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Peking zeigt Ant Group die Grenzen auf

Thomas Kohlmann
4. November 2020

Der Mega-Börsengang der Fintech-Tochter von Alibaba in dieser Woche fällt ins Wasser. Offenbar ist den Entscheidern in China das Wachstum der Ant Group nicht mehr geheuer.

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Ant Financial
Bild: picture-alliance/dpa/D. Qing

Es sollte der größte Börsengang aller Zeiten werden: Mit rund 320 Milliarden US-Dollar wäre die Ant Group an der Börse höher bewertet worden als das Bruttoinlandsprodukt von Ägypten, Chile oder Finnland.

Doch es sollte anders kommen: Anfang der Woche wurde Alibaba-Gründer und Ant Group-Großaktionär Jack Ma mit anderen Spitzenmanagern von der chinesischen Börsenaufsicht einbestellt - mit der klaren Botschaft: So nicht!

Neben der Börsenaufsicht mussten Ma und Co. auch noch gegenüber der Bankenaufsicht, der Zentralbank und der Behörde für Fremdwährungen Rede und Antwort stehen.

Die offizielle Begründung der Behörden, die Regeln für Finanzunternehmen hätten sich mittlerweile "signifikant” geändert, klingt nur bedingt plausibel. Schließlich zogen die chinesischen Behörden damit nur wenige Tage vor der geplanten, prestigeträchtigen Erstnotierung an den Börsen in Schanghai und Hongkong den Stecker für das wichtigste IPO eines chinesischen Unternehmens in diesem Jahr.

Der lange Arm Pekings

Finanz-Experten vermuten deshalb andere Gründe hinter dem harten Durchgreifen der chinesischen Behörden. Sean Darby, Chefstratege der US-Investment-Bank Jefferies am Standort Hongkong, vermutet den langen Arm der Staats- und Parteispitze in Peking hinter der Aktion: "Es ist früher schon passiert, wenn Unternehmen für den Geschmack der Behörden anscheinend zu groß gegenüber dem Staat geworden sind”, sagte Darby der Nachrichtenagentur Bloomberg.

Ein Hinweis auf diese Lesart ist die Rolle von Vize-Premier Liu He bei der Verschärfung der Regeln. Xi Jinpings Wirtschaftsberater und enger Vertrauter hatte am Wochenende nach Medienberichten die Eckpunkte der neuen Bestimmungen festgelegt.

Auch der chinesische Wirtschaftsjournalist Li Guangdou glaubt, dass Alibaba-Gründer Jack Ma den Bogen gegenüber den Entscheidern in Peking überspannt hat: "Jack Ma hat sich verzockt. Das Imperium Alibaba reicht ihm wohl nicht. Er will dem staatlichen Finanzwesen Konkurrenz machen und den staatlichen Banken die Butter vom Brot nehmen”, schrieb Li auf seiner Webseite. "Jack Ma würde einem Fremden Darlehen gewähren, ohne ihn auch nur einmal persönlich zu treffen. Als Gegenleistung will Ma die Privatsphäre des Kunden, seine Big Data", unterstreicht Li.

China Weltwirtschaftsforum in Dalian
Ungewohnter Gegenwind für Chinas Vorzeige-Unternehmer Jack Ma Bild: Reuters/J. Lee

Milliardenverlust für Alibaba-Gründer Jack Ma 

Tatsächlich hatte Jack Ma vor wenigen Wochen auf einer Konferenz Chinas Aufsichtsbehörden heftig kritisiert: "Gute Innovation hat keine Angst vor Regulierung, aber sie hat Angst vor
veralteten Vorschriften", wurde er zitiert. Die Zukunft dürfe nicht "mit Methoden von gestern" reguliert werden. Und Ma setzte noch einen drauf. "Das Finanzwesen in China hat keine systembedingten Risiken, denn es hat gar kein System”, ätzte der Selfmade-Milliardär. Die chinesischen Banken seien lediglich Pfandleihen, die für jeden Cent Sachwerte als Sicherheit verlangen würden.

