1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pierre Soulages - ein Jahrhundert Künstler

Sabine Oelze
11. Dezember 2019

Der "Maler des Schwarz und des Lichts" feiert Heiligabend seinen 100. Geburtstag. Das hält Soulages nicht davon ab, noch im Atelier zu arbeiten. Der Louvre widmet ihm eine Retrospektive, über die ganz Frankreich spricht.

https://p.dw.com/p/3UM1J
Ausstellung 'The Outrenoir(s) of Pierre Soulage
Pierre Soulages vor "Outrenoir"-GemäldenBild: picture-alliance/dpa/G. Horcajuelo

Dieser Maler ist ein Stück wandelnde Zeitgeschichte. Pierre Soulages, der am 24. Dezember seinen 100. Geburtstag feiert, hat alle Staatspräsidenten der französischen Republik kennengelernt, von Charles de Gaulle über François Mitterrand bis hin zu Emmanuel Macron. Georges Pompidou ernannte ihn zum Ritter; François Hollande verlieh ihm das Kreuz der Ehrenlegion.

General de Gaulle, der von 1944 bis 1946 Präsident der provisorischen Regierung Frankreichs war, soll ihm bei einer Begegnung kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gesagt haben, die französische Malerei sei "krank". Pierre Soulages antwortete ihm im Jargon des Militärs, nein, sie sei nicht "krank", sie würde nur gerade "attackiert". Und einer der Verteidiger ist Pierre Soulages.

Zertrümmerung des Gegenstands

Der 1919 im südfranzösischen Rodez geborene Soulages gehört zu einer Generation von Künstlern, die nach dem Krieg in Europa die abstrakte Malerei neu erfunden hat. Anfangs sucht er - genauso wie die Künstler des Informel in Deutschland -, einen Weg zu finden, wieder zu malen und an die Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts anzuknüpfen. Dazu gehört ein radikaler Bruch mit der gegenständlichen Malerei. Seit seiner ersten Ausstellung im Jahr 1947, damals ist er 27 Jahre alt, verwendet Soulages die Farbe Schwarz. Eine Farbe, die streng genommen, gar keine Farbe ist. Die figurative Malerei ist während des Nationalsozialismus zur Propaganda verkommen. Die neuen Maler betreiben eine Tabula Rasa. Soulages zertrümmert alles Gegenständliche. Er legte die Leinwand auf den Boden, um stehend mit großer Geste Farbe aufzutragen. Es entstehen abstrakte Figuren. Schichten überlagern sich und werden wieder abgeschabt.

Eigener Weg in die Abstraktion

Soulages wählt seinen eigenen Weg in die Abstraktion, was sich auch in der Wahl der Materialien, die er verwendet, zeigt: Walnussbeize – nach dem Krieg leichter zu bekommen und auch billiger als Ölfarbe - sowie Teer. Aber auch in seinen Werkzeugen, wie Rakeln und Schabern, mit denen er seine Werke bearbeitet, zeigt sich, dass er sich vom klassischen Tafelbild verabschiedet. Die Gemälde erhalten keine Titel mehr. Soulages benennt sie nach der verwendeten Technik, Abmessungen und Ausführungsdatum. Nichts soll die unschuldige Wahrnehmung des Betrachters beeinflussen. Bereits 1948 schreibt er: "Ein Gemälde ist ein organisiertes Ganzes, ein Ensemble von Formen (Linien, farbige Flächen), auf denen unsere Interpretationen entstehen und auseinander fallen."

Gemälde der Ausstellung von Pierre Soulages im Louvre in Paris
Schwarz-Tick: Werke im Louvre, gestaltet von Pierre SoulagesBild: ADAGP/Musée du Louvre/A. Mongodin

Pierre Soulages' düstere Leinwände werden schnell von New York über London bis Paris gefeiert. 1979, als er bereits seit mehr als 30 Jahre malt, beginnt über Nacht eine neue Phase seines Schaffens: eine ganz andere Art von Malerei, die er "Outrenoir" nennt - "jenseits von Schwarz" oder "Überschwarz".

