lieben Auster. Der Schriftsteller stellt seinen neuen Roman jetzt in fünf deutschen Städten vor. "4321" gilt als Austers Opus Magnum.

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Paul Auster 2008
Bild: Getty Images

Es war wohl kein Zufall, dass Paul Austers neuer Roman vor kurzem zeitgleich in den USA und in Deutschland erschien. Die deutschen Leser gehören zu Austers größten Fans. Schon seit fast 30 Jahren. Es konnte auch deshalb kein Zufall sein, weil die Übersetzung des Manuskripts sorgfältig geplant werden musste, um zeitgleich in der Heimat und in Deutschland zu erscheinen. Der Roman hat immerhin 1260 Seiten. Logistisch war das nur hinzukriegen, indem man gleich vier Übersetzter ans Werk setzte. Pünktlich zu Austers 70. Geburtstag am 3. Februar lag der Roman dann in den Buchläden.

Vier deutsche Übersetzter - das bot sich in diesem Fall sogar an. Der Roman mit dem spartanisch klingenden Titel "4321" erzählt schließlich die Lebensgeschichte des literarischen Helden Archie Ferguson in vier Varianten - wiewohl die Übertragung ins Deutsche dann doch für alle Varianten ein Gemeinschaftswerk der vier Übersetzter war.

"4321": Ein Roman in vier Varianten

Was für ein interessanter Gedanke, dachte Ferguson: sich vorzustellen, wie für ihn alles anders sein könnte, auch wenn er selbst immer derselbe bliebe.

Auster erzählt die Geschichte seiner literarischen Hauptfigur Archibald Ferguson in sieben großen Kapiteln mit jeweils vier Unterkapiteln. Vier Lebensläufe, vier verschiedene Biografien eines einzigen Menschen: Geboren 1947, reicht die Vita des Archie Ferguson bis Mitte der 1970er Jahre. Allerdings nur eine. Denn drei Mal stirbt Archie in jüngeren Jahren. Der Leser folgt den vier Lebensläufen, die von Auster nicht chronologisch präsentiert werden, sondern ineinander verschachtelt.

Bildergalerie Meisterwerke deutscher Brückenbaukunst Brooklyn Bridge
Schauplatz aller Paul-Auster-Romane: New YorkBild: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Das hört sich kompliziert an, ist es aber nur zum Teil. Es sind nur kleine Veränderungen innerhalb der literarischen Biografien, auf die der Leser stößt. Man kann "4321" als großen, fließenden biografischen Text lesen, bei dem der Leser immer mal wieder aus der Bahn geworfen wird, wenn Bruchstücke der einen Biografie nicht mehr zu einer anderen passen. Mal ist Archie Ferguson mit seiner Stiefschwester zusammen, mal ist es ein anderes Mädchen, dem er während der Pubertät nahe kommt. Mal kommt sein Vater bei einem Feuer ums Leben, mal lebt er weiter. Mal wächst Archie in ärmeren Verhältnissen auf, mal braucht er sich ums Geld keine großen Sorgen machen etc.

Geschichte eines Jungen über mehrere Jahrzehnte

Doch es gibt auch viele Konstanten in den "vier Leben" des Archie Ferguson: das Elternhaus, die Liebe zum Sport, Baseball und Basketball im Besonderen, die Begeisterung fürs Kino, Familienangehörige, die ersten Schreibversuche des Helden und einiges mehr noch. Daran kann sich der Leser orientieren. Er kann den Roman als das lesen, was er auch ist: eine klassische Coming-of-Age-Geschichte eines amerikanischen Jungen und jungen Mannes in den 1950er, 60er und der ersten Hälfte der 70er Jahre.

USA | Schriftsteller Paul Auster
Versteckt sich gern hinter seinen literarischen Charakteren: Paul AusterBild: picture-alliance/dpa/EFE/T. Albir

Es sind eben nur ein paar Variablen eingebaut im Text. Das verlangt dann allerdings auch die ganze Aufmerksamkeit des Lesers - und ein wenig Flexibilität bei der Lektüre.

"4321" ist auch - trotz aller formaler Spielereien mit den vier Lebensläufen - ein konventioneller Roman, episch in seinem Erzählansatz, psychologisch ausgefeilt bei der Figurenführung und dramaturgisch spannend angelegt.

Austers Spiel mit literarischen Verweisen

Über drei große Romanklassiker, drei große Leseerlebnisse, philosophiert Archie Ferguson an einer Stelle des Romans: Kafkas "Verwandlung", Salingers "Fänger im Roggen" und "Candide" von Voltaire. Dazu sagt er:

Ich finde es interessant, dass ich nicht sagen kann, welches mir am besten gefallen hat. Man könnte denken, ich müsste das wissen, aber ich weiß es nicht. Mir haben alle drei gefallen. Vielleicht bedeutet das, jede gute Weise ist die richtige.

