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Sachleistungen "bürokratischer Irrsinn"

Carla Bleiker29. September 2015

Ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht Sachleistungen statt Geld für Asylbewerber in Erstaufnahmeeinrichtungen vor. Marei Pelzer von der NGO Pro Asyl erklärt im DW-Interview, warum sie dagegen ist.

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Eine Freiwillige legt Windeln in ein Regal in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. (Foto: Bodo Marks/dpa)
Bild: picture alliance/dpa/B. Marks

DW: Nach einer vorgeschlagenen Gesetzesänderung im Asylrecht sollen Flüchtlinge Sachleistungen anstelle von "Taschengeldzahlungen" bekommen. Um was für Sachleistungen geht es hierbei - was genau soll sich ändern?

Marei Pelzer: Es ist vorgesehen, dass Sachleistungen in Bereichen gewährt werden sollen, in denen eigentlich nur Geldzahlungen Sinn machen. Es geht hier nicht um Wohnen, Nahrung und so weiter, wo Sachleistungen sowieso gang und gäbe sind. Sondern um die höchstpersönlichen Bedürfnisse, die Menschen haben. Das beinhaltet zum Beispiel Kommunikation, Busfahrkarten und sogar Empfängnisverhütung.

Es wäre zum einen ein bürokratischer Irrsinn, wenn der Staat das alles für Betroffene einkauft und ihnen aushändigt, und zum anderen ist es natürlich individuell sehr unterschiedlich, was für Bedürfnisse da bestehen. Der eine kauft sich vielleicht primär Zigaretten und Tabak, weil er ein Raucher ist, der andere braucht das gar nicht. Das als Sachleistungen zu organisieren ist einfach realitätsfremd.

Sollen Sachleistungen zusätzlich zu Geldzahlungen ausgehändigt werden, oder sollen sie Geldzahlungen komplett ersetzen?

Sachleistungen sollen in der Phase der Erstaufnahme für alle Bereiche ausschließlich gelten. Das war bei Unterkunft und Nahrung schon bisher der Fall, soll aber jetzt eben auch für die persönlichen Bedürfnisse gelten, und zwar für bis zu sechs Monaten, bei Flüchtlingen aus den Westbalkanstaaten sogar auf Dauer, bis sie abgeschoben werden.

Die Flüchtlinge hätten also mindestens ein halbes Jahr lang kein eigenes Geld, um die persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Damit verschärft sich die Problematik stark im Vergleich zu dem, was wir bisher hatten.

Marei Pelzer. (Foto: Pro Asyl)
Pelzer: Flüchtlinge sollen frei entscheiden können, was sie brauchenBild: Pro Asyl

Wer sollte denn entscheiden, was welcher Flüchtling an Sachleistungen erhält? Persönliche Bedürfnisse sind ja sehr unterschiedlich.

Das wird wahrscheinlich angesichts der großen Zahlen sehr pragmatisch gehandhabt. Ich könnte mir vorstellen, dass man dazu übergeht, Gutscheine auszugeben, weil das Verteilen von individuellen Produkten gar nicht zu organisieren ist. Man kann ja schlecht Einkaufslisten erstellen und dann organisieren die Behörden Einkaufsdienste.

Bei Wertgutscheinen ist das Problem, dass Kooperationen meistens nur mit bestimmten Supermärkten ausgehandelt werden. Dann haben die Flüchtlinge nicht die Möglichkeit, dahin zu gehen, wo es am günstigsten ist, sondern sie müssen in die Läden gehen, die vorgeschrieben sind. Das schränkt den Wert der Leistung ein.

Wie steht Pro Asyl zu den Sachleistungen?

Wir lehnen dieses System ab. Wir haben es für einen sehr großen Fortschritt gehalten, als sie letztes Jahr durch eine Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes größtenteils abgeschafft worden sind. Sie jetzt wieder einzuführen ist anachronistisch und macht überhaupt keinen Sinn.

Es ist eigentlich nur eine Maßnahme zur Abschreckung. Und das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz gesagt, man darf Sozialleistungen nicht zweckentfremden als Abschreckungsinstrument. Das ist ja im Grunde das, was die Politik jetzt machen will: Die Lebensbedingungen so stark verschärfen, dass Flüchtlinge abgeschreckt werden. Das halten wir zum einen für nicht vereinbar mit der Menschenwürde und dem Grundgesetz und zum anderen wird es auch nicht funktionieren.

Laut einer Umfrage des ZDF-Politbarometers sprechen sich 82 Prozent der Deutschen für Sachleistungen anstelle von Geldzahlungen an Flüchtlinge aus. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das liegt daran, dass seit Jahren von verantwortlichen Politikern, vor allem den Innenministern, Stimmung gemacht wird gegen Flüchtlinge. Da wird ein Missbrauchsdiskurs geführt, der so völlig unzutreffend ist, aber in der Bevölkerung offenbar auf fruchtbaren Boden fällt. Es werden verkürzte Erklärungen herangezogen und Vorurteile und Ressentiments geschürt.

Angeblich geht es dabei um Ausnutzung des Asylsystems und des Sozialstaates. Was dabei verkannt und auch nicht gesagt wird: Bei Geldzahlungen und Sachleistungen geht es um das Existenzminimum. Das ist in Deutschland, genauso wie Hartz IV, das, was man unbedingt zum Leben hier braucht. Es geht nicht um Luxus oder besonders gute Ausstattung.

Diese Sachleistungsidee ist etwas, das einfach nur zu mehr Bürokratie und letztendlich auch zu mehr Kosten führen wird - und das alles nur, weil ein Innenminister sich einen politischen Erfolg auf die eigenen Fahnen schreiben will, mit dem er sich selber als Hardliner profilieren kann.

Marei Pelzer ist die rechtspolitische Referentin von Pro Asyl, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für den Schutz und die Rechte verfolgter Menschen einsetzt.