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Physik gegen Migräne

Frank Grotelüschen26. März 2008

Migräne ist eine Volkskrankheit. Doch wissen Mediziner oft keinen Rat für geplagte Patienten. Nun haben sich Physiker des Problems angenommen - und sind vielleicht den Ursachen der Krankheit auf die Spur gekommen.

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Kopfschmerz-Attacken treffen einen mitunter wie der Blitz: Mann mit Kopfschmerzen (Foto: Bilderbox)
Kopfschmerz-Attacken treffen einen mitunter wie der BlitzBild: BilderBox

Migräne - das assoziiert man gemeinhin mit bohrenden, quälenden Kopfschmerz-Attacken. Bei manchen Betroffenen aber geht dem Schmerz eine Art Vorläufer voraus. Experten wie Markus Dahlem vom Institut für Theoretische Physik sprechen von der Aura. Es gibt dann, so der Physiker, alle möglichen neurologischen Reiz- und Ausfallerscheinungen, die im Wesentlichen die Sinne betreffen. Beispielsweise den Sehsinn. Doch die Symptome reichen bis zu Wortfindungsschwierigkeiten. "Es gibt einen ganzen Zoo von Symptomen. Wenn die auftreten, dann weiss der Patient: In einer halben Stunde tritt mein Kopfschmerz ein", sagt Dahlem.

Etwas läuft durch das Gesichtsfeld

Seit einigen Jahren ist klar, dass diese Aura mit einer so genannten Erregungswelle zusammenhängt. Darunter versteht man eine gesteigerte Aktivität der Hirnzellen, die im Hinterkopf in der Sehrinde entsteht und sich mit einer Geschwindigkeit von drei Millimetern pro Minute ausbreitet. Die Folge: Der Patient merkt, dass etwas durch sein Gesichtsfeld läuft - beispielsweise vom Zentrum des Gesichtsfelds nach außen. Das entspreche einer Welle, die in der Sehrinde läuft, sagt Dahlem. Der Teil der Sehrinde, der betroffen ist, funktioniert nicht mehr richtig und gaukelt dem Patienten vor, dass er dort was sehen würde, was gar nicht da ist.

Diese Aura dauert etwa 30 Minuten - und kann gefährlich werden. So könnte ein betroffener Autofahrer genau dort eine leere Straße wahrnehmen, wo in Wirklichkeit gerade ein Radfahrer fährt. Wodurch eine Aura ausgelöst wird - das versuchen die Berliner Physiker mit Hilfe von Computersimulationen herauszufinden.

Erregungswelle durch elektrische Pulse

Diese Simulationen bilden zwar nicht das gesamte Hirn im Rechner nach, wohl aber einige der entscheidenden Mechanismen, sagt Professor Eckehard Schöll: "Das sind die Neuronen, die auf der Sehrinde angeordnet sind. Die sind miteinander vielfach verknüpft und verbunden. Sie sind über weite Verbindungen miteinander verschaltet. Wenn hier elektrische Pulse entlang laufen, haben wir eine Erregungswelle."

Besonders wichtig scheinen dabei die so genannten Rückkopplungen zu sein. Jede Hirnzelle besitzt Empfangs- und Sendeantennen. Mit diesen Antennen kann sie mit anderen Zellen kommunizieren und bei Bedarf auch die gerade empfangenen Signale rückkoppeln, das heißt, an andere Zellen zurückspeisen.

Fehlende Rückkopplungen als Ursache?

Solche Rückkopplungsprozesse haben die Berliner Physiker in ihren Rechnern ablaufen lassen. Und dabei folgendes gefunden: "Nehmen wir an, diese Rückkopplung ist vorhanden, und unser Modell befindet sich in einem Bereich, in dem sich keine Welle ausprägen kann. Das wäre das Modell eines Gesunden. Wenn wir jetzt diese Rückkopplung unterdrücken, dann verschiebt sich die Grenze plötzlich in einen Bereich, in dem sich Wellen ausbreiten können", sagt Schöll. Das legt den Verdacht nahe, dass es die fehlenden Rückkopplungen sind, die für die Entstehung der Erregungswelle verantwortlich sind - und damit für die Migräne-Aura.

Vielleicht, so spekulieren nun manche Experten, ließe sich die Aura verhindern, indem man die fehlenden Rückkopplungen künstlich von außen zuführt. Nur: Wie soll das aussehen? Forscher aus Jülich setzen auf eine Art Brille. Spezialsensoren am Hinterkopf messen die Hirnströme. Ihre Signale steuern Dioden, die vorne in der Brille eingesetzt sind. Diese Dioden produzieren helle, flackernde Lichtblitze. Dem Betroffenen, der die Brille auf der Nase hat, werden dadurch die eigenen Hirnimpulse zeitverzögert als visuelle Reize vorgespielt. Diese Reize beeinflussen dann wieder die Neuronen im Gehirn.

Aura als Ursache oder weiteres Phänomen?

Die Hoffnung: Die flackernden Lichtmuster aus der Brille dämpfen die Erregungswelle und unterdrücken damit die Aura. Getestet wurde die Brille bislang nur bei Gesunden, mit durchaus vielversprechenden Ergebnissen. Ob sie auch bei einer Migräneattacke wirkt, muss sich noch zeigen. Und ob dann nicht nur die Aura, sondern womöglich sogar der Kopfschmerz ausbleibt, ist derzeit noch nicht zu sagen. Denn ob die Aura die Ursache für den Schmerz darstellt oder nur eine zusätzliche Begleiterscheinung - darüber streitet die Fachwelt noch.