1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pinscher oder Don Quichotte?

2. April 2006

Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter des so genannten Dokumentartheaters in Deutschland: Rolf Hochhuth. Er sorgt noch immer für Aufsehen, obwohl er am 1. April 75 wurde.

https://p.dw.com/p/8A9E
1963 ein Skandal: Uraufführung von Hochhuths "Der Stellvertreter"Bild: picture-alliance / dpa

Es war schon ein gewaltiger Theaterskandal. 1963 wurde Papst Pius XII. von einem deutschen und zudem evangelischen Dramatiker auf der Bühne als opportunistischer Schwächling gezeigt. Provokationen im Theater waren damals noch wirkungsvoll, und es war der damals 31-jährige Rolf Hochhuth, der sich mit diesem Donnerschlag als Autor des Stücks "Der Stellvertreter" zu Wort meldete.

Als "Pinscher" gehörte er in den 1960er Jahren zu den von Bundeskanzler Ludwig Erhard beschimpften Schriftstellern, die es wagten, sich die die frühen sozialen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik einzumischen. Mit manchmal scharfem Ton, der ihm auch den Ruf des Eiferers eingetragen hat, fragt Hochhuth auf der Bühne, in Reden und Essays immer wieder nach der moralischen Verantwortung der politischen Handelnden.

Hitler, McKinsey und der Vatikan

Geboren wurde Hochhuth am 1. April 1931 im beschaulichen nordhessischen Eschwege. Der Vater war als Schuhfabrikant gescheitert, die Mutter vermögend. Der junge Rolf Hochhuth erlebte Nationalsozialismus, Judenverfolgung und die Folgen des Krieges. Im Jahr 1948, als das Leben sich in Deutschland langsam wieder normalisierte, stand sein Entschluss fest: Er wollte Schriftsteller werden und verließ noch vor dem Abitur die Schule.

Uraufführung McKinsey kommt von Rolf Hochhuth
Auch umstritten: das Theaterstück "McKinsey kommt"Bild: dpa zb

"Für mich, den ehemaligen Pimpf in Hitlers Jungvolk, den Schwiegersohn einer von Hitler Enthaupteten, mit zehn Jahren Augenzeuge des Abtransports von Juden - für mich liegt die Auseinandersetzung mit Hitler allem zugrunde was ich schrieb und schreibe", sagte Hochhuth 1976 in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". Der Vatikan und Wirtschaftsbosse als "Arbeitsplatzkiller" wurden zu weiteren Angriffszielen, mit denen er von sich reden machten: mit seinem Welterfolg "Der Stellvertreter" und dem weit weniger erfolgreichen Stück "McKinsey kommt" über Massenarbeitslosigkeit, Managermacht und Profitgier.

Der Fall Filbinger

Es war ein hohes Ross, von dem aus er mit seinen Stücken unbeirrbar und wirkungsstark die Lanze eines Don Quichotte gegen alle richtete, die seinen Ansprüchen nicht genügten: Churchill ließ angeblich einen polnischen Politiker ermorden, ein amerikanischer Millionär bereitete einen Staatsstreich vor und Ernest Hemingway bekennt in den letzten Minuten vor seinem Selbstmord angeblich sein Versagen als Mensch.

1979 gelang Hochhuth ein weiterer Coup, der den Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit veränderte. Er konfrontierte den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) mit seiner Vergangenheit als Marinerichter. Filbinger trat zurück - Hochhuths Stück "Juristen" schöpfte seine Popularität aus dem Skandal um den "furchtbaren Juristen".

Fachmann für Skandale als Stilmittel

Rolf Hochhuth
Der Dramatiker Rolf Hochhuth (Archivbild)Bild: AP

Als einer der ersten deutschen Autoren reagierte Hochhuth auf die Wiedervereinigung. Seine "Wessis in Weimar" ließen die Ermordung des Treuhand-Chefs Detlev Karsten Rohwedder als nachvollziehbare Tat erscheinen. Der nächste Skandal schlug Wellen, doch diesmal geriet auch Hochhuth in den Strudel. Im vergangenen Jahr zog sich Hochhuth mit Äußerungen über den britischen Historiker und Holocaust-Leugner David Irving ausgerechnet in der rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit" den Zorn nicht nur des Zentralrat der Juden zu. Auch wenn Hochhuth klarstellte, er habe "nicht den Rechten das Wort reden wollen".

Abgesehen von solchen Querschüssen hat Hochhuth aber längst seinen Platz in der Theatergeschichte gefunden. Wenn der Dramatiker auf eine politische Wirkung seiner Arbeit angesprochen wird, dann sieht er sie aber vor allem in seinen Reden und Essays zur Tagespolitik. Auf jeden Fall aber ist er in den beinahe 50 Jahren seines Publizierens ein Fachmann für den Skandal als Stilmittel geworden: ein Schriftsteller, der "politische Bomben legt", wie das New York Times Magazin ihn beschrieb. (wga)