Kein Wunder, dass sich der Alibaba-Gründer mit diesen Aussagen keine Freunde in der Staats- und Parteispitze gemacht hat. Dazu kommt, dass die Ant Group mit deutlich mehr als 300 Milliarden US-Dollar höher bewertet worden wäre als jede chinesische Staatsbank.

Infografik Top Ten der Finanzkonzerne nach Börsenwert DE

Hamidreza Hosseini ist Gründer und Geschäftsführer der Beratungsfirma Ecodynamics und Dozent an der WHU Otto Beisheim Business School. Für den Experten für Plattformökonomie und moderne digitale Geschäftsmodelle ist die IPO-Absage ein deutlicher Prestigeverlust für die Börsen in China. "Die Verschiebung des Börsengangs ist ein Rückschlag für die neue Technologiebörse STAR in Schanghai, die als das chinesische Gegenstück zur Nasdaq in den USA gegründet worden war."

Hosseini kann sich vorstellen, dass es darüber hinaus noch andere Gründe für den Tritt auf die Bremse gegeben haben könnte. Mit dem Börsengang in Hongkong und Schanghai habe die Ant Group die amerikanischen Börsen umgehen wollen, was eine Neuerung für ein derart großes chinesisches Technologie-Unternehmen sei. "Das Vorgehen wurde vor dem Hintergrund der Spannungen zwischen China und den USA gesehen", erklärt Hosseini. Aber nach einer Reihe von Skandalen wollten die US-Aufsichtsbehörden chinesischen Unternehmen künftig ebenfalls tiefer in die Bücher schauen als bisher, so der Digitalökonomie-Experte. 

Alibaba selbst war 2014 in New York an die Börse gegangen. 2019 erfolgte die Zweitnotierung in Hongkong.

Neue Spielregeln für Alibabas Fintech

Die Ant Group muss sich jedenfalls in Zukunft an andere Spielregeln bei der Kreditvergabe halten und künftig 30 Prozent der Kredite selbst finanzieren, die gemeinsam mit Banken vergeben werden. Bislang waren das nach Informationen des chinesischen Wirtschaftsmagazins "Caixin" nur zwei Prozent. Das Kreditgeschäft sei mit einem Anteil von 39,4 Prozent in der ersten Jahreshälfte auch schon größer gewesen als der Bezahldienst Alipay, der 35,9 Prozent der Einnahmen ausgemacht habe.

Das Vorgehen der Behörden zielt auf die Kreditplattform, über die Ant Millionen Verbraucher-Darlehen von Banken und anderen Finanzinstituten vergibt. Jetzt, so berichtet Bloomberg, übe die chinesische Finanzaufsicht Druck auf Banken und Versicherungen aus, um keine Kredite mehr über das Fintech zu vergeben. Einige Unternehmen seien bereits aufgefordert worden, die gerade erst am vergangenen Montag, dem 2. November 2020, verkündeten Entwürfe für die neuen Regeln zur Kreditvergabe sofort umzusetzen, berichtet Bloomberg unter Berufung auf Finanzbranchen-Insider. 

Verschiebung um mehrere Monate?

Jack Ma gilt als zweitreichster Chinese, mit einem geschätzten Vermögen von mehr als 55 Milliarden US-Dollar. Der frühere Englisch-Lehrer besitzt mehr als vier Prozent des Online-Giganten Alibaba, dem wiederum ein Drittel der Ant Group gehört. Legt man den Ausgabepreis der Ant-Aktien zugrunde, dann hätte allein Ma am Börsengang der Ant Group nach Berechnungen von Bloomberg mehr als fünf Milliarden US-Dollar verdient.

So kam es anders und Jack Ma war nach dem Kursrutsch der Alibaba-Aktien nach Bekanntgabe der IPO-Absage um rund drei Milliarden Dollar "ärmer”. Das Rätselraten in der Finanzbranche in Fernost geht unterdessen weiter: Einige China-Experten halten es für möglich, dass der Ant-Börsengang nicht nur für einige Wochen, sondern sogar um ein halbes Jahr verschoben wird.