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Politik

"Nicht von der Türkei geißeln lassen"

Hülya Topcu
3. März 2017

Inmitten des deutsch-türkischen Konflikts dürfe man nicht vergessen, was das eigentliche Problem sei, sagt die Politikwissenschaftlerin Bilgin Ayata im DW-Interview. Es sei der Zustand der Demokratie in der Türkei.

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Deutschland Bilgin Ayata
Bild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

DW: Nach den Absagen von Wahlkampfauftritten türkischer Minister in Deutschland hat der türkische Außenminister Cavusoglu der Bundesregierung vorgeworfen, das von Staatschef Erdogan angestrebte Präsidialsystem verhindern zu wollen. Drohen die diplomatischen Spannungen zwischen den beiden Ländern zu eskalieren?

Bilgin Ayata: Die Stimmung ist derzeit offensichtlich sehr angespannt. Aber ich denke, dass die Beziehung zwischen der Türkei und Deutschland stark genug ist, diesen Konflikt auszuhalten.

Trotzdem gibt es hier auch eine Verantwortung. Wenn der türkische Außenminister oder der türkische Justizminister sich kritisch zu den Absagen äußern, muss man hinzufügen, dass deren Aussagen sehr widersprüchlich sind. Man muss bedenken, dass Oppositionsführer in der Türkei in Haft sind, dass genau dort die Meinungsfreiheit eben nicht mehr existiert - weder für die Presse noch für kritische Oppositionspolitiker.

Deutschland Bilgin Ayata
Bild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Bevor der türkische Justizminister die Meinungsfreiheit in Deutschland bemängelt, sollte er sie erst einmal auch in der Türkei gewährleisten. Es besteht jetzt die Gefahr, dass die türkische Regierung diese Absagen zum Anlass nimmt, das Problem umzukehren. Es geht natürlich nicht um die Meinungsfreiheit in Deutschland. Das wirkliche Problem, über das wir sprechen müssen, ist der Zustand der Demokratie in der Türkei.

Wie beurteilen Sie persönlich die jüngsten Absagen deutscher Kommunalbehörden an türkische Politiker?

Ich denke, dass die Absagen einen Stimmungswandel ausdrücken, der schon seit einigen Tagen sehr deutlich zu vernehmen ist - sowohl in der deutschen Öffentlichkeit als auch in der Politik. Vielen ist klarer geworden, was die Entwicklungen in der Türkei wirklich bedeuten. 

Deutsche Politiker haben mehrmals davor gewarnt, innertürkische Konflikte in Deutschland auszutragen. Wie werden sich die aktuellen Spannungen auf die in Deutschland lebenden Türken auswirken?

Dieser Satz kommt immer, wenn es irgendein Problem in der Türkei gibt, das auch die migrantische Community hier interessiert. Die gegenwärtigen Anspannungen könnten den Nebeneffekt haben, dass es insbesondere bei AKP-Anhängern zu einer Mobilisierung kommt, weil sie die Absagen vielleicht als ungerecht empfinden. Dadurch könnte sich ihre Unterstützung für Erdogan noch einmal verstärken.

Wie wichtig sind die hier lebenden Türken im Wahlkampf für die türkische Verfassungsänderung?

Sie sind äußerst wichtig. Schon bei den vergangenen zwei Wahlen hat man gesehen, dass sie in der Türkei eine wichtige Rolle einnehmen. Sie sind sozusagen das Zünglein an der Waage. Das ist natürlich auch der türkischen Regierung bewusst. Die AKP hat in Deutschland viele Unterstützer. Diese sind ein wichtiges Zielpublikum im Wahlkampf. In anderen Ländern sieht das anders aus. In England oder in der Schweiz und auch in den USA ist die türkische Opposition innerhalb der migrantischen Gemeinden stärker vertreten.

Wie sehen Sie die Zukunft der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei?

Die deutsch-türkische Eskalation

Ich denke, dass die Beziehungen jetzt sicher noch eine weitere Verschärfung erfahren werden - insbesondere dann, wenn die Türkei noch mal versucht, Druck beim Flüchtlingsdeal auszuüben. Die Lage ist derzeit jedoch brisanter für die Bundesregierung, also für die deutsche Seite. Denn sie ist diejenige, die das politische Risiko eingegangen ist, mit einer immer autoritärer werdenden Türkei eine engere Kooperation einzugehen. Der Flüchtlingsdeal wurde ja insbesondere von der Bundesregierung angestrengt. Damit ist sie natürlich für den Zustand, in dem sie sich jetzt befindet, selbst verantwortlich. Doch die Bundesregierung soll sich nicht geißeln lassen von der Türkei. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung mit der Flüchtlingskooperation Erdogan noch den Rücken gestärkt.

Bilgin Ayata ist Assistenzprofessorin für Politische Soziologie an der Universität Basel. Geboren in Ulm, erwarb Bilgin Ayata einen Master in Political Science an der York University (Kanada) und wurde 2011 an der Johns Hopkins University (USA) promoviert. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Migration, der Kurdenkonflikt und Transformationsprozesse.

Das Interview führte Hülya Topcu.