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PolitikAsien

Politischer Geisel im Iran droht Hinrichtung

Shabnam von Hein
4. Dezember 2020

Dem im Iran inhaftierten schwedisch-iranischen Wissenschaftler Ahmadreza Dschalali droht die Hinrichtung. Seine Frau glaubt, dass der Iran ihn austauschen will. Ein iranischer Diplomat ist in Belgien in Haft.

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Bildkombo Ahmadreza Jalali

Größer könnte der psychische Druck auf die Familie von Ahmadreza Dschalali kaum sein. Der im Iran inhaftierte schwedisch-iranische Wissenschaftler solle bald hingerichtet werden, sagte seine Frau Vida Mehrannia im Gespräch mit der DW. "Am 24. November wurde er zur Vorbereitung seiner Hinrichtung in Einzelhaft verlegt. Vorher durfte er mich noch einmal anrufen. Er sagte: Dies könnte unser letztes Gespräch sein." 

Die 45-jährige Mehrannia hat nach jenem Telefonat nichts mehr von ihrem Mann gehört. Sie und ihre zwei Kinder leben in Schweden. Die Familie war 2009 aus dem Iran nach Schweden ausgewandert. Dschalali ist Experte für Notfallmedizin und arbeitete als Professor am medizinischen Hochschulinstitut Karolinska bei Stockholm.

Seminar-Einladung als Falle

Dschalali wurde verhaftet, als er 2016 auf Einladung der Universität Teheran in den Iran reiste, um an einem Seminar teilzunehmen. Ein Jahr später wurde der Mediziner wegen angeblicher "Spionage für Israel" vor Gericht gestellt und im Oktober 2017 zum Tode verurteilt. Laut Teheraner Staatsanwaltschaft soll er "Informationen über streng geheime Militärprojekte in den Bereichen Forschung, Militär, Verteidigung und Nukleartechnik" weitergegeben haben.

Beweise für diese Vorwürfe wurden nicht vorgelegt. Nach dem Prozess berichtete Dschalali seiner Frau am Telefon, die iranischen Behörden hätten ihn als Agenten gewinnen wollen, er hätte in Europa spionieren sollen. Als er abgelehnt habe, sei er verhaftet worden.

Dschalali arbeitete auch in Italien und Belgien und war weltweit auf Kongressen präsent. Im Gefängnis sei er zum Geständnis gezwungen worden, berichtet er seine Frau. Ende 2017 sendete das iranische Staatfernsehen ein angebliches Geständnis Dschalalis, dem israelischen Geheimdienst Informationen über das iranische Atomprogramm übermittelt zu haben. Der 17-minütige Beitrag wurde vom Geheimdienstministerium vorbereitet. Er sollte beweisen, dass Dschalali israelischen Agenten geholfen hätte, zwei iranische Atomwissenschaftler zu ermorden.

Gefälschtes Geständnis

"Im Gefängnis habe ich mich stundenlang mit Ahmadreza Dschalali unterhalten", schrieb der Menschenrechtsaktivist Reza Khandan am ersten Dezember auf Twitter. Reza Khandan, der Ehemann der Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh, war 2018 verhaftet worden, weil er in sozialen Medien die Öffentlichkeit über die Situation seiner inhaftierten Frau informiert hatte.

Im Gefängnis lernte er Ahmadreza Dschalali kennen. "Es gib keine Beweise gegen ihn. Der Fernseh-Beitrag hat ihn schockiert. Er erzählte mir, seine Aussagen seien geschnitten und bearbeitet worden. Bilder und Informationen wurden hinzugefügt und so arrangiert, als ob es sein Geständnis wäre."

Dschalalis Hinrichtung sei verschoben worden, sagt seine Frau. "Die Behörden haben seiner Familie im Iran gesagt, dass sie von oben eine Anweisung bekommen hätten, noch ein paar Tage abzuwarte". Worauf die Behörden warten, hätten sie nicht gesagt. "Mein Man ist nur ein Opfer", sagt Vida Mehrannia. Dschalali könnte wie andere Iraner mit doppelter Staatsbürgerschaft ein Opfer politischer Geiselnahme geworden sein. Der Iran verhaftet sie und ausländliche Bürger auf Grundlage fragwürdiger Spionagevorwürfe, um sie anschließend gegen seine im Ausland inhaftierten Agenten auszutauschen.