Meister der schwarzen Farbe

Der Zufall hilft ihm dabei, sich noch einmal komplett neu zu orientieren. Als er eines Tages an einem Gemälde arbeitet, stimmt etwas nicht. Das Gemälde will nicht fertig werden. Soulages trägt die Farbe dicker und dicker auf, bis die gesamte Leinwand von Schwarz bedeckt ist. Das Scheitern entwickelt sich für Soulages zu einem Glücksmoment. Ihm fällt auf, dass das Schwarz auf der Leinwand nicht einfach nur schwarz ist, es reflektiert das Licht auf so vielfältige Weise, dass er beschließt, nicht mehr zu seiner alten Technik zurückzukehren. Seitdem arbeitet er am "Outrenoir". Im Gegensatz zu einem monochromen Werk sind es "die Unterschiede der Texturen, glatt, faserig, ruhig, angespannt oder aufgeregt, die beim Einfangen oder Blockieren des Lichts die grauen Schwarztöne und tiefen Schwarztöne hervorheben", sagt er im Interview mit dem Louvre.

Malen mit dem Licht

Warum schwarz? Soulages musste in den langen Jahren seines Schaffens schon häufig diese Frage beantworten. "Ich male nicht mit Schwarz, sondern mit dem Licht", sagt er in einem Interview mit dem deutsch-französischen Fernsehkanal ARTE. Damals, 1979, sei ihm schlagartig die Bedeutung des Betrachters klar geworden, in dessen Blick sich das Bild erst vollendet.

Frankreich Paris Ausstellung Pierre Soulages im Louvre
Vor Pierre Soulages haben es nur Marc Chagall und Pablo Picasso geschafft, eine Retrospektive zu Lebzeiten im Louvre zu bekommenBild: ADAGP/Archives Soulages

Doch einen gewissen Schwarz-Tick scheint Soulages schon von klein auf gehabt zu haben. Als Kind malt er ein Bild mit schwarzer Tinte und nennt es eine Schneelandschaft. Als seine Schwester ihn auslacht, antwortet er, dass er das Schwarz nur verwendet habe, um das Weiß besser zum Vorschein zu bringen. Und: Schwarz spielt außerdem eine Rolle bei seiner Hochzeit. Als er 1942 seine Frau Colette heiratet, tragen Braut und Bräutigam bei der Zeremonie, die um Mitternacht in der Kirche Saint Louis in Sète stattfindet, schwarz.

Ausstellung im Louvre zum 100. Geburtstag

Zum 100. Geburtstag schenkt der Louvre dem "Maler des Schwarz und des Lichts", so der Titel der Ausstellung, eine Retrospektive. Ein Kniefall vor dem 100-jährigen Künstler. Nur Marc Chagall und Pablo Picasso haben es vor ihm geschafft, eine Retrospektive zu Lebzeiten im Louvre zu bekommen. Jetzt sind Meisterwerke von Giotto, Ucello und sogar die Thronende Madonna von Cimabue gewichen, um die Gemälde von Soulages zu hängen. Werke, die seit Jahrhunderten nicht bewegt wurden, verlassen ihre angestammten Plätze. Die bedeutendsten Museen der Welt schicken ihre Gemälde nach Paris, darunter die National Gallery in Washington, das Museum of Modern Art in New York und die Tate Gallery in London.

Der Trubel um seine Person hält Soulages nicht davon ab, weiterhin täglich in sein Atelier zu gehen und zu malen. Über den Tod mache er sich keine Gedanken, sagt er im Interview mit einer französischen Tageszeitung. "Je me fous de ma mort, tant que mes toiles vivent"”, mit anderen Worten: ihm sei sein Tod scheißegal, solange seine Gemälde weiterlebten.

Die Ausstellung ist im Pariser Louvre vom 11. Dezember 2019 bis zum 9. März 2020 zu sehen.

Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion