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"Wir haben das Ausmaß der Krise unterschätzt"

Max Hofmann ar
20. August 2018

EU-Wirtschaftskommissar Piere Moscovici sieht den EU-Rettungsschirm für Griechenland als Erfolg. Im DW-Interview sagte er, die Sparpolitik sei manchmal zu hart, insgesamt aber unvermeidlich gewesen.

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Pierre Moscovici im DW-Interview
Pierre Moscovici (r.) im DW-Interview Bild: DW/E. Mears

DW: Herr Moscovici, die EU-Kommission sagt, ein neues Kapitel für Griechenland sei aufgeschlagen. Doch für die Bürger scheint alles bei Alten zu bleiben: hohe Arbeitslosigkeit, hohe Steuern, schlechte Renten. Sehen Sie das auch so?

Pierre Moscovici: Nein! Wir schlagen ein neues Kapitel auf. Griechenland ist schon weit vorangekommen - auch was die Arbeitslosigkeit angeht. Die ist von 27 Prozent auf weniger als 20 Prozent gesunken. Ich weiß, das ist immer noch viel zu hoch. Aber ich glaube, dass die festen Strukturen, die wir nun in Griechenland aufgebaut haben, dem Land helfen, für Investoren wieder interessant und konkurrenzfähig zu sein sowie viele neue Jobs zu schaffen. Viele Griechen werden jetzt sehen, dass die Anstrengungen, die sie auf sich genommen haben, Früchte tragen. Um Missverständnisse auszuräumen: Nicht die Sparpolitik ist der Grund für die Krise in Griechenland. Sondern weil es eine schreckliche Krise in Griechenland gab, mussten wir neue Strukturen für Wirtschaft und Gesellschaft schaffen.

Sie haben allerdings in der Vergangenheit angedeutet, dass es vielleicht zu viel Sparpolitik gab. Ist das der größte Fehler, den die EU gemacht hat? Etwas, das nicht wiederholt werden sollte, sagen wir im Fall Italien?

Der größte Fehler war, dass wir das Ausmaß der Krise unterschätzt haben. Wir dachten, dass die Grundmauern solide wären. Aber sie waren marode. Und ja: Manchmal waren die Sparmaßnahmen zu hart. Am Ende haben wir aber die richtige Balance gefunden.

Hat das zu lange gedauert?

Wir hätten Solidarität und Aufwand vielleicht in ein besseres Gleichgewicht bringen können. Dennoch bin ich der Ansicht, dass wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben und dass es richtig für Griechenland war, ein Hilfsprogramm in Höhe von 273 Milliarden Euro zu beschließen. Das zeigt schon, dass wir an der Seite des griechischen Volkes stehen.

Manche sagen, Italien werde das nächste Griechenland sein. Das Land hat einen riesigen Schuldenberg. Haben Sie das Gefühl, dass die neue italienische Regierung der Aufgabe gewachsen ist, zu verhindern, was zuvor in Griechenland passiert ist?

Die Ausgangslage ist natürlich ganz anders: Italien ist ein Gründungsmitglied der Europäischen Union und war von Anfang an in der Eurozone.

Das macht das Land aber nicht immun gegen andere Probleme!

Italien ist das drittgrößte Land der Eurozone und hat dort das drittgrößte Bruttoinlandsprodukt. Es besitzt eine sehr kreative Wirtschaft und ist vor allem bei seinen eigenen Bürgern verschuldet. dennoch müssen wir angesichts der Höhe der Staatsverschuldung - 130 Prozent - sehr vorsichtig sein. Das muss überwacht und kontrolliert werden. Italien benötigt gesunde öffentliche Finanzen, und wir werden mit der dortigen Regierung über den Entwurf des Haushaltsplans bis Oktober sehr ernsthaft diskutieren müssen. Dazu bin ich bereit.

Aber glauben Sie wirklich, dass die derzeitige italienische Regierung der Aufgabe gewachsen ist, eine Katastrophe wie in Griechenland zu verhindern?

Ich weiß, dass sie - wie alle italienische Regierungen - einen Weg finden werden. Sie werden sich durchwursteln, und das Ergebnis dessen wird im Haushalt stehen. Ich kann nicht nach Programmen urteilen, ich will nicht nach Worten urteilen. Ich will nach den Fakten urteilen - nach Maßnahmen und Budgets.

Der Franzose Pierre Moscovici  ist Wirtschafts- und Währungskommissar der Europäischen Union. Das Interview führte Max Hofmann.