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Pressefreiheit auch in Europa bedroht

Adelheid Feilcke22. April 2016

Journalisten stehen weltweit unter zunehmendem Druck. Im neuen Bericht der "Reporter ohne Grenzen" (ROG) schneiden viele ost- und südosteuropäische Länder schlechter ab als im Vorjahr. Christian Mihr erklärt, warum.

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Symbolbild Medienfreiheit
Bild: Getty Images/AFP/P. Lopez

Deutsche Welle: Nach welchen Kriterien, mit welchen Methoden misst "Reporter ohne Grenzen" die Pressefreiheit?

Christian Mihr: Die jährliche Rangliste der Pressefreiheit bewertet die Lage der Presse- und Informationsfreiheit in 180 Ländern. Grundlage der Rangliste ist ein Fragebogen zu allen Aspekten unabhängiger journalistischer Arbeit, den wir weltweit in zwanzig Sprachen an hunderte Journalisten, Wissenschaftler, Juristen, Menschenrechtsverteidiger und auch an unser eigenes Korrespondenten-Netzwerk verschicken. Die Untersuchung der jetzt neu erschienenen Rangliste bezieht sich auf das Jahr 2015 und für Übergriffe, Gewalttaten und Haftstrafen gilt zusätzlich der Zeitraum November bis Dezember 2014.

Findet die Bewertung eines Landes ausschließlich durch die Bewerter innerhalb eines Landes statt oder gibt es auch externe Beobachter?

Es gibt drei Länder weltweit, in denen wir keine Kräfte vor Ort haben, keine Leute, die den Fragebogen ausfüllen. Das sind Eritrea, Nordkorea und Laos, was einiges auch über den Zustand der Pressefreiheit in diesen Ländern aussagt.

Ändern sich die Gruppen derer, die bewerten, oder gibt es da eine Kontinuität?

Wir bemühen uns um eine Kontinuität, aber es gibt auch jedes Jahr Wechsel, es ist sicherlich nicht jedes Jahr genau dasselbe Panel. Aber im Prinzip bemühen wir uns immer um eine ähnliche Zusammensetzung hinsichtlich der Merkmale der Leute, die den Fragebogen ausfüllen.

Welche sind denn die wichtigsten, gravierendsten Trends im neuesten Ranking?

Ein wichtiger Trend ist eigentlich der, der im vergangenen Jahr schon da war: Dass wir tatsächlich einen zunehmenden Druck weltweit haben. Wir haben wirklich zunehmend autokratische Tendenzen in Ländern wie Ägypten, Russland und auch der Türkei und wir sehen, dass es immer mehr nationalkonservative Regierungen wie Polen oder Ungarn gibt, die staatliche und andere Medien unter ihren Zugriff bringen. Und noch ganz wichtig ist, dass all das weltweit einher geht mit religiös eingefärbten Ideologien, repressiven Sicherheitsgesetzen. Dann gibt es eine wachsende Zahl - da ist die Türkei nur ein prominentes Beispiel in jüngster Zeit - von vermeintlichen Präsidentenbeleidigungs-Gesetzen und auch Gotteslästerungsgesetzen, weswegen Journalisten ins Gefängnis gebracht werden.

Christian Mihr (Foto: DW)
Christian MihrBild: DW

Auch die Medienkonzentration in den Händen von Oligarchen weltweit bedroht die Unabhängigkeit von Medien, weil Medien zunehmend für politische und wirtschaftliche Zwecke von einzelnen Oligarchen missbraucht werden.

Deutschland hat sich in der diesjährigen Rangliste um vier Plätze auf Rang 16 verschlechtert, was in erste Linie ein Folge der stark gewachsenen Zahl von Anfeindungen und gewalttätigen Übergriffen gegen Journalisten ist.

Die Länder in Ost- und Südosteuropa liegen im mittleren Bereich. Polen ist vom 18. Platz auf den 47. Platz abgesackt, und Mazedonien befindet sich auf Platz 118. Gibt es da ein Cluster, gibt es Ähnlichkeiten, Muster in diesen Ländern?

Wenn wir von Europa generell reden, kann man sagen, dass die eigentlich seit 2014 in der Rangliste schon festgestellte begonnene Erosion der europäischen Vorreiterrolle bei der Pressefreiheit sich im Prinzip fortsetzt. Das kann man als einen Trend sehen in den letzten drei Jahren. Und dass wir tatsächlich auch in diesen Ländern, sozusagen im Herzen Europas, oder auch an den Rändern Europas, Gesetze gegen Terrorismus und Spionage sehen, die zur Einschränkung von Freiheitsrechten gebraucht werden - das sind sozusagen Trends in Europa.

In Ost- und Südosteuropa gibt es natürlich diese Tendenz, die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Medien durch deren Konzentration in wenigen Händen einzuschränken. Welche Rolle spielt das im Ranking?

Ein Faktor ist ja die Unabhängigkeit, die wir in der Rangliste versuchen abzubilden, und insofern spielt das natürlich eine Rolle. Und wenn wir auf Bulgarien schauen: das hat sich ja um sieben Plätze verschlechtert, und Bulgarien ist sicherlich eines der Länder, wo das am stärksten ist, wo Politiker und Oligarchen im Prinzip den Großteil der Medien kontrolliert. Und in Bulgarien kommt auch noch hinzu, dass die Gewalt gegen Journalisten zugenommen hat, was zu der erneut schlechten Platzierung Bulgariens beigetragen hat.

Was müsste denn unternommen werden in Bulgarien? Was fordert "Reporter ohne Grenzen"?

Zum Einen müsste eine echte Transparenz in bulgarischen Medien hergestellt werden. Es gibt ja eine Scheinvielfalt von Medien, aber keine echte Transparenz über die Medienbesitzer. Wir brauchen ein Transparenz-Register. Nach wie vor hat Bulgarien auch ein Demokratieproblem. Und da muss ein Klima geschaffen werden, in dem die Angriffe auf Journalisten nicht möglich sind.

Bulgarien ist in besonderer Weise abgerutscht unter den EU-Ländern. Aber noch mehr ist Polen abgesackt. Welches sind die Faktoren in Polen?

Den Versuch der Einflussnahme auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Polen hat es immer schon gegeben, auch unter der Vorgänger-Regierung. Man hat das immer sozusagen bis zum Rand ausgedehnt, nun erhöht die neue Regierung ihren Einfluss noch weiter. Bedenklich sind die ganz zielstrebigen Bemühungen der neuen Regierung, vor allen Dingen die Eigenständigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien einzuschränken, aber letztlich auch private Medien zu "re-polonisieren" durch eine Änderung der Besitzgesetze.

Polen ist ein Land in einer Umgebung von Ländern, die jetzt ganz starke nationale Tendenzen haben und auch starken Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien ausüben. Ungarn ist sicher das krasseste Beispiel in der ganzen Umgebung. Was muss die EU tun, um da gegen zu wirken?

Zum Einen müsste man endlich einmal lernen, sozusagen für künftige Beitrittsverfahren, es tatsächlich in den Fortschrittsberichten nicht nur immer bei Schönwetter-Bekenntnissen zu lassen. Man soll die Pressefreiheit nicht nur allgemein als Maßstab für einen EU-Beitritt bezeichnen, sondern tatsächlich auch Einzelfälle von verfolgten Journalisten oder Medien, die unter Druck stehen, benennen. Regierungen in Beitrittsländern sollen sich wirklich unter Druck fühlen. Das ist etwas, was die EU bis heute nicht gelernt hat, oder vielleicht bewusst auch nicht lernen möchte, wenn man EU-