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Politik direkt Forum vom 18. 02. 2010

25. Februar 2010

„Was ist Heimat?"

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Teilnehmer des "Tages der Heimat" im September 2009 in BerlinBild: picture alliance/dpa

Informationen zum Thema:

Der alten Heimat verbunden - Vertriebene aus den Ostgebieten heute

Das monatelange Gezerre um die deutsche Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" zwischen der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Monika Steinbach, und der Bundesregierung hat den ganzen Verband in die Schlagzeilen gebracht. Doch wie denken Vertriebene aus dem ehemaligen Westpreußen oder Schlesien eigentlich? Was heißt für deren Kinder Heimat? Was denken sie über ihre eigene Präsidentin? Eine Reportage aus Bonn und Berlin.

Unsere Frage lautet:

„Was ist Heimat?"

Antworten unserer Zuschauer:

Margot Klatt, Schweden:

"Heimat ist für mich Freiheit. Eine heile Welt. Wo man geboren ist und seine Umgebung mit Kinderaugen kennenlernt. Wo die Kinderfüße den Erdboden berührt haben. Blühende Obstbäume, die Schaukel am Kirschbaum auf dem Hof. Eine Kuh, ein Schwein, Hühner und Gänse. Oma Berg immer in der Nähe. Heimat ist die Salbe der Seele dick aufgestrichen, um Brandschäden zu verhindern. Unser Dorf (Grabau, Kreis Schlochau, Pommern) war Ausdruck für Wohlstand. Hier eine Beschreibung von Hans Ruin. Sie gibt doch vollen Ausdruck für 'Heimat': ‚Wer da mit nackten Füßen Sommer für Sommer den gleichen Strandboden betreten hat, den gleichen Sand und das Gras, das gleiche Moos und Heidekraut, die gleichen Klippen und Steine, hat dies alles in den Fußsohlen sein Leben lang. Wie weit in der Welt die Wege ihn auch tragen’.“

Said Lassri, Marokko:

„Heimat hat nichts damit zu tun, wo man geboren oder aufgewachsen ist, auch nichts mit der Vergangenheit. Ich glaube, die Vertriebenen sind weniger anpassungsfähig als andere. Heimat ist da, wo man Vergangenheit und Gegenwart in Einklang bringen kann.“

Albrecht Hegele, Brasilien:

"Seit fast 25 Jahre lebe ich jetzt im Süden Brasiliens, ich habe mich hier gut eingelebt, hier ist meine Heimat!"

Douglas Ort, Thailand:

„Meine Eltern haben irgendwann beschlossen, in Kanada leben zu wollen und ich bin dort geboren. Diese willkürliche Wahl meiner Eltern bedeutet mir allerdings nicht so viel. Es gibt Plätze auf der Welt, wo ich lieber leben würde (…). Jetzt lebe ich in Thailand, aber ich habe auch hier nicht vor, dauerhaft Wurzeln zu schlagen; ich kann jederzeit die Zelte abbrechen. Sentimentale Gefühle für irgendeinen Ort kann ich nicht nachvollziehen. Zu den deutschen Vertriebenen kann ich nur sagen: Sie wollten mehr 'Lebensraum' und haben ihn zu Recht verloren!“

Gerhard Seeger, Philippinen:

"Menschen sind und empfinden verschieden. Einige fühlen schon nach kurzer Abwesenheit von zu Hause, was man als Heimweh bezeichnet. Andere können jahrelang weit weg sein, ohne Schwierigkeiten damit zu haben. So manche empfinden ihre Wahl-Heimat mehr als Heimat, als dort wo sie geboren wurden und aufwuchsen. Ich glaube, was Heimat ist und bedeutet, ist individuell verschieden."

Victor Chan, USA:

„Es gibt ein deutsches Wort, das dieses leidenschaftliche, mystische und freudige Gefühl gut beschreibt: Sehnsucht. Die deutschen Vertriebenen und ihre Nachkommen können diesen Teil ihrer Lebensgeschichte deshalb nicht einfach vergessen. Wenn die Sehnsucht nach der alten Heimat ihnen Orientierung und Lebensfreude gibt, dann (ist das in Ordnung, d.Red). Für mich persönlich ist Heimat ein eher schwieriger Begriff. Vielleicht ist das ein Ort, der auch dunkle Seiten haben kann, am Ende aber doch der Ort meiner Hoffnungen und Träume ist.“

Herbert Fuchs, Finnland:

"Heimat ist das schönste menschliche Wort, weil dort meist das Leben begonnen hat. Wo Eltern, Freunde und die Landschaft (…) einem Wurzeln tief ins Herz haben wachsen lassen. Heimat bedeutet auch menschliche Erinnerungen an Erlebnisse eines jeden Menschen in den ersten Jahren des Lebens - positive als auch negative. Für Menschen die ihr Leben lang (das Glück hatten, d. Red.), Arbeit und Brot und menschliche Liebe vor Ort, d.h. in der Heimat zu finden, ist das Wort leer. Aber für Menschen, die ihre Heimat durch Krieg und Vertreibung verloren haben, für solch heimatseelenkranke Menschen (ist Heimat, d. Red.) fast schon ein heiliges Wort. Im Zeitalter der Globalisierung und der offenen Grenzen verkommt es immer mehr zur Einbildung. Unsere Erde (…) ist nur noch ein Dorf. Die Welt ist (jetzt) unsere Heimat."