Prozess gegen Iraner Assadi in Belgien

Gerlant van Berlaer, Leiter der Notfall- und Katastrophenmedizin im Universitätskrankenhaus Brüssel, ist ein Kollege von Ahmadreza Dschalali. Er ist überzeugt, dass dieser unschuldig ist. Auf Anfrage der DW schreibt er: "Der Iran spricht jetzt laut und deutlich über einen möglichen Tausch. Mit anderen Worten: Dschalali ist eine Geisel. Unschuldig, aber er hat anscheinend einen Preis."

Vergangene Woche hatte der Iran die australische Forscherin Kylie Moore-Gilber im Tausch  gegen drei in Thailand inhaftierte iranische Agenten freigelassen. Der Iran könnte jetzt versuchen, seinen in Belgien inhaftierten Diplomaten Assadollah Assadi im Tausch gegen Dschalali freizupressen, vermutet  der iranische-finnische Journalist Kambiz Ghafouri. "Teheran versucht seit zwei Jahren, Assadi freibekommen," sagt Ghafouri im Gespräch mit der DW. "Ich habe von europäischen Diplomaten gehört, dass der Iran vorgeschlagen hat, Assadi gegen den Wissenschaftler Dschalali auszutauschen". Belgien soll den Vorschlag bereits abgelehnt haben.

Assadi war 2018 in Deutschland verhaftet worden. Offiziell war der Diplomat in Österreich als dritter Botschaftsrat akkreditiert. Doch die belgische Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Assadi ein Agent des iranischen Geheimdienstes ist. Er wurde aufgrund eines europäischen Haftbefehls der belgischen Justiz verhaftet, weil er Chefplaner eines vereitelten Attentats auf eine Veranstaltung von Exiliranern in Paris gewesen sein soll. Assadi soll dafür einem in Belgien festgenommenen iranischen Paar Sprengstoff besorgt und es beauftragt haben, auf einer Versammlung iranischer Regimekritiker Ende Juni 2018 eine Bombe zu zünden. Der Prozess gegen Assadi und drei weitere Iraner hat vor einer Woche in Antwerpen begonnen.

Daria Safai, aus dem Iran stammende Abgeordnete des belgischen Parlaments, warnt die Regierung in Belgien vor einem Deal mit dem Iran.  "Die Islamische Republik Iran sperrt unschuldige Menschen ein, um sie gegen iranische Terroristen auszutauschen, die im Ausland inhaftiert sind." Ahmadreza Dschalali ist Thema auf EU-Außenministerebene geworden.

Sowohl die belgische wie auch die schwedische Außenministerin haben über seinen Fall mit ihrem iranischen Amtskollegen Mohammad Dschawad Sarif gesprochen. Schweden verurteile die Todesstrafe und setze sich dafür ein, dass das Urteil gegen Dschalali nicht vollstreckt wird, teilt die schwedische Außenministerin Ann Linde via Twitter mit.  Die belgische Außenministerin Sophie Wilmès soll am Mittwoch mit Sarif gesprochen haben.

Internationale Appelle

In den vergangenen vier Jahren haben sich nicht nur Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International für die Freilassung Dschalalis eingesetzt. Auch 75 Nobelpreisträger forderten in einem Brief an den iranischen UN-Botschafter, den Wissenschaftler aus dem Gefängnis zu entlassen. Die gleiche Forderung erhob Ende November die deutsche Organisation "Allianz der Wissenschaftsorganisationen", die zugleich unverzüglich eine humane Behandlung mit medizinischer Versorgung für den krebskranken Dschalali verlangte, sowie Zugang für ihn zu seiner Familie und einem Anwalt.