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Politik

Polen: Bitte nochmal zählen

23. Oktober 2019

Die PiS hat die Parlamentswahl gewonnen, aber die Wahl zum Senat knapp verloren. Jetzt will sie eine Neu-Auszählung durchsetzen. Die Opposition wittert einen Anschlag auf die Demokratie und bringt sogar Stalin ins Spiel.

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Polen Nationalkonservative PiS-Partei gewinnt Parlamentswahl | Auszählung
Kommt es zu einer Neu-Auszählung der Stimmen in Polen?Bild: Imago-Images/ZUMAPress/P. Twardysko-Wierzbicki

Auf den ersten Blick handelt es sich um eine formale Frage. Politiker der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bestreiten, dass hinter ihrer Forderung einer Neu-Auszählung der Stimmen in einigen Senats-Wahlkreisen böse Absichten stehen. Ryszard Terlecki, bisher PiS-Fraktionschef, argumentiert: "Es gibt eine Menge ungültiger Stimmen und knappe Resultate. Rein aus Interesse, aber auch um sicher zu gehen, dass wirklich richtig gezählt wurde, werden wir das prüfen."

Kein Hinweis auf Manipulation oder Fehler also: Experten halten es für gefährlich, denn das Vorgehen der rechtskonservativen PiS öffne die Tür dafür, dass künftig Wahlverlierer grundsätzlich Ergebnisse anfechten. Und tatsächlich hat die PiS die Neu-Auszählung ausschließlich für Wahlkreise beantragt, in denen ihr Kandidat knapp unterlegen war. Bei der Senatswahl, wo je Wahlkreis ein Vertreter direkt gewählt wird, hatte die Opposition gemeinsame Kandidaten ins Rennen geschickt.

Polen Nationalkonservative PiS-Partei gewinnt Parlamentswahl
PiS-Chef Kaczynski will die Neu-Auszählung der Stimmen in einigen Senats-WahlkreisenBild: AP/D. Bandic

Kaczynski - ein Schüler Stalins?

Oppositionsführer Grzegorz Schetyna, ehemaliger Außenminister in Warschau, sprach sogleich von einem "Skandal" und einem rein politischen Manöver. Die PiS tue sich schwer damit, Wahlergebnisse zu akzeptieren. "Demokratische Grundregeln sind in Polen gefährdet", warnte er. Die Kritik der Opposition zielt dabei zugleich auf die sogenannte "Justizreform". Denn für Wahlanfechtungen ist auf Grund der Justizgesetze eine neue Spezialkammer am Obersten Gericht zuständig, deren Zusammensetzung weitgehend auf die neue - umstrittene - Weise der Richterauswahl zurückgeht. Über deren Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen verhandelt zur Zeit auch der Europäische Gerichtshof. Mit anderen Worten: Die Kammer, die über den PIS-Antrag entscheidet, ist selbst umstritten. Schon Monate vor dem Wahlgang hatte ein Oppositionsabgeordneter prophezeit: "Ihr wollt mit Hilfe einer verfassungswidrigen Kammer über Wahlergebnisse entscheiden."

Schetyna verlangt, sollte es wirklich zu einer Neu-Auszählung kommen, eine "ausländische Kontrolle" und eine genaue Beobachtung der Wahl: "Wir werden denjenigen, die die Zählung machen, ganz genau auf die Finger schauen." Ihn erinnere das Vorgehen des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski an Stalin. Schon dieser habe gesagt, dass es nicht wichtig sei, wie gewählt wird, sondern wer die Stimmen zählt. "Jaroslaw Kaczynski ist ein guter Schüler und sieht es ähnlich", so Schetyna. Er warnte, bald könnten alle Wahlen so aussehen, die von der PiS nicht gewonnen würden.

Deutschland Münchner Sicherheitskonferenz 2015 MSC Grzegorz Schetyna
Oppositionsführer Schetyna fordert internationale Beobachter im Falle einer Neu-AuszählungBild: picture-alliance/dpa/T. Hase

Die über das Regierungslager hinaus angesehene Ministerin für Unternehmertum und Technologie, Jadwiga Emilewicz, bestritt in einem Interview im Privatradio, dass Richter der neuen Kammer politisch entschieden und rief dazu auf, "keine Hysterie zu verbreiten". Sie versicherte, Polen werde "die transparenteste Neu-Auszählung erleben, die es je gegeben hat".

Deutschland als Beispiel?

Doch auf welcher Grundlage eigentlich, fragt Wojciech Hermelinski, bis vor kurzem Chef der Wahkommission PKW. Gegenüber dem Privatsender TVN24 merkte er an, er erkenne keinen Zusammenhang zwischen der Zahl ungültiger Stimmen und dem Wahlasugang. "Falsch abgegebene Stimmen gibt es immer und gerade bei diesen Senatswahlen waren es mit zwei Prozent relativ wenig." Die Feststellung, dass es ungültige Stimmen gab und dass ein Kandidat verloren hat, sei an sich zu wenig, um zu protestieren.

Hinzu kommt, dass die PiS auch die Wahlkommission selbst reformiert. In der neuen Legislaturperiode sollen, anders als bislang, mehrheitlich Politiker entscheiden, wie sie zusammengesetzt ist. Wahrscheinlich werden ihre Mitglieder im März vom Präsidenten berufen - nur zwei Monate vor der nächsten Präsidentenwahl. PiS-Politiker parieren Kritk daran gern mit dem Beispiel Deutschland, wo das Innenministerium den Wahlleiter beruft. Dort spreche auch niemand davon, dass die Demokratie bedroht sei.

Polen | Proteste gegen Zwangsruhestand für Richter
Proteste in Warschau gegen die umstrittene Justizreform (3.07.2018)Bild: Reuters/Agencja Gazeta/D. Zuchowicz

Was kann der Senat?

Der Senat ist das Oberhaus des polnischen Parlaments. In einer Direktwahl werden 100 Senatoren gewählt. Die zweite Kammer des polnischen Parlaments verfügt über eine beratende Funktion bei der Gesetzgebung. Sie kann Gesetzesvorlagen, die aus dem Unterhaus (Sejm) auf ihrem Weg zum Präsidenten sind, zurückweisen. Über eventuelle Korrekturen entscheidet der Sejm, der das letzte Wort hat. Darüberhinaus hat der Senat Mitspracherechte bei einigen Personalentscheidungen.

Derweil hat nun auch die liberale Opposition die Nachzählung von Wahlkreisen beantragt, die für sie knapp verloren gingen. Sie macht geltend, dass auf Wahlzetteln das quadratische Logo des Parteienverbunds "Bürgerkoalition" dem Fenster fürs Kreuzchen derart geähnelt habe, dass einige Wähler versehentlich das Logo angekreuzt hätten.

Die für Anfechtungen zuständige Kammer hat ab dem Wahltag 90 Tage Zeit, über Anträge zu entscheiden. Dutzende Eingaben nach der Europawahl wies sie zurück. Wenn Sie es diesmal anders hält, dann könnte es sein, dass für den einen oder anderen Senator die neue Amtszeit bereits im neuen Jahr zu Ende geht.