Rina Verwoerd, Südafrika:

"Heimat ist Muttersprache, eigene Kultur und das Zuhause der Familie."

Erwin Scholz, Costa Rica:

"Fühlt einer sich daheim,

muss es die Heimat sein.

Wo immer dieser Ort,

jagt ihn von dort nicht fort."

Helge Weyland, Argentinien:

"Heimat ist der Ort, wo die Ahnen herstammen und die Gräber dieser sind. Der Ort, an dem das Herz mit den Erinnerungen verbunden ist, wo man aufgewachsen ist. Wie sagte Heinrich Heine: 'Als ich das Heimatland aus den Augen verloren hatte, fand ich es im Herzen wieder'."

Hannelore Krause, Deutschland:

"Für mich ist Heimat dort, wo ich geboren und aufgewachsen bin, eine Familie habe und deren Folgen genieße. Heimat - seit mehr als 60 Jahren - das ist Berlin. Meine Gedanken und mein Handeln sind allerdings grenzenlos."

Rolf Bockmühl, Philippinen:

„Heute ist für mich dort meine Heimat, wo ich mich wohl fühle und wo meine Frau mit mir lebt. Meine 1986 an Krebs verstorbene, erste Frau kam aus Pommern, direkt aus Stettin. Aus einem ‚konservativen’ Haus stammend, heiratete ich 1960 ein Flüchtlingsmädchen. Es war nicht leicht, meine damalige Frau in die Familie einzubringen. Aber es funktionierte letztendlich sehr gut, als das Eis gebrochen war. Ein ‚Flichtling’ war seinerzeit schon etwas Seltsames. Durch meine Frau kam ich in Kontakt mit zahlreichen Pommern. Wir fuhren zu den Treffen, ich fand die Dinge sehr interessant. Gewiss, damals waren keine Hardliner a la Frau Steinbach in diesen Kreisen. Es ging nicht um Rückkehr, es ging um Geschichten sowie ums Brauchtum. (…) Ich habe mich lange Jahre mit diesen Dingen befasst und ich stelle fest, dass mir keine Menschen begegneten die zurück wollten, um einem Polen sein jetziges Eigentum fortzunehmen, auch wenn es früher deutscher Besitz war. Mit meiner Frau fuhren wir manches Mal in die DDR und an die Polnische Grenze. Mit einem starken Fernglas schauten wir sehnsüchtig nach Stettin. Gern wäre meine Frau einmal dorthin gefahren. Das war damals fast unmöglich. So haben wir uns an Geschichten erfreut, Bücher und Drucke gesammelt und immer von der ‚alten Heimat’ geschwärmt. Als die schlimme Grenze endlich aufging, war meine Frau leider bereits drei Jahre tot. Heute, in der neuen Ehe, schmücken noch einige Stahlstiche von Stettin mein kleines ‚Arbeitszimmer’ und im Bücherschrank steht ein Bildband über Stettin. Meine jetzige Frau kann wenig damit anfangen. Für mich sind es jedoch freundliche Erinnerungen.“

René Junghans, Brasilien:

„Es ist schwer für mich nachzuvollziehen, was Ostflüchtlinge und ihre Nachkommen zu diesem Thema denken, aber als Auswanderer, der mit nur 21 Jahren 1972 nach Brasilien gekommen ist, meine ich, dass die Heimat dort ist, wo man sich glücklich fühlt. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht auch weiterhin meiner alten Heimat Deutschland verbunden fühle, denn dort sind meine Wurzeln, ganz egal wie lange ich schon weg bin. Deshalb habe ich auch weiterhin meine deutsche Staatsbürgerschaft behalten. Mein Sohn dagegen fühlt sich zu Recht als Brasilianer, denn er ist hier geboren und aufgewachsen. Trotzdem hat er die doppelte Staatsbürgerschaft und hat kürzlich, mit 16 Jahren, seinen ersten eigenen deutschen Reisepass bekommen. Auswanderer, ähnlich wie Vertriebene, leben in einem anderen Land, aber in Gedanken kehren sie doch gerne immer wieder mal in die alte Heimat zurück. Die Verbindung bleibt durch den täglichen Kontakt mit der Deutschen Welle aufrecht erhalten. Das friedliche Zusammenleben der Völker wird eines Tages die Welt zu einer globalen Heimat machen.“


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