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Politischer Taumel am Zuckerhut

16. April 2016

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff kämpft vor der im Unterhaus angesetzten Abstimmung über ihre Amtsenthebung um ihr politisches Überleben. Die Regierung versucht das Verfahren zu stoppen und spricht von Putsch.

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Brasilien Proteste Amtsenthebung Präsidentin Dilma Rousseff
Bild: Getty Images/AFP/B. Barata

Das Regierungslager mobilisierte kurz vor der vorentscheidenden Abstimmung im Abgeordnetenhaus am Sonntag landesweit ihre Verbündeten, um einzelne Abgeordnete umzustimmen und so die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Rousseff-Gegner zu verhindern, wie das Portal "O Globo" berichtete.

Sollten die Gegner der Präsidentin das Quorum von 342 der 513 Stimmen verfehlen, wäre das Amtsenthebungsverfahren gestoppt. Bis zuletzt wurden auch in der Hauptstadt Brasilia einzelne Abgeordnete "ins Gebet" genommen - es gibt traditionell keine sehr ausgeprägte Fraktionsdisziplin. Rousseff appeliert unterdessen an das Volk: "Sie wollen eine Unschuldige verurteilen und retten Korrupte", schrieb die 68-Jährige in einer langen Kolumne der Zeitung "Folha de São Paulo". Inzwischen machten aber Rousseffs Gegner und Anhänger auch auf der Straße mobil.

Putschvorwürfe im Parlament

Bereits die Unterhausdebatte verlief hitzig. Abgeordnete lieferten sich einen Schlagabtausch. Der Generalstaatsanwalt José Eduardo Cardozo beklagte einen "Putsch" gegen die Staatschefin. Während die Opposition empört auf den auch von der Präsidentin selbst immer wieder vorgebrachten Vorwurf reagierte, skandierten die Abgeordneten ihrer gemäßigt linken Arbeiterpartei (PT): "Es wird keinen Putsch geben."

Suspendierung droht

Wird die Mehrheit zur Abwahl erreicht und stimmt anschließend auch der Senat bis Ende April mit einfacher Mehrheit für die Fortführung des Verfahrens, wäre Rousseff zunächst für 180 Tage suspendiert. Während dieser Zeit würden die Vorwürfe intensiv juristisch geprüft. Spätestens im Oktober könnte der Senat mit Zweidrittelmehrheit sie endgültig des Amtes entheben. Rousseffs Widersacher Michel Temer, zurzeit Vizepräsident, würde bis 2018 Präsident bleiben. Die Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) hatte mit der Regierung gebrochen, er hat aber weiter das Amt des Vizepräsidenten inne.

Vizepräsident in Lauerstellung

Der einstige Koalitionspartner, PMDB, sitzt schon in den Startlöchern. Temer ist bisher der Mann im Schatten von Präsidentin Rousseff gewesen. 2010 traten er und seine Partei in einem Wahlbündnis mit Rousseffs linker Arbeiterpartei an. Seit 2001 führt er die PMDB, eine Partei, die bereits mit unterschiedlichen Parteien koaliert hat. Ihr Ziel: möglichst viele Ämter zu besetzen, statt in die Opposition zu gehen. Temer ist bestens vernetzt, war schon zwei Mal Präsident des Abgeordnetenhauses und arbeitete an Brasiliens Verfassung mit. Aber auch er ist nicht unumstritten, in Umfragen hat er keinen großen Rückhalt. Der 75-Jährige versuchte sich aus dem Abrücken seiner Partei von Rousseff und der Arbeiterpartei öffentlich rauszuhalten, auch weil er im Zuge des Amtsenthebungsverfahren die Amtsgeschäfte übernehmen könnte. So sagte er beim jüngsten PMDB-Kongress, es sei jetzt nicht die Stunde, die Brasilianer zu spalten.

Brasilien Demonstrationen im Unterhaus für die Amtsenthebung von Rousseff Foto: / AFP / EVARISTO SA (Photo credit should read EVARISTO SA/AFP/Getty Images)
Bunter Protest: Im Unterhaus gab es Demonstrationen gegen die PräsidentinBild: Getty Images/AFP/E. Sa

Bislang nur ein Amtsenthebungsverfahren

Aber Kritiker werfen ihm vor, hinter den Kulissen nur für seinen Machtgewinn zu kämpfen. So machte per WhatsApp eine von ihm schon vorbereitete Audio-Botschaft an die Nation für den Fall seines Aufrückens an die Staatsspitze die Runde. Die PMDB sprach von einer Panne. Temer entstammt einer katholischen Familie aus dem Norden des Libanon, die 1925 nach Brasilien emigrierte.

Bisher gab es so ein Verfahren in Brasilien erst einmal. 1992 wurde Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen für 180 Tage suspendiert - und trat Ende des Jahres schließlich selbst zurück. Rousseff hat für den Fall eines Ende des Amtsenthebungsverfahrens einen nationalen Dialog angekündigt.

Sicherheitsvorkehrungen der Polizei

In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu Massenprotesten auf der Straße. In der brasilianischen Hauptstadt Brasilia erhöhte die Polizei daher im Vorfeld der Abstimmung die Sicherheitsvorkehrungen. Vor dem Kongress wurde ein ein Kilometer langer Metallzaun aufgebaut, um Ausschreitungen zwischen Regierungsgegnern und -anhängern zu vermeiden. Die Polizei erwartet zehntausende Demonstranten. Auch in Rio de Janeiro will die Polizei an der Copacabana eine Absperrung errichten. Die Abstimmung am Sonntag soll live ab 2.00 Uhr nachmittags (19.00 Uhr MESZ) im Fernsehen übertragen werden. Analysten zufolge erhöht das den Druck auf Abgeordnete, sich für ein Amtsenthebungsverfahren auszusprechen.

cgn/qu (afp, dpa, rtr)