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Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft

Sophia Wagner
25. Juni 2021

In Deutschland verschaffen sich desillusionierte Forschende auf Twitter unter #IchbinHanna Gehör. Prekäre Arbeitsbedingungen sind auch an Unis in anderen EU-Ländern und Großbritannien ein Problem.

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Wissenschaftlerin | Labor | Symbolbild
87 Prozent des wissenschaftliche Personals war laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2019 befristet angestelltBild: picture-alliance/Panther Media/LightField Studios

“Silke, 49, Literaturwissenschaftlerin, verstopft das System seit Oktober auf einer halben unbefristeten Stelle. Sonst hätte ich nach 20 Jahren Wissenschaft, 4 Monografien, 58 Aufsätzen und einer knappen Million eingeworbener Drittmittel auf der Straße gestanden. #IchbinHanna” 

Solche und ähnliche Tweets mit dem Hashtag #IchbinHanna findet man seit Mitte Juni 2021 zu tausenden bei Twitter. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen schildern darin ihre Karriere- und Lebenserfahrungen an deutschen Universitäten und Forschungsinstituten. Befristete Arbeitsverträge, Forschung auf Hartz IV, alle paar Jahre umziehen und nach 12 Jahren auf Zeitverträgen dann das Aus: Beschäftigungsverbot.

So geht es Forschenden, die in Deutschland keine Festanstellung finden - denn solche Stellen sind rar. 87 Prozent des wissenschaftliche Personals war laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2019 befristet angestellt.

Mir kommt das sehr bekannt vor: Auch ich wollte früher Wissenschaftlerin werden, Biologin um genau zu sein. Ich habe mich dann aber nach dem Master für den Journalismus entschieden (noch so ein Beruf mit oft prekären Arbeitsbedingungen).  Wegen des hohen Konkurrenzdrucks, der vielen Überstunden und den häufigen Umzügen schien mir die Forschung schon damals nicht sehr reizvoll.

Was ist das WissZeitVG?

Grundlage der prekären Arbeitsverhältnisse ist unter anderem das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, kurz WissZeitVG. Das 2007 eingeführte Gesetz legt unter anderem eine Höchstgrenze für die befristete Beschäftigung des “wissenschaftlichen und künstlerischen Personals” an deutschen Hochschulen fest.

Insgesamt zwölf Jahre, aufgeteilt in sechs Jahre vor der Promotion und sechs Jahre nach der Promotion. Mit dem Gesetz wollte man eigentlich den endlosen Befristungen in der Wissenschaft ein Ende machen. 

Symbolbild Arbeitslosengeld II
Wenn die Finanzierung ausläuft, aber das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, wird oft mit Arbeitslosengeld weitergemacht. Bild: picture-alliance/Ulrich Baumgarten

#IchbinHanna

“Das ist aber natürlich nach hinten losgegangen,” erzählt mir Dr. Kristin Eichhorn von der Universität Paderborn. “Wie Sie an unserer Aktion sehen, hat es im Gegenteil dazu geführt, dass die Leute gar nicht mehr eingestellt werden.”

Zusammen mit der Philosophin Dr. Amrei Bahr und dem Geschichtswissenschaftler Dr. Sebastian Kubon hat die Literaturwissenschaftlerin Mitte Juni  #IchbinHannah als Antwort auf ein Erklärvideo des Bundesministeriums für Bildung und und Forschung ins Leben gerufen.

In dem animierten Video (das mittlerweile von der Seite genommen wurde) wird anhand der fiktiven Doktorandin Hanna das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erklärt. 

Dank der Befristungen hätte Hanna die Möglichkeit, sich zu qualifizieren, ohne das System “zu verstopfen”. Diese Darstellung sorgt für Ärger bei Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die mit Zukunftsängsten und Perspektivlosigkeit kämpfen.

Prekäre Arbeitsverhältnisse bis zum Beschäftigungsverbot

“Forschende wissen heute oft bis ins fünfte Lebensjahrzehnt nicht, ob sie auf der Dauer in der Wissenschaft bleiben können,” sagt Kristin Eichhorn. Auch sie selbst hat bisher keine feste Stelle.”Mein aktueller Vertrag läuft bis Ende September.” 

Bis 2023 hat sie noch Zeit, dann sind ihre 12 Jahre vorbei. Eigentlich wäre schon 2022 Schluss gewesen, aber wegen Corona wurde Forschenden ein zusätzliches Jahr genehmigt. 

