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Pionierin

20. Mai 2010

Die iranische Menschenrechtlerin Shirin Ebadi hat den Internationalen Demokratiepreis Bonn erhalten. Ihr Einfluss und ihre Initiativen könnten gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, meint Eskandar Abadi von DW-Farsi.

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Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi im Funkhaus der Deutschen Welle (Foto: DW)
Shirin Ebadi bei der Deutschen WelleBild: DW

Shirin Ebadi wuchs in einer Familie auf, in der, anders als zu der Zeit üblich, kein Unterschied zwischen Töchtern und Söhnen gemacht wurde. Schon als Kinder wurden sie, ihre zwei Schwestern und ihr Bruder, nach dem Gleichberechtigungsprinzip erzogen. 1971 schloss Ebadi ihr Jurastudium mit Auszeichnung ab und wurde im Alter von 23 Jahren eine der ersten iranischen Richterinnen. Vier Jahre später bekleidete sie als erste Frau in der iranischen Geschichte das Amt einer Gerichtspräsidentin.

Die islamische Revolution im Jahre 1979, an der sie aktiv teilnahm, beendete vorerst abrupt ihre juristische Karriere. Sie wurde zur Schreibkraft desselben Gerichtshofs degradiert, den sie zuvor geleitet hatte. Juristin zu sein, bedeutet jedoch, positiv zu denken und immer wieder nach Lösungen zu suchen. So ist Ebadi denn auch zeitlebens ihrem Fach, ihrem Beruf und der damit verbundenen inneren Einstellung treu geblieben.

Frauen nur die Hälfte wert?

Auf die Frage, was sie dazu führte, eine Bürgerrechtlerin und Menschenrechtsaktivistin zu werden, hat sie einmal erklärt, sie sei mit dem Gedanken der Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgewachsen und man habe ihr als Richterin immer Respekt entgegengebracht - unabhängig von ihrem Geschlecht. Doch dann kam die Islamische Revolution und mit ihr ein neues islamisches Strafgesetzbuch. "Und ich las in diesem Gesetz, dass ich die Hälfte eines Mannes wert bin", erinnert sie sich. "Hätten mein Bruder und ich einen Unfall, würde er im Vergleich zu mir doppelt entschädigt werden. Nur weil ich eine Frau bin, wäre meine Zeugenaussage nur die Hälfte der eines Mannes wert!", sagt sie. Das Gesetz sei ein Schlag gegen alle ihre bisherigen Vorstellungen gewesen. Und so entschloss sich Shirin Ebadi, dagegen zu kämpfen und sich als Juristin auf Gleichberechtigung und Menschenrechte zu konzentrieren.

Ihr Pragmatismus ist gepaart mit Gradlinigkeit und Mut zum zivilen Ungehorsam, sie wurde so zur Pionierin auf zahlreichen Feldern: Sie schrieb die ersten persischen Bücher über den Schutz von Kindern, über Copyright und über Asylrecht. Sie gründete mit ihren Mitstreiterinnen die "Gesellschaft zum Schutz der Kinderrechte" und sie richtete mit Hilfe ihrer Kollegen das "Zentrum zur Verteidigung der Menschenrechte" ein, das jedoch schon mehrfach vom iranischen Regime wieder geschlossen wurde.

Zahlreiche Initiativen

Indem sie Familien der Opfer politischer Morde und Regimekritiker als Rechtsanwältin vertrat, förderte sie das Selbstvertrauen innerhalb der iranischen Opposition. Ihre Entwürfe zum Scheidungs- und Sorgerecht, die zwar vom Parlament und der iranischen Justiz zunächst abgelehnt wurden, führten letztendlich zu einer relativen Liberalisierung der reaktionären Gesetze. Durch ihre Lobby-Arbeit wurde das Heiratsalter für Mädchen von neun auf mindestens dreizehn Jahre erhöht, was sie jedoch nur als einen "ersten Schritt in die richtige Richtung" bewertet. Und schließlich erwirkte sie mit ihrer Klage vor dem amerikanischen Bundesgericht, dass Bücher und Informationen aus mit Embargo belegten Ländern wie dem Iran wieder eingeführt werden dürfen, so dass vor allem kritische Schriften in die Vereinigten Staaten gelangen können. Die Liste der von ihr auf den Weg gebrachten Initiativen ist lang, gerade im Bereich der Frauenrechte.

Friedensnobelpreisträgerin 2003

Shirin Ebadi wurde bisher für ihren eifrigen Einsatz im Kampf für Demokratie und Menschenrechte zehn Mal national und international mit Preisen und Auszeichnungen geehrt, der bedeutendste war ohne Frage die Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 2003. Aus diesem Anlass gab damals der iranische Journalist Hadschir Palastschi eine Festschrift mit allen Stellungnahmen für oder gegen diese Auszeichnung heraus. Besonders aufschlussreich sind die kritischen Stimmen, denn gerade aus ihnen geht hervor, wie sehr sich Ebadi für die Entwicklung der Menschenrechte im Iran eingesetzt hat. Etliche Male wird sie dabei auch als "Humanistin" beschimpft, als "Anhängerin der westlichen Menschenrechte" oder eine Person, die zahlreichen europäischen und amerikanischen Menschenrechts- und Frauenorganisationen eng verbunden ist.

Auszeichnung in Bonn

Shirin Ebadi, der Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch und DW-Intendant Eric Bettermann Foto:DW)
Shirin Ebadi, der Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch und DW-Intendant Erik BettermannBild: DW

In Bonn hat Shirin Ebadi am Donnerstag (20.05.2010) den Internationalen Demokratiepreis ferhalten, für "den unerschrockenen Einsatz für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Iran", so der Vorstand des gleichnamigen Vereins, dem Deutsche Welle-Intendant Erik Bettermann vorsteht. Man wolle mit der Preisverleihung Shirin Ebadi persönlich auszeichnen, "angesichts einer sich zuspitzenden innenpolitischen Auseinandersetzung, aber auch Solidarität mit der Demokratiebewegung in Iran zeigen", so Bettermann. Für die Anwältin ist dieser Preis auch all den Menschen und Gruppen gewidmet, "die in den letzten Jahren für die Demokratie gekämpft und dabei kein Opfer gescheut haben", so Ebadi in einer Stellungnahme.

Es ist nicht abwegig, die Menschenrechtlerin mit dem Astronauten Neil Armstrong zu vergleichen: Sie begibt sie sich, genau wie der auf dem Mond einstmals gelandete Astronaut, auf ein sehr schwieriges Terrain. Und es kommt dem Spaziergang über die zerklüftete Mondoberfläche gleich, den konservativen und verkrampften Scharia-Anhängern und Machthabern eine Islam-Interpretation entgegenzusetzen, die mit der Erklärung der Menschenrechte der UN konform geht.

Bei seiner Mondlandung am 21. Juli 1969 sagte Armstrong: "Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein weiter Sprung für die Menschheit" - Shirin Ebadis Schritte vorwärts zu einer Demokratie im Iran mögen klein sein, wie sie selbst immer wieder betont, sie sind aber ebenso ein weiter Sprung für die internationale Gemeinschaft.

Autor: Eskandar Abadi
Redaktion: Ina Rottscheidt