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Wenn Schriftsteller verfolgt werden

Andrea Horakh
15. November 2020

Die Freiheit des Wortes ist nach wie vor bedroht, weltweit sitzen Autoren in Haft. Für deren Freilassung setzt sich Ralf Nestmeyer vom Verband PEN ein.

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Eine Karikatur zeigt eine Hand mit einem Stift, danach steht ein Gefängniswärter, der auf eine geöffnete Tür zu einer Zelle weist
Karikatur mit Aktualität: Vertreter der schreibenden Zunft leben gefährlich

Der 15. November ist der Tag des inhaftierten Schriftstellers. 1960 gründete derInternationale PEN-Club das Writers in Prison Committee (WiPC), das verfolgte oder inhaftierte Autoren und Journalisten in aller Welt betreut. Ralf Nestmeyer, Präsident des PEN-Clubs, erklärt im DW-Interview, warum die Arbeit weltweit immer schwieriger wird.

DW: Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, wird aber in vielen Ländern mit Füßen getreten. Hat sich an dieser Situation etwas geändert?

Ralf Nestmeyer: Also besser wird es definitiv nicht. Es bleibt bei ähnlich schlechten Zuständen in vielen Ländern wie in den letzten Jahren. Tendenziell habe ich das Gefühl, aber das kann man statistisch nicht so absolut belegen, weil eben in verschiedenen Ländern die Demokratie erodiert und andere Probleme auftreten, bei denen die Meinungsfreiheit nichts zählt. Es gibt Länder, die sind schon immer ganz unten auf der Skala der Meinungsfreiheit, zum Beispiel Nordkorea.  Knapp darüber kommt Eritrea. Also, da ist eine gewisse Konstante seit über zehn Jahren.

In den anderen Rankings verändert sich ein bisschen was. Also, die Türkei ist in den letzten drei, vier Jahren deutlich schlechter geworden und verharrt jetzt bei diesem schlechteren Zustand. Es ist ja auch bekannt, dass sie sehr viele Journalisten und Autoren in der Türkei inhaftiert haben. Darunter bekannte Namen wie z.B. Ahmet Altan, der ein Ehrenmitglied vom Deutschen PEN Zentrum ist, und der seit 1500 Tagen hinter Gittern sitzt.

Wie können Sie abschätzen, wie es den Schriftstellerinnen und Künstlerinnen weltweit geht?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Zum einen gibt es vom internationalen PEN eine sogenannte Case-List. Die wird alljährlich herausgegeben. Da sind Fälle dokumentiert, wo eben Schriftsteller inhaftiert oder anderen Restriktionen ausgesetzt sind. Aber es gibt auch ganz viele Fälle, da kriegt man gar nichts mit.

Ein Beispiel ist China, das ist in gewisser Weise ein dunkles Loch für uns. Selbst Amnesty International weiß nicht, wie viele Todesurteile dort jährlich vollstreckt werden. Somit wissen wir auch nicht genau, wie viele Autoren in einem Gefängnis dort für längere Zeit verschwinden. Da dringen wirklich nur ganz selten Fälle nach außen, von denen man etwas erfährt.

Ralf Nestmeyer, PEN Vizepräsident
Ralf Nestmeyer, PEN VizepräsidentBild: privat

Es gibt ganze Regionen, zum Beispiel die der Uiguren, aber auch in Tibet, in der Mongolei, da wird versucht, die einheimische Kultur gleichzuschalten. Und deswegen werden auch Autoren, die sich in ihrer Landessprache ausdrücken, in ihren Publikationsmöglichkeiten stark eingeschränkt.

Wie sehen die Repressalien aus?

Es kommt immer auf die Region an. Ganz schlimm ist zum Beispiel die Situation in Latein- und vor allem Mittelamerika, in Mexiko. Da sprechen die Organisationen sogar davon, dass sie keine Writers in Prison, sondern "Writers in Graves" (im Grab) haben, weil missliebige Berichterstatter oftmals einfach umgebracht werden. Sechs Autoren allein im vergangenen Jahr.

Ganz andere Fälle sind eben, dass  Leute - wie in Eritrea - seit Jahrzehnten im Gefängnis sitzen, und man weiß überhaupt nichts von denen. Ungefähr zwölf bis 14 Autoren, die genaue Zahl weiß ich auch nicht.

Darunter ist sogar ein EU-Bürger, David Isaac, ein Eritreer, der die schwedische Staatsbürgerschaft hatte, der dann wieder nach Eritrea zurückgekehrt ist, um dort eine Zeitung aufzubauen. Und der sitzt seit über 18 Jahren im Gefängnis, seine Tochter hat nichts mehr von ihm gehört. Man weiß gar nicht, ob er überhaupt noch am Leben ist.

Welche Rolle spielt Deutschland, wenn es darum geht, Bedrohten und Verfolgten Schutz zu bieten?