Literatur ist ein weites Feld, ob Kafka, Salinger oder Voltaire - Literatur kann sehr verschieden sein. Paul Auster hat diese Verschiedenartigkeit offenbar gereizt. Er hat sie in seinem Roman aufgegriffen, indem er gleich vier verschiedene Geschichten erzählt - und sich doch auf eine literarische Hauptfigur beschränkt. 

Die Frage nach dem "Was wäre wenn?" durchzieht das Buch

In den Erzählfluss von "4321" kann sich der Leser regelrecht fallen lassen, die vier Varianten einer einzelnen großen Biografie an sich vorbeiziehen lassen. Hier ist keine der einzelnen Geschichten die einzig "richtige" und "wahre". Es sind Möglichkeiten eines Lebens, die uns Paul Auster vorstellt.

USA New York Brooklyn Bridge Blizzard Schneesturm
Magischer Ort in den Auster-Romanen: Die Brooklyn BridgeBild: Getty Images/AFP/F. X. Marit

Ein großes Thema durchzieht somit das kiloschwere Buch, die Frage nach dem "Was wäre wenn?". Die Frage, was wäre geschehen, wenn Archie Ferguson in der einen oder anderen Situation nicht dieses oder jenes getan hätte, sich anders verhalten hätte? Dann wäre die Geschichte eben anders verlaufen, will uns Auster zurufen. Dieses Spiel mit dem Zufall beherrscht Paul Auster wie kein Zweiter.

Schon Ende der 1980er Jahre, als Auster begann Romane zu schreiben, als er schnell zu einem literarischen Star aufstieg in den USA, vor allem aber auch in Deutschland, schon damals spielte er mit Möglichkeiten und Zufällen in seinen Büchern. Als postmodernen Autor hat man Auster deshalb gern beschrieben, eine Charakterisierung, die der Schriftsteller selbst ablehnt. "Die New York Trilogie" und "Im Land der letzten Dinge", "Mond über Manhattan" und "Die Musik des Zufalls" waren jene vier Romane, mit denen Auster damals zum Kult-Autor aufstieg. In vielen anderen Romanen und mehreren autobiografischen Büchern hat er das später fortgesetzt. Nicht immer waren sie so zwingend und überzeugend wie die ersten vier Werke Austers.

Auster: "Die Menschen hungern nach Geschichten"

Auster spielte schon immer gern mit dem Thema Identität, er versteckte autobiografische Schnipsel in seine Texte, schrieb über verlorene Väter und Außenseiter und philosophierte auch immer wieder über das Dasein als Schriftsteller. Auf all das stößt der Leser auch jetzt wieder in "4321" - nur diesmal in einem ausschweifenden, schier unendlichen Erzählkosmos, der weniger kompakt daher kommt als die früheren Romane.

Buchcover | 4321 von Paul Auster
Bild: dpa/Rowohlt Verlag

"Die Menschen hungern nach Geschichten, nach erfundenen Geschichten, und wenn sie sich ihre Storys nicht im Kino, in Fernsehserien oder Computerspielen holen, dann lesen sie sogar Romane", stapelte Paul Auster vor kurzem in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "Die Welt" tief, als es darum ging, ob solch dicke Romane wie "4321" heute überhaupt noch zeitgemäß seien.

Fünf Lesungen in Deutschland mit "4321"

Daran dürften seine zahlreichen deutschen Fans sowieso keinen Zweifel haben. Fünf Leseabende stehen ihnen jetzt bevor. Auster stellt "4321" zunächst in Berlin (13.3.) vor, anschließend geht's über Hamburg und Frankfurt nach Tübingen, bevor am 17.3. zum Abschluss der Lesereise ein Auftritt vor sicherlich großem Publikum bei der Lit.Cologne in Köln auf dem Programm steht.

Gespannt sein darf man dann auch auf Paul Austers Reaktionen auf Fragen nach der derzeitigen politischen Situation unter dem neuen US-Präsidenten. In Interviews hatte sich Auster, der im kommenden Jahr den Vorsitz beim amerikanischen P.E.N. übernimmt, unmissverständlich geäußert. "Was Trump angeht, kann ich nur sagen, dass seine Wahl eine der größten Katastrophen ist, mit der ich in meinem Leben jemals konfrontiert gewesen bin", so der Autor im Gespräch mit der "Welt". Es sei eine Katastrophe, "dass ein derartiger Idiot Präsident" ist, ein "Mann, der derart unqualifiziert ist, dass er die ganze Welt zerstören könnte".

Paul Auster: "4321", aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Gunkel, Werner Schmitz, Karsten Singelmann und Nikolaus Stingl, Rowohlt Verlag 2017, 1260 Seiten, ISBN 978-3-498-00097-4.