“Die einzige Perspektive ist oft die Professur. Die Chancen dafür sind aber nicht gut. In manchen Fächern kommen auf eine Professorenstelle 200 Bewerbungen,” sagt Kristin Eichhorn. 

Biotechnologie Symbolbild Labor
Wer nach 12 Jahren keine Festanstellung hat, muss die Uni verlassen. Bild: Biontech/dpa/picture alliance

Einzige Chance auf Festanstellung: Professor

Wie schwierig es ist, eine feste Stelle zu bekommen, wurde mir zum ersten Mal während meiner Bachelorarbeit bewusst. Mein Betreuer, Dr. Klaus Reinhardt, war damals selber auf der Suche nach einem Anschlussjob und einigermaßen frustriert.

Heute ist er Professor für angewandte Zoologie an der TU Dresden. Bevor er diese Stelle bekommen hat, musste er allerdings ein Jahr mit Arbeitslosengeld überbrücken - Zukunft ungewiss. 

“Ich weiß noch, wie der Rektor hier in Dresden damals vor der Einstellung meinen letzten Gehaltsschein sehen wollte. Ich war ja gerade arbeitslos. Da dachte ich auch, das war's jetzt.” 

Die Stelle hat Reinhardt trotzdem bekommen, auch wenn es seiner Meinung nach eher selten passiert, dass Professoren unmittelbar vor Jobantritt arbeitslos gemeldet sind. “Wenn man in der Wissenschaft mal länger als ein Jahr ohne Job ist, dann ist man auch schnell raus.”

Befristungen machen Sinn, Kurzverträge und Obergrenzen nicht

Mich hat interessiert, was er heute über das System denkt -  von der anderen Seiten, sozusagen.

“Ich hab ein bisschen Angst, dass durch diese Diskussion die Debatte zu sehr verschoben wird. Weg von der Forschung und den interessanten Sachen, die man machen kann, hin zu einer Ultra-Sicherheit.” 

Laut des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2019 etwas über 400.000 Personen als “wissenschaftliches und künstlerisches Personal” an deutschen Universitäten gearbeitet. Circa 180.000 davon waren mit ihrer Doktorarbeit beschäftigt. 

Obwohl er selbst mit dem System zu kämpfen hatte, sieht Klaus Reinhardt die Befristungen in der Wissenschaft prinzipiell nicht als Problem. Gerade Zeitverträge für die Doktoranden hält er für sinnvoll, schließlich wollten nicht alle Promovierenden in der Wissenschaft bleiben. 

Das bestätigt auch der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021. Demnach verlassen circa 50% der Promovierenden die Uni bereits im ersten Jahr nach ihrer Promotion. Auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind gut: Bis zu 10 Jahre nach der Promotion liegt die Arbeitslosenquote bei nur 1 bis 2 %. 

“Wichtig ist aber, dass man während der Zeit an der Uni auch die Möglichkeit bekommt, seine Projekte zu beenden", schränkt Reinhardt ein. "Dass es diese Obergrenze von sechs plus sechs Jahren gibt, das ist total unsinnig. Wer ist den sechs Jahre nach der Promotion schon Professor? Bei mir hat es 14 Jahre gedauert.”

Momentan ist Klaus Reinhardt der einzige festangestellte Wissenschaftler an seinem Lehrstuhl. Das soll sich allerdings bald ändern.

Er will eine zusätzliche Stelle schaffen, für die Lehre: “Ich kann aber nicht einfach selbst entscheiden, ob ich jemanden fest anstellen will. Das muss ich mit der Universität aushandeln, und die haben wiederum Quoten von Land Sachsen.”

Großbritannien Oxford | Bodleian Library
Auch in Großbritannien ist die Situation für Forschende alles andere als rosig. Bild: Getty Images/C. Court

Wissenschafts-Arbeitsbedingungen in Europa 

Während seiner Forschungs-Karriere war Klaus Reinhardt auch länger in Großbritannien, an der Universität in Sheffield: “Bei denen ist das System ganz anders. Dort werden Studiengebühren gezahlt. Wenn es eine neue feste Stelle geben soll, werden einfach mehr Studienplätze geschaffen, zum Beispiel durch einen neuen Studiengang”.

Laut der Higher Education Staff Statistic waren 2018/19 in Großbritannien 50 Prozent der Forschenden festangestellt.

Eine solche Stelle zu bekommen, ist aber auch dort schwer, wie mir Jacek erzählt, der eigentlich anders heißt, aber gerne anonym bleiben will. Er hat in Polen studiert und 2012 seinen Doktor in Großbritannien abgeschlossen.

“Damals dachte ich, ich hätte gute Chancen in der Wissenschaft. Ich hatte einen Doktor von einer angesehen Uni, war auf vielen Konferenzen, hatte schon einen ganze Reihe von Publikationen und war in meinem Feld gut vernetzt. Ich war sicher, ich finde eine Stelle als Postdoc oder Lecturer. Ich war sehr naiv.” 

Trotz vieler Bewerbungen dauerte es über ein Jahr, bis Jacek eine Stelle in einem Projekt in Großbritannien angeboten bekam.

“Die Arbeit war spannend und die Kollegen toll - aber die Stelle war unbezahlt”. Aus Verzweiflung nahm er dennoch an und finanzierte sich während der Zeit über Nebenjobs.

Nach viele Zwischenstationen, hundertausenden Euro an selbst eingeworbenen Mitteln, drei veröffentlichten Büchern und über 100 publizierten Aufsätzen ist er aktuell in Skandinavien angestellt - befristet natürlich. 

Studieren - Lernen
Das Geld für ihre Stellen müssen die Forschenden oft selbst einwerben.Bild: picture-alliance/dpa/M. Wuesternhagen

Die wettbewerbliche Hochschule

“Einsparmaßnahmen gibt es mittlerweile eigentlich überall. Spezifisch deutsch ist die Befristungsobergrenze. In anderen Ländern können Forschende bis zur Rente befristet arbeiten. Das ist nicht schön, aber sie müssen wenigstens nicht aus dem System ausscheiden,” sagt Kristin Eichhorn.

Für sie liegt das Grundprobleme in der Finanzierungsstruktur der Universitäten. In Deutschland, wo es keine Studiengebühren gibt, kommt das Geld direkt vom Staat, beziehungsweise von den Bundesländern.

Laut Kristin Eichhorn werden über diese Grundfinanzierung aber nur 50 Prozent des Etats abgedeckt. Der Rest muss über projektgebundene Drittmittel eingeworben werden. Zum Beispiel von der steuerfinanzierten Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem größten Drittmittelgeber in Deutschland.

Die Drittmittel müssen von der Forschenden oft selbst beantragt werden, dabei konkurrieren sie mit ihren Kolleg*innen um die verfügbaren Projektgeldern. Die damit einhergehenden Stellen sind natürlich projektgebunden, also befristet. 

Zeitvertrag nur mit eigenem Geld

International ist das ganz ähnlich, erklärt Jacek: “Mir wurde in meinem aktuellen Job zwar gesagt, es gibt Perspektiven für eine Festanstellung oder Verlängerung, aber was heißt das schon. Wahrscheinlich geht es nur, wenn ich wieder eigene Gelder einwerbe.”

Das sei in Deutschland aber tatsächlich wesentlich einfacher, als in anderen Ländern, finde Jacek:

"Die meisten Mittel, die ich einwerben konnte, kamen aus Deutschland. Gerade für osteuropäische Forscher ist es in Deutschland leichter, Fördermittel zu bekommen als in anderen westeuropäischen Ländern. Aber die Möglichkeit einer Festanstellung gab es für mich in Deutschland nie."

Tatsächlich steckt Deutschland im Vergleich viel Geld in seine Universitäten. Im Jahr 2019 war es 19 Milliarden Euro. Der Forschungs- und Entwicklungsetat ist der vierthöchste der Welt.

Mehr Grundfinanzierung, weniger Drittmittel?

Um zumindest nach der Promotion mehr Festanstellungen zu ermöglichen, zum Beispiel für Daueraufgaben in der Lehre, bräuchte man aber eine deutlich höhere Grundfinanzierung, meint Kristin Eichhorn. 

Dass sich an den Arbeitsbedingung in der Wissenschaft schnell etwas ändern wird, ist aber unwahrscheinlich.

Zuletzt wurde das WissZeitVG von der zuständigen Ministerin verteidigt, die dabei auch betonte: Befristungen seien in vielen Fällen sinnvoll. Das Gesetz schreibe diese allerdings nicht vor. Den Universitäten stehe es jederzeit frei, feste Stellen anzubieten. 

Woher die Gelder dafür genau kommen sollen, blieb allerdings unklar.

Vielleicht war es also doch die richtige Idee, als ich mich damals für den WIssenschaftsjournalismus entschieden habe - obwohl mir das Labor manchmal doch noch fehlt.