Ich denke, da spielt Deutschland schon eine wichtige Rolle. Wir haben hier das Programm "Writers in Exile". Das wurde im Jahr 2000 vom damaligen Kulturminister Naumann gegründet, um eine Dankesschuld abzutragen für die ehemaligen Schriftsteller, die aus Deutschland 1933 ins Ausland fliehen mussten und dort aufgenommen wurden.

Zweigeteiltes Logo des Netzwerks Writers in Prison: Links sieht man einen Stift hinter Gittern, rechts steht schwarz auf weiß: Writers in Prison Network Ltd
Logo des internationale Netzwerks "Writers in Prison"

So nehmen eben wir jetzt bedrohte Schriftsteller aus verschiedenen Regionen der Welt auf. Aktuell leben zwölf Autoren in unserem Stipendienprogramm. Man hilft ihnen bei den Behördengängen und ähnlichem. Aber sie bekommen natürlich auch eine finanzielle Unterstützung und eine möblierte Wohnung gestellt. Die finanziellen Mittel für das Programm werden vom Bundeskulturministerium zur Verfügung gestellt.

Wie wird da ausgewählt? Und wer kommt in dieses Writers-in-Exile-Programm?

Teilweise gibt es eigene Bewerbungen von Autoren. Dann werden uns über den Internationalen PEN einzelne Fälle gemeldet. Und da ist es gar nicht einfach, eine Entscheidung zu treffen. Wir haben ja auch nicht Hunderte von Plätze zu vergeben, sondern nur ein paar.

Und ist das Programm zeitlich begrenzt?

Es läuft zwei oder drei Jahre, solange wird dieses Stipendium gezahlt. Wenn es dann endet, versuchen wir natürlich, die Autorinnen weiter zu betreuen und zu unterstützen. Wir versuchen auch, ihnen während des Stipendiums zu helfen und später Publikationsmöglichkeiten zu geben.

Das Idealste ist natürlich, wenn sich die politische Situation im Heimatland so ändert, dass sie wieder zurückgehen können. Fast alle Autoren würden ja auch am liebsten wieder zurück in ihr Heimatland gehen, wenn sie da ohne Bedrohung leben könnten.

Exilschriftsteller Doğan Akhanlı

Versteht sich der PEN explizit als politische Organisation?

Ja und nein. Literatur ist wichtig, aber es geht bei uns natürlich um die Politik. Und so wurde unter anderem 1960 das Writer-in-Prison-Programm gestartet, weil es zu Zeiten des Eisernen Vorhangs vor allem um bedrohte Autoren in Osteuropa oder Russland ging.

Aber das Programm hat sich dann ausgedehnt. Seither kämpfen wir weltweit für inhaftierte und bedrohte Autoren. Und es gibt seit 1980 den Writers-in-Prison-Day, wo alljährlich am 15. November der Fokus auf fünf internationale Autoren gelegt wird. Das hat zur Folge, dass viel mehr über sie und darüber berichtet wird. 

Inwieweit kann man damit politisch Druck ausüben auf die jeweiligen Länder? Und was bedeutet es für Autoren im Gefängnis, wenn sie in diesem Fokus stehen?

Das hat für die Leute im Gefängnis schon sehr positive Folgen. Wir hatten einen Stipendiaten aus Kamerun. Der hat sehr, sehr viel Post bekommen ins Gefängnis, weil wir unter anderem unsere Mitglieder auch auffordern, den inhaftierten Autoren zu schreiben. Und er sagte, er war deswegen im Gefängnis eine Art VIP, also sozusagen ein Very Important Prisoner. Er wurde dann auch anders behandelt, weil die Gefängnisleitung erfahren hat, dass er sehr stark im Fokus steht. Er durfte dann ausreisen und kam nach Deutschland in unser Writers-in-Exile-Programm.

Es gibt sogenannte Rapid Actions, wenn jemand ins Gefängnis kommt oder bedroht wird. Dann versuchen verschiedenste internationale PEN-Organisationen verbal und medial eine Wirkung zu erzeugen. Wir schreiben dann zum Beispiel auch den Botschafter des betreffenden Landes in Berlin an und fordern die Freilassung des jeweils Inhaftierten. Also man versucht alles, damit der Fall möglichst bekannt wird - dann ist es natürlich schwieriger, jemanden gänzlich zum Verschwinden zu bringen.

Haben Sie manchmal das Gefühl, Sie kämpfen gegen Windmühlenflügel?

Ja, da muss man sich halt eine dicke Haut zulegen. Da ist, glaube ich, zur Zeit weltweit kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Andersherum  bekommt man ja immer wieder positive Bestätigung, wenn prominente Autoren wieder freigelassen werden oder wir ihnen helfen konnten.

Das Gespräch führte Andrea Horakh.

Ungewisse Zukunft