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Literatur

Peter Schneider: "Der Mauerspringer"

Jochen Kürten
6. Oktober 2018

Peter Schneider schrieb "Der Mauerspringer" 1982. Heute wirkt das Buch prophetisch, aber auch historisch. Es bleibt ein hochinteressanter Text über deutsch-deutsche Befindlichkeiten in einer fast schon vergessenen Zeit.

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Gedenken zum Mauerbau vor 54 Jahren
Bild: picture-alliance/dpa/R.Jensen

"Die Mauer im Kopf einzureißen wird länger dauern, als irgendein Abrissunternehmen für die sichtbare Mauer braucht."

Der Satz wirkt wie aus einer politischen Rede, gehalten zehn oder auch zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer. Noch lange nach 1989 wurden solche Sätze geschrieben, für kluge Aufsätze oder öffentlich gehaltene Reden zum Thema deutsch-deutsche Wiedervereinigung. Und der Satz stimmt ja auch. Er hat sich als richtig erwiesen, in vielerlei Hinsicht.

"Der Mauerspringer" von Peter Schneider

Das Zitat stammt aus dem Buch "Der Mauerspringer" von Peter Schneider aus dem Jahre 1982. Über 35 Jahre nach seinem Erscheinen trifft man in Schneiders Buch, das man eigentlich nicht als Roman bezeichnen kann, weil es so viele essayistische und journalistische Passagen enthält, mit Erstaunen auf manche solcher Sentenzen.

Deutsch-deutsche Begegnungen in Berlin

Es ist ein Buch über das Berlin der frühen 1980er Jahre – gemeint sind beide Teile der damals noch geteilten Stadt. Ein Schriftsteller aus dem Westen besucht einen Kollegen aus dem Osten, die beiden tauschen sich aus über deutsch-deutsche Befindlichkeiten. Vor allem aber geht es um eine Handvoll Menschen, die die Grenze überwinden, als existiere sie gar nicht: Mauerspringer eben.

Es sind überwiegend skurrile Typen, die sich fast schon einen Spaß daraus machen, die Grenzschützer aus der DDR, aber auch West-Beamte zu narren, indem sie immer wieder die Seiten wechseln. Manche aus dem Osten wollen für ein paar Stunden nach West-Berlin, nur um ins Kino zu gehen. Andere haben gewichtigere Gründe, wollen dem verhassten System aus dem Osten eine lange Nase drehen. Einige authentische Figuren sind darunter, die Schneider aus der deutschen Nachkriegs-Teilungsgeschichte herausgefischt und in sein Romankonstrukt eingearbeitet hat.

Peter Schneider, Schriftsteller
Blick aus dem Fenster über den (linken) Tellerrand: der Schriftsteller Peter SchneiderBild: Imago/K. Schubert

Peter Schneider serviert seine Botschaften ironisch und nicht verkrampft

Neben den erzählerischen Passagen, hört man in dem Buch "Der Mauerspringer" immer wieder den engagierten, linken Zeitgenossen heraus. Peter Schneider gehörte zu den führenden intellektuellen Köpfen der 68er-Bewegung. Doch vor allzuviel Gedankenhuberei bewahrt den Leser Schneiders Gabe, über den (linken) Tellerrand hinausblicken zu können. So wirken manche Passagen zwar ein wenig sperrig, doch es sind im Rückblick erhellende Einsichten, die uns der Autor vermittelt:

"Die deutsche Frage hat (…) in dreißig Jahren Speck angesetzt, und man kann nicht behaupten, dass sich die Deutschen westlich der Elbe sonderlich damit quälen. Es gibt Beauftragte, die sich mit dieser Frage beschäftigen; sie haben immer mehr Mühe, ihr Publikum wach zu halten. Zwar hat die Verfassung eine Lösung der deutschen Frage in Auftrag gegeben, aber die Erregung in Parlamentsdebatten, das Ringen um Begriffe wie 'Wiedervereinigung' und 'Nation' wirken künstlich."

Film Der Mann auf der Mauer, Regie Reinhard Hauff
Regisseur Reinhard Hauff verfilmte Schneiders Buch 1982 mit Marius Müller-Westernhagen und Karin BaalBild: picture-alliance/Keystone/Röhnert

Noch heute, fast vier Jahrzehnte nach Erscheinen des Buches, ermöglicht "Der Mauerspringer" tiefe Einblicke in deutsch-deutsches Seelenleben zu Beginn der 1980er Jahre. So kann man das Buch als fiktionale Ergänzung zu dicken historischen Wälzern hinzuziehen, wenn es darum geht, sich ein Bild über deutsch-deutsche Geschichte zu machen. Es erzählt viel über die Deutschen in Ost und West zu einer Zeit, die heute fern erscheint, aber im Grunde genommen nicht allzu lang zurückliegt. 

 

Peter Schneider: "Der Mauerspringer" (1982), erhältlich im Rowohlt Verlag

1940 in Lübeck geboren, wuchs Schneider in Königsberg, in Sachsen und in Süddeutschland auf. Nach dem Studium engagierte er sich früh für die SPD, war u.a. Redenschreiber für Willy Brandt. Aktiv in der 68er Studentenbewegung, wurde er zeitweise mit einem Berufsverbot belegt. Seit den frühen 70er Jahren hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht, Romane, Erzählungen, Essays und Erinnerungen. Seine Erzählung "Lenz" von 1973 war ein Kultbuch der Studentenbewegung.