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Pilgern für Klimagerechtigkeit

Karin Jäger1. November 2015

Ein rechtlich verbindliches Abkommen? Dauerhafter Klimaschutz? Für diese Grundwerte 1470 Kilometer pilgern? "Geht doch!" Dieses Motto haben die Kirchen gewählt - für ihren langen Marsch zum UN-Klimagipfel nach Paris.

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Initiative Geht doch! - Pilgern für Klimagerechtigkeit
Bild: DW/K. Jäger

Eva Katarina Agestam holt eine Flasche Wasser aus ihrem Rucksack. Wasser aus Spitzbergen - als Symbol. Denn in der Arktis ist der Klimawandel besonders sichtbar. "Das ewige Eis schmilzt. Und Wasser verbindet, weil alle Lebewesen Wasser zum Leben brauchen."

Initiative Geht doch! - Pilgern für Klimagerechtigkeit
Eva Katarina Agestam mit Wasser aus der ArktisBild: DW/K. Jäger

Dann tippt sie noch schnell eine Nachricht in ihr Smartphone. "Das Gerät habe ich mir von unserer Kirche ausgeliehen. Bei Facebook habe ich 900 'Followers' und das Posten bei Instagram habe ich mir für unsere Aktion angeeignet."

Ein Tag der Symbolik

Die 53 Jahre alte Pilgerin aus Schweden trägt Rock und Sandalen. "Heute ist Ruhetag. Wir laufen nicht weit", erklärt die evangelische Pfarrerin ihr Outfit. Es geht nur weniger Kilometer am Bonner Rheinufer entlang, aber es ist ein Tag der Symbolik. Denn die Pilger um Agestam werden bei einem Vortrag der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) vom Engagement der Bundesregierung in Partnerländern erfahren. Die GIZ entwickelt Strategien zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels.

Vorher machen sie Halt beim Weltklimasekretariat (UNFCCC) der Vereinten Nationen in der ehemaligen Bundeshauptstadt. Die sieben Langzeitpilger werden von etwa 150 Tagespilgern begleitet, zu denen an diesem Tag wieder Schülergruppen und Kirchenvertreter wie der Trierer Bischof Stephan Ackermann zählen: "Der Erhalt der Schöpfung ist der Urauftrag der Kirchen. Gott hat uns seine Schöpfung anvertraut. Wir sollen sie hüten, pflegen und nicht ausbeuten."

Es gehe auch um Gerechtigkeit, fährt der hohe Geistliche fort: "Wir müssen beim Klimawandel die soziale Frage in den Blickpunkt rücken, weil er massive Auswirkungen auf die Länder des Südens hat." Er selbst wohne in einem energetisch sanierten Haus, versuche Standby-Funktionen auszuschalten und sei in Trier meist zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs.

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Bischof Ackermann diskutiert mit SchülerBild: DW/K. Jäger

Beeindruckt zeigt sich der Bischof vom Wissen der Schüler. Der neunjährige Jakob läuft mit, "um gegen Autoabgase, Atomkraft Braunkohlekraftwerke" zu protestieren: "Weil die Ozonschicht irgendwann kaputt ist. Und dann kommen die tödlichen UV-Strahlen auf die Erde. Das ist schlecht für die Augen", begründet er sein Engagement. Katharina liebt Tiere. "Wenn es heißer wird auf der Erde, sterben sie, und auch wir haben keine Zukunft mehr." Im Sachunterricht sprechen die Schüler oft über den Klimawandel, erfährt Ackermann von den Kleinen.

Fünf vor Zwölf bei den Vereinten Nationen

Punkt fünf vor Zwölf beginnt er vor dem hohen Sicherheitszaun des UN-Klimasekretariats mit dem Gottesdienst. Auch eine Abordnung von Mitarbeitern der Vereinten Nationen ist dabei: "Es ist höchste Zeit. Wir müssen vor der vollen Stunde ankommen, uns engagieren. Wenn es erst zwölf Uhr ist, ist es zu spät." Ackermann appelliert an Staaten, Politiker und die Menschen, bereit zu sein, verbindliche Klimaziele festzuschreiben und diese auch einzuhalten. "Es fehlt ein Mangel an Verantwortungsbewusstsein", zitiert der Bischof Papst Franziskus.

Hindou Oumarou Ibrahim versteht nicht, was der katholische Kirchenmann predigt, aber auch sie will ein Zeichen setzen. Am Vortag war sie bei der Exkursion ins rheinische Braunkohlerevier Zeuge, "wie die Menschen die Erde ausbeuten, um den Energiehunger mit fossilem Brennmaterial zu stillen". Sie war entsetzt von dem riesigen Loch in der Erde und erzählt von den Auswirkungen des Klimawandels in ihrem Land: "Der Tschadsee ist um 95 Prozent geschrumpft. Die Menschen müssen fliehen, weil es keine Fische mehr gibt, Ackerpflanzen verdorren und die Temperaturen von 50 Grad Celsius in dem zentralafrikanischen Land unmenschlich sind."

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Melvin Purzuelo (li.) und Hindou Oumarou Ibrahim vor dem Bonner UN-KlimasekretariatBild: DW/K. Jäger

Melvin Purzuelo nickt verständnisvoll. Er stammt von den Philippinen. Und auch er wurde von der Organisation Oxfam nach Deutschland eingeladen. Der verheerende Wirbelsturm Hayan, der im November 2013 große Teile seiner Heimat verwüstete, ist seitdem präsent in seinem Kopf. "Wissenschaftliche Daten zeigen, dass die Industriestaaten eine Mitverantwortung an der Katastrophe tragen, weil sie für den massiven Ausstoß von Treibhausgasen verantwortlich sind, der die Erde zunehmend erwärmt."

In Schweden gibt es viel Natur, aber längst auch keine heile Welt, gibt Eva Katarina Agestam zu verstehen. Energie werde verschwendet. Es wurden Flüsse begradigt, was Hochwasser begünstigt, und Seltene Erden werden gefördert, um sie in Smartphones und Elektromotoren einzubauen. Auf dem Weg durch Deutschland habe sie der Austausch mit anderen auf ihrem spirituellen Weg ermutigt: "Die Energiewende ist spannend. Da sind die Deutschen den Schweden voraus", glaubt sie. "Aber vielleicht ist auch das Bewusstsein in unserer Pilgergruppe besonders groß für Aspekte wie Stromsparen."

Schöpfungsverantwortung in die Öffentlichkeit bringen

Initiative Geht doch! - Pilgern für Klimagerechtigkeit
"Geht doch" - Pilger auf dem Weg zum UN-KlimasekretariatBild: DW/K. Jäger

Ich möchte noch etwas hinzufügen, sagt Eva Katarina Agestam zum Abschied: "Mir ist die Öko-Theologie sehr wichtig. Wir können doch nicht über Gott sprechen und zugleich Sünde an der Erde begehen. Daher pilgere ich, wandere mit religiöser Intension."

Am 28. November will die Pilgergrupp in Paris sein - pünktlich zum Beginn der entscheidenden Weltklimakonferenz. Zehn Wochen nach dem Start in Flensburg. Bis dahin werden die Teilnehmer noch täglich 20 Kilometer gehen, bewusst "Schmerzpunkte" erleben wie das Braunkohlerevier und Kraftorte aufsuchen. Orte, die Hoffnung geben wie das UN-Klimasekretariat.