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Politik auf dem Tiefpunkt?

Peter Stützle28. Juli 2006

Die Bundesregierung geht mit schlechten Umfragewerten in die Sommerpause. Das müsste die Opposition doch freuen. Aber auch sie bekommt miese Noten. Gibt es keine gute Politik mehr - oder erwarten die Wähler zu viel?

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Was haben sich unsere Politiker in diesem Jahr auf ihren Sommerurlaub gefreut! Vor einem Jahr war er ja wegen der vorgezogenen Bundestagswahlen weitgehend ins Wasser gefallen. Stattdessen gab es einen erbitterten Wahlkampf, dann eine extrem mühsame Regierungsbildung und anschließend stürzte man sich sofort auf die großen Reformthemen wie Föderalismus- und Gesundheitsreform. Nun also die ersehnte Verschnaufpause, bevor es mit Unternehmenssteuer-Reform, Kombilohn & Co. wieder volle Pulle weitergeht.

Krisenmission statt Urlaub

Einer der ersten, der seine Koffer packte, war Außenminister Frank Walter Steinmeier. Doch statt auf Malta Sonne, Meer und Kultur zu genießen, musste er gleich auf Krisenmission durch den Nahen Osten reisen. Dann ein Zwischenstopp im Ferien-Domizil, wo er mit seinen in alle Welt entsandten Emissären zusammentraf, um die Chancen einer Friedenslösung auszuloten. Am nächsten Morgen nach Rom zur großen Nahost-Friedenskonferenz, von dort nach Berlin zur Berichterstattung vor dem eilig zusammengetrommelten Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Und dann endlich wieder nach Malta - wer weiß für wie lange. So stellt man sich Urlaub gemeinhin nicht vor.

Schweres Gepäck für Merkel

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich in Kürze für zwei Wochen verabschieden. Wohin, sagt sie nicht, aber irgendein fotografierender Urlauber wird sie sicher bald vor der Optik haben, und dann wissen wir’s. Aber egal, wohin es geht, die jüngsten Umfragewerte dürften schwer in ihrem Gepäck lasten. Rund 35 Prozent für ihre CDU/CSU - das ist zwar so viel wie bei der letzten Bundestagswahl, aber dieses Wahlergebnis war ja auch ein Tiefpunkt im Vergleich zu den davor und danach gemessenen Umfragewerten. Da ist es kein Trost, dass es mit dem Koalitionspartner noch stärker abwärts ging und er in allen Umfragen deutlich unter 30 Prozent liegt. Die sogenannte Große Koalition ist deutlich unter die Zwei-Drittel-Marke gefallen, und rund drei Viertel der Befragten sagen, dass sie mit der Arbeit der rot-grünen Bundesregierung nicht zufrieden sind. SPD-Chef Kurt Beck sah sich schon genötigt zu warnen: "Wenn sich diese Koalition als zerstrittener Haufen darstellt, der keine Probleme löst, werden SPD und Union bei der nächsten Wahl ein Desaster erleben."

FDP nähert sich ihrem "Projekt 18"

Was den Koalitionspolitikern die Stimmung vermiest, sollte bei ihren Kollegen von der Opposition eigentlich so richtig die Urlaubsfreude steigern. Bei der Frage "Was würden sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären“, legen die Oppositionsparteien kräftig zu - allen voran die FDP, die allmählich ihrem legendären "Projekt 18" nahe kommt. Aber diese Stärke resultiert letztlich nur aus der Schwäche der Regierungsparteien. Wirklich zufrieden sind die Bürger auch mit der Arbeit der Opposition nicht - sofern sie sie überhaupt zur Kenntnis nehmen. Und über 70 Prozent der Befragten meinen, eine andere Regierung würde es auch nicht besser machen als die derzeitige.

Unfähige Politiker?

Eine weitverbreitete Haltung in der deutschen Bevölkerung ist: Die Politiker können es alle nicht. Eine Ansicht, die sich aus Erfahrung speist. Seit Jahrzehnten arbeiten sich Regierungen unterschiedlicher Zusammensetzung an den beiden großen Problemen "Arbeitslosigkeit" und "Erosion der Sozialsysteme" ab. Mit unterschiedlichen Rezepten, aber einer gemeinsamen Wirkung: Dass die jeweiligen Maßnahmen ein immer tieferes Loch in die Staatskasse rissen. Daraus zu schließen, die Politiker seien alle unfähig, ist freilich auch etwas zu kurz gedacht. Die sogenannten Experten, die immer wissen, wie man es machen müsste, hatten in der Regierung Schröder so viel Gelegenheit wie noch nie, konkret Politik zu gestalten - in der Hartz-Kommission etwa oder der Rürup-Kommission. Die Ergebnisse haben mit zum heutigen Zustand beigetragen. Wenn es keine "gute Politik" mehr gibt, dann liegt das wohl zuallererst an der Kompliziertheit der Probleme, die sich seit langem aufgestaut haben und in einer global verwobenen Volkswirtschaft immer schwerer durch nationale Politik zu lösen sind.

Den Regierungspolitikern, die jetzt am Strand oder auf Bergwiesen ihre Arbeit reflektieren, hilft diese Erkenntnis wenig. Die Bürger erwarten Lösungen. Vielleicht erwarten sie zu viel - aber die Politiker wissen: Es muss dieser Koalition gelingen, das Land wieder auf einen besseren Kurs zu bringen, sonst wird die Enttäuschung über die Politik überhand nehmen. Nicht einmal die Opposition kann ernsthaft wünschen, nach der nächsten Wahl wieder an die Regierung zu kommen, wenn die Lage dann noch verfahrener ist. Als Wähler kann man daher nur allen Politikern gute Erholung wünschen - sie werden nach der Sommerpause wieder ganz schön gefordert werden.