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Das Volk spricht

Jutta Wasserrab11. Februar 2007

Die Portugiesen stimmen darüber ab, ob Abtreibung in Zukunft straffrei sein soll. Mit dem Referendum könnte eines der schärfsten Abtreibungsgesetze in der Europäischen Union fallen.

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Eine Abtreibungsgegnerin in Lissabon
Eine Abtreibungsgegnerin in LissabonBild: AP

Die Abstimmung ist vorbei. "Stimmen Sie für die Straffreiheit bei freiwilligem Schwangerschaftsabbruch, wenn er innerhalb der ersten zehn Wochen und in einer autorisierten Gesundheitseinrichtung durchgeführt wird?" So stand es auf dem Stimmzettel und soeben haben die Portugiesen ihr erstes nationales Referendum ihrer Geschichte abgehalten. 48,3 Prozent haben mit "Ja" gestimmt - sie wollen die Abtreibung legalisieren, 50 Prozent mit "Nein". Doch die Entscheidung ist ungültig - denn knapp 70 Prozent der Portugiesen sind nicht zur Abstimmung erschienen. So geschehen am 28. Juni 1998.

Verfolgt und verhaftet

Seither sind knapp neun Jahre vergangen. Am Sonntag (11.2.) sollen die Portugiesen erneut darüber entscheiden, ob ihre Frauen in Zukunft bis zur zehnten Woche straffrei abtreiben dürfen oder nicht. Doch diesmal würden die Abtreibungsbefürworter siegen, sagt João Teixeira Lopes vom Block der Linken. "Portugal hat sich in den letzten Jahren verändert, weil wir eine neue Generation haben", sagt er. "Diese junge Generation legt viel Wert auf Menschen- und Frauenrechte, auf Sexualität - und auf Entscheidungsfreiheit." Zudem hätten in den vergangenen Jahren kontroverse Gerichtsprozesse für Aufsehen gesorgt. "Die angeklagten Frauen wurden verfolgt, bespitzelt und einige sogar noch aus dem Operationssaal heraus verhaftet", berichtet er. "Diese Prozesse zeigten unserem Land, dass es tatsächlich ein Verbrechen gibt. Und dieses Verbrechen ist das bestehende Gesetz."

Am 18. Januar 2002 ging im nordportugiesischen Maia ein Gerichtverfahren gegen 43 Frauen und Männer zu Ende. Sie waren wegen illegaler Abtreibung angeklagt. Die Hauptangeklagte, eine Hebamme, wurde zu einer Haftstrafe von achteinhalb Jahren verurteilt. Sie soll seit 1980 rund einhundert Frauen bei der Abtreibung geholfen haben. Rund zwei Jahre später standen in Aveiro, im konservativen Norden Portugals, 17 Personen wegen illegaler Abtreibung vor Gericht: sieben Frauen, ihre Partner, ein Arzt und einige Helfer. Auch hier verhängten die Richter Haftstrafen, wenn auch auf Bewährung.

Abtreibung nur für Wohlhabende?

Maria José Nogueira Pinto von der konservativen Volkspartei CDS-PP sieht in den harten Strafen kein Problem. "Wir leben im 21. Jahrhundert. Es gibt viele Verhütungsmittel, eine unglaubliche Informationsfülle über diese Methoden und die totale Freiheit, all diese Mittel auch einzusetzen", sagt er. "Seit zwei Jahren gibt es in Portugal sogar die Pille danach unentgeltlich. Das heißt, die Frauen können heutzutage ihre Schwangerschaft perfekt planen."

Eine Einschränkung gebe es allerdings, sagt Nogueira Pinto, die am 11. Februar wie ihre Partei gegen die Liberalisierung der Abtreibung stimmen wird: "Wir müssen unterscheiden zwischen den Frauen, die aus Leichtsinn schwanger werden und dann abtreiben wollen und denen, die keinen Zugang zur notwendigen Information, respektive auch keinen Zugang zu Verhütungsmittel haben, und deshalb schwanger werden."

Das Gesetz macht jedoch diesen Unterschied nicht. Und bei den Prozessen von Maia und Aveiro standen in erster Linie Frauen aus der sozialen Unterschicht vor Gericht, also gerade diejenigen, die am wenigsten wissen, wie sie wirksam verhüten können. Es sind auch diese Frauen, die sich keine Abtreibung in Spanien leisten können, wo die Gesetze etwas liberaler sind und Ärzte in Kliniken den Abbruch fachgerecht durchführen. Stattdessen wenden sie sich häufig an dubiose Ärzte. Die oft dilettantisch durchgeführten illegalen Abtreibungen werden in Portugal auf 20.000 pro Jahr geschätzt. Mehrere tausend Frauen müssen anschließend mit Komplikationen rechnen. Jedes Jahr sterben Frauen infolge dieser Komplikationen.

Blockadefront mit Polen und Irland

Trotzdem wollten viele Politiker beim ersten Referendum das Abtreibungs-Gesetz nicht lockern. 1998 hatte sich die sozialdemokratische PSD noch gemeinsam mit der konservativen CDS-PP für ein "Nein" ausgesprochen. Die sozialistische PS hatte zwar für ein "Ja" plädiert. Der damalige PS-Generalsekretär und Ministerpräsident António Guterres sprach sich jedoch gegen die Linie seiner Partei aus und war damit Mit-Verursacher der hohen Referendumsabstinenz, wie portugiesische Wissenschaftler herausgefunden haben. Die politische Landschaft habe sich aber verändert, sagt João Teixeira Lopes vom Block der Linken. "Mittlerweile haben wir nur noch eine Partei - die konservative CDS-PP - die gegen die Straffreiheit der Abtreibung ist", sagt er.

Mit dem neuen Referendum könnte Portugal den Anschluss an die progressiven EU-Länder schaffen. Die meisten EU-Staaten haben eine Fristenregelung. Das heißt, innerhalb eines bestimmten Zeitraums bleibt die Abtreibung straffrei. Für die Niederlande gilt dies, ebenso wie für Belgien, Dänemark oder beispielsweise Schweden. Die Fristen sind zwar unterschiedlich lang, gemeinsam ist diesen Ländern aber, dass allein die Frau entscheidet, ob sie abtreiben möchte. Anders in England oder Finnland. Dort entscheidet eine dritte Person, ob die Frau aus ökonomischen, sozialen oder medizinischen Gründen abtreiben darf. In Deutschland gilt eine Sonderform: Die Frauen müssen sich zwar einer staatlich anerkannten Beratung unterziehen, dann jedoch liegt die Entscheidung bei ihnen.

Noch hat Portugal eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in der EU - neben Polen und Irland. Gerne haben sich die drei erzkatholischen Länder zusammengetan, sobald es darum ging, auf EU-Ebene die progressive Abtreibungslinie zu behindern. Wenn es nach João Teixeira Lopes und der portugiesischen Linken geht, soll damit aber bald Schluss sein.