1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Piratenpartei will in den Bundestag

5. Oktober 2011

In Meinungsumfragen kommen sie auf stolze acht Prozent, mehr als FDP oder Linkspartei. Das scheint anzuspornen. Denn nun formulieren die Neulinge in der deutschen Politik auch sehr deutlich bundespolitische Ambitionen.

https://p.dw.com/p/12m9w
Die Piraten wollen nicht entern, sondern ändern - Wahlplakat im August 2011 in Berlin (Foto: dpa)
Die Piraten wollen nicht entern, sondern ändernBild: picture alliance/dpa
Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Sebastian Nerz (r-l), die Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband und der Fraktionschef der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, Andreas Baum (Foto: dpa)
Bundesvorsitzender Sebastian Nerz (r-l), Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband und der Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Andreas BaumBild: picture-alliance/dpa

Dass Politik auch von der Kraft der Inszenierung lebt, wissen die Piraten bereits. Ihre politische Geschäftsführerin ist 24 Jahre jung und wurde in der Ukraine geboren. Wie ihre berühmte Landsmännin, die Revolutionärin und ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko, trägt Marina Weißband einen geflochtenen Zopf als Haarkranz, ist weiblich-elegant gekleidet und kann auf Fragen mit scharfem Ton oder strahlend lächelnd antworten.

Auch dem Bundesvorsitzenden der Piraten, dem 28-jährigen Sebastian Nerz, merkt man den Willen zur Macht an: Im grauen Businessanzug parliert er ausgesprochen souverän und lässt sich auch bei hartnäckigen Fragen nicht aus der Ruhe bringen. Nur der Berliner Fraktionsvorsitzende Andreas Baum sieht mit Kapuzenpulli und Jeans aus, wie man sich einen Partei-Piraten vorstellt. Obwohl auch das eigentlich angepasst ist, denn es ist typischer Berlin-Style.

Die Piraten wollen zur nächsten Bundestagswahl im Jahr 2013 antreten, so lautete die zentrale Botschaft des Führungstrios am Dienstag (05.10.2011) in der Bundespressekonferenz in Berlin. Vom Etikett einer Ein-Themen-Partei wolle man nichts mehr wissen, sagte der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz: "Eine Partei, die sich - wie die Piratenpartei - als Grundrechtspartei versteht, muss selbstverständlich auch Netzpolitik abdecken. Das bedeutet aber nicht, dass wir eine Netzpartei sind."

Neues Betriebssystem

Bundesvorsitzender Sebastian Nerz (Foto: dpa)
Bundesvorsitzender Sebastian NerzBild: picture-alliance/dpa

Auch eine politische Eintagsfliege möchten die Piraten nicht sein. Sie wollen den Einstieg in eine grundlegende politische Veränderung. "Wir wollen die Bürger fragen, was sie eigentlich wollen, wir wollen die Antworten von den Leuten", sagt Marina Weißband und fährt in Computerdeutsch fort: "In diesem Sinne haben wir nicht bloß ein neues Programm anzubieten, sondern ein Betriebssystem."

An beidem - Programm und Betriebssystem - arbeiten die Piraten noch, das gaben sie frech und frei zu. Weder zur Eurokrise, der Libyenfrage oder dem Afghanistan-Einsatz wussten die Drei eine Antwort zu geben. Aber die kämen noch - Basisdemokratie, transparente Meinungsbildung und fundierte Lösungsvorschläge würden nun einmal Zeit kosten. Auch zu einer persönlichen Meinung über die aktuell brisanten Fragen deutscher Politik wollte sich der Bundesvorsitzende nicht hinreißen lassen.

Urheberecht und Bildungspolitik

Andreas Baum, Fraktionschef der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus (Foto: dpa)
Berliner Fraktionschef Andreas BaumBild: picture alliance/dpa

Die Grundrechtsdebatte in der Piratenpartei, so scheint es, dreht sich momentan um andere Fragen. Zum Beispiel: Wie soll das Verhältnis von Freiheit und Gesetz definiert sein? Der Staat solle den Menschen frei und selbst bestimmen lassen, sagt Sebastian Nerz. Was das ganz praktisch für die strittige Diskussion um ein zeitgemäßes Urheberrecht bedeuten könne, ließ Nerz allerdings offen. Hier solle zunächst ein Runder Tisch die Arbeit aufnehmen.

Soziale Teilhabe und Bildungschancen sind ein anderes vieldiskutiertes Thema der neuen Partei. "Wenn ich das Geschehen in einem Staat verstehen will, brauche ich Wissen und Bildung", sagt Marina Weißband. Bildung sei deshalb ein zentraler Punkt bei den Piraten - und zwar Bildung von frühester Kindheit an. "Das ist Grundvoraussetzung für die Wissens- und Informationsgesellschaft, die wir schaffen wollen."

Die Piraten geben sich selbst das Etikett "sozial-liberal", ohne sich allerdings ins gängige Links-Rechts-Schema pressen lassen zu wollen. Denn dieses sei historisch überkommen und nicht in der Lage, die Komplexität des politischen Alltags und vor allem den eigenen Zielen wiederzuspiegeln, erklärt Sebastian Nerz. "Wir haben eine sehr engagiert Sozialpolitik, die man vermutlich als links bezeichnen könnte. Wir vertreten eine klassische Bürgerrechtspolitik, die man üblicherweise mittig einordnet. In anderen Themenbereichen vertreten wir Aspekte, die es so überhaupt noch nicht gab."

Zu wenige Frauen?

Die Berliner Piraten feiern ihren Wahlsieg (Foto: dapd)
Die Berliner Piratinnen und Piraten feiern ihren WahlsiegBild: dapd

Einer dieser neuen Aspekte ist die Geschlechterpolitik. In den letzten Wochen hagelte es in der deutschen Presse Kritik, dass bei den Piraten zu wenige Frauen seien. Stellvertretend für die Piratenfrauen erklärte Marina Weißband dazu: "Die Piraten fragen nicht nach männlich oder weiblich." Deshalb wüssten sie auch nicht genau, wie viele Frauen unter ihnen seien. Natürlich wolle auch sie mehr Frauen in der Piratenpartei haben, aber: "Aus irgendwelchen Gründen haben Frauen weniger Interesse an politischen Parteien und weniger Interessen an Computerthemen, aus denen die Piratenpartei traditionell kommt. Diese Gründe liegen wahrscheinlich in der Sozialisation." Mit wie vielen Frauen letztendlich auch immer, die Piraten wollen regieren, das haben sie in Berlin deutlich gemacht.

Nicht deutlich gemacht haben sie, mit wem sie regieren wollten. Außer mit extremistischen Parteien sei jede Koalition vorstellbar, heißt es dazu. Denn im Vordergrund stünden Inhaltsfragen, also die Themen, die man durchsetzen möchte. An dieser Stelle klingen die Piraten wie manche Politiker der Grünen-Partei, die vor mehr als 30 Jahren anfingen, die deutsche Politik zu verändern und seit diesem Jahre erstmals in einem Bundesland einen Ministerpräsidenten stellen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Prozess der politischen Etablierung bei den Piraten weitaus schneller gehen könnte, auch wenn es im Moment inhaltlich noch an vielen Stellen hapert.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Hartmut Lüning