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Politik

Pfarrer Germer: "Es ist und bleibt unfassbar"

Udo Bauer kk
17. Dezember 2018

Vor zwei Jahren lenkte ein Dschihadist einen LKW auf den Weihnachtsmarkt neben der Gedächtniskirche in Berlin. Zwölf Menschen starben. Pfarrer Martin Germer über die Schwierigkeiten des richtigen Umgangs mit der Tat.

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Berlin Terroranschlag Breitscheidplatz 2016
Terror: Angriff auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016Bild: picture-alliance/dpa/B.v. Jutrczenka

Martin Germer: "Wir stehen zusammen"

Nein, gegeneinander aufbringen ließen sich Christen und Muslime in Deutschland nicht, sagt Martin Germer, Pfarrer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin - eben jener Kirche, in deren unmittelbarer Nachbarschaft vor zwei Jahren zwölf Menschen aus mehreren Ländern durch das Attentat eines Islamisten getötet und viele weitere verletzt wurden. Sie alle besuchten einen Weihnachtsmarkt, in den der Terrorist einen LKW steuerte.

In den Wochen des zweiten Jahrestags sei er mit den Erinnerungen an das Attentat ständig befasst, berichtet Germer im DW-Interview der Woche. Der Anschlag von dieser Woche auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg löse wie auch andere Angriffe zusätzliche Erinnerungen aus. Er stärke aber auch die Aufmerksamkeit. "Denn an welchem öffentlichen Ort auch immer man sich aufhält: eine Grundgefährdung gehört dazu."

Gleichzeitig, so Germer, denke er immer auch an die Menschen in Bagdad oder in anderen Teilen der Welt, wo derartige Attentate zum Alltag gehörten.

"Das ist und bleibt unfassbar"

An das Attentat vom Breitscheidplatz habe er noch deutliche Erinnerungen, sagt Germer. An die Gespräche mit den Schaustellern etwa, die ihm ihre Erschütterung bekundeten - mit denen er bald aber auch die Frage klären musste, wie es nach dem Anschlag weitergehe. Auch habe er den Gottesdienst organisiert, der dann vom Fernsehen übertragen worden sei. Dessen Botschaft hätten viele Menschen als ausgesprochen wichtig empfunden. "Wir lassen uns nicht auseinandertreiben oder gegeneinander bringen. Sondern wir stehen zusammen, das war ja im Prinzip die Hauptbotschaft dieses Fernsehgottesdienstes."

Pfarrer Martin Germer
Pfarrer Martin Germer: "Christen und Muslime lassen sich nicht auseinander bringen."Bild: DW

Natürlich sei ein Attentat wie das vom Breitscheidplatz eine ungeheuer brutale Tat, sagt Martin Germer. "Das ist und bleibt unfassbar. Wie vieles andere in der Welt zeigt es, wie kaputt Menschen sein können, dass sie so etwas tun."

Das Attentat habe nicht zuletzt auch Wut ausgelöst. Die habe verschiedene Gründe, unter anderem den mangelhaften Umgang der Behörden mit den Opfern und ihren Nöten. "Die Behörden waren auf so etwas noch nicht eingestellt, zudem gab es Ermittlungspannen oder mangelnde Kommunikation zwischen Sicherheitsbehörden im Vorfeld."

Täter stärker im Focus als die Opfer

Ungeschicktes Verhalten habe es aber auch auf höherer Ebene gegeben. "Dass etwa die Kanzlerin lange keinen Kontakt zu den Angehörigen aufgenommen hat, wird sie sicher im Nachhinein auch bedauert haben." Allerdings glaubt Germer auch, dass man aus solchen Erfahrungen lernen werde: "Ich bin geneigt zu sagen, dass alle versucht haben, ihr Bestes zu tun."

Als irritierend habe er aber auch den Umstand erfahren, dass in der Berichterstattung zu dem Anschlag immer Name und Bild des Attentäters erwähnt und gezeigt wurden. "Das wäre für die Berichterstattung überhaupt nicht notwendig gewesen. Aber es hat immer wieder den Eindruck entstehen lassen, über den Täter wird mehr berichtet als über die Opfer."

Keine Angstgefühle

Über Monate hat Germer Gespräche mit den Opfern und ihren Angehörigen geführt. Dabei habe er vieles über sich selbst gelernt, sagt er. Vor allem eines habe ihn überrascht: Das Attentat habe bei ihm kaum Angstgefühle ausgelöst.

Dankbar sei er vor allem für eines gewesen: "dafür, dass ich in den Situationen, in denen ich dann auch um Stellungnahmen gebeten wurde, offenbar in aller Regel die richtigen Worte gefunden habe."

Straßburg Weihnachtsmarkt nach Anschlag
Normalität unter Stress: Szene vom Straßburger Weihnachtsmarkt nach dem Anschlag am 14.12.2018Bild: Patrick Hertzog/AFP/Getty Images

"Verzeiht der Gott der Christen einem Menschen wie dem Attentäter Anis Amri?", wollte Moderator Udo Bauer wissen. "Ich glaube", antwortet Germer, "dass es in der Weite des göttlichen Herzens auch für einen Menschen, der so etwas Schreckliches tut, noch Raum gibt." Er glaube zudem, dass Amri ein "verkruxtes Leben" gehabt habe. Das solle die Tat nicht entschuldigen. "Aber es sollte auch heißen, wir sollten da nicht auf einem hohen Ross sitzen und uns moralisch unendlich überlegen fühlen."

Warnung vor generellen Schuldzuweisungen

Nach dem Attentat engagierte sich Germer für einen gemeinsamen Gottesdienst von Christen und Muslimen. Der Grund habe auf der Hand gelegen: "Ich weiß aus meiner bisherigen Kenntnis im Umgang mit Muslimen, dass ein ganz großer Teil der Muslime in unserem Land völlig entfernt davon ist, den eigenen Glauben mit so einer Art von Gewalt in Verbindung zu bringen. Das, was eine kleine, kleine Minderheit von islamistisch angestifteten Leuten in Deutschland und in anderen Ländern tut, darf nicht den Muslimen insgesamt angelastet werden."

Das Gespräch führte Udo Bauer.

Redaktionelle Zusammenfassung: Kersten Knipp.