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Die ewigen Praktikanten

20. Mai 2011

Rund ein Drittel aller Hochschulabsolventen entscheiden sich nach dem Studium für ein Praktikum. Sie hoffen danach auf einen richtigen Arbeitsvertrag. Doch auch nach dem Praktikum bleiben viele ohne festen Job.

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Studie der Hans-Böckler-Stiftung 'Generation Praktikum 2011. Praktika nach dem Studium: zwischen Fairness und Ausbeutung' (Foto: DW / Elisabeth Jahn)
Bild: DW

Es ist 11 Uhr morgens, in einem kleinen Unterrichtszimmer des Bonner Goethe-Instituts. Zehn Teilnehmer aus den verschiedensten Ländern der Erde sitzen an Tischen und blicken konzentriert in Richtung Tafel. Dort versucht ihnen Anna Sancillo mit klarer Stimme beizubringen, wie man den Dativ richtig verwendet. Noch vor wenigen Monaten hat die 25-Jährige selbst an der Uni Bonn Germanistik studiert. Inzwischen aber hat Anna Sancillo ihr Studium erfolgreich abgeschlossen. Statt eine Stelle anzutreten, hat sie sich für ein unbezahltes Praktikum beim Goethe-Institut entschieden. "Ich will im September den Weiterbildungsstudiengang Deutsch als Fremdsprache studieren. Bis dahin möchte ich die Zeit sinnvoll überbrücken", sagt sie.

Ausländern die deutsche Sprache beibringen, das ist Anna Sancillos Traum. Am Goethe-Institut lernt sie, wie der Alltag eines Deutschlehrers aussieht. Direkt nach dem Uni-Abschluss einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben, das sei ihr zu verbindlich gewesen. Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehört Anna Sancillo zu gut einem Drittel aller deutschen Hochschulabgänger, die sich auch nach dem Studium für ein Praktikum entscheiden.

Anna Sancillo während ihres Praktikums in einem Deutsch-Kurs im Bonner Goethe-Institut (Foto: DW / Elisabeth Jahn)
Will erst einmal prüfen, ob ihr der Job liegt: Praktikantin Anna Sancillo erklärt den DativBild: DW

Unbezahlte Praktika bei Geisteswissenschaften besonders häufig

Die Forscher haben 674 Absolventen an vier Universitäten in Deutschland online befragt. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ sei, so bestätige sie die Ergebnisse vergleichbarer Studien, sagt Claudia Bogedan, Leiterin der Forschungsförderung bei der Hans-Böckler-Stiftung: "Die Absolventinnen und Absolventen erhoffen sich dadurch einen Einstieg in den Arbeitsmarkt." Viele von ihnen hätten jedoch auch unzumutbare Arbeitsverhältnisse geschildert. So leisteten vier von fünf Praktikanten vollwertige Arbeit, würden aber nur selten angemessen dafür bezahlt.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert deshalb ein generelles Verbot von Praktika nach dem Studium. Praktika, die während des Studiums absolviert werden, sollten zudem mit mindestens 300 Euro pro Monat vergütet werden. "Im Moment gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Studienfächern. Bei den Ingenieurwissenschaftlern absolvieren deutlich weniger junge Leute Praktika als bei den Kultur- und Sozialwissenschaftlern", sagt Claudia Bodegan. Zudem würden Praktikanten in der Industrie besser behandelt als im öffentlichen Dienst, wo sie häufig unbezahlt sind.

Nur jeder Fünfte bekommt eine Stelle

Deutschkurs-Teilnehmer während der Pause vor dem Bonner Goethe-Institut (Foto: DW / Elisabeth Jahn)
Deutschkurs-Teilnehmer vor dem Bonner Goethe-InstitutBild: DW

Anna Sancillo stört es nicht, dass sie für ihre Arbeit im Bonner Goethe-Institut kein Geld bekommt. Dank der Unterstützung ihrer Eltern kann sie ihre Miete und andere monatliche Ausgaben weiterhin bezahlen. Da sie während des Studiums nebenbei gejobbt hat, konnte sie sogar etwas Geld beiseite legen, auf das sie nun zurückgreift. Sie sieht ihr unbezahltes Zwischenpraktikum als Investition in die eigene Zukunft: "Ich kann hier Erfahrungen sammeln und persönliche Kontakte knüpfen. Für mich ist das wichtiger, als bezahlt zu werden."

Doch nicht jeder Absolvent kann so sorglos ein unbezahltes Praktikum antreten. Zwei von zehn sind auf staatliche Sozialeistungen während des Praktikums angewiesen, so die aktuelle Studie. Claudia Bogedan rät: "Jeder, der trotzdem ein Praktikum machen möchte, sollte vorher klare rechtliche Vereinbarungen mit dem Unternehmen treffen." Nur so könne verhindert werden, dass Praktikanten tatsächlich zu billigen Arbeitskräften verkommen. Eine Tendenz in die richtige Richtung seien sogenannte Traineeships und Volontariate. Bei diesen Mischformen aus Ausbildung und bezahlter Arbeitsstelle sind die Ziele und Inhalte vorher klar dargelegt, und die Teilnehmer sind versichert.

Doch die unverändert hohe Zahl an Praktikanten mit Hochschulabschluss macht deutlich: Auch unter jungen, qualifizierten Menschen bestimmt oft die Angst vor der Dauerarbeitslosigkeit das Handeln. Denn trotz Studium und einem weiteren Praktikum bekommt nur jeder Fünfte eine Stelle angeboten.

Autorin: Elisabeth Jahn
Redaktion: Gaby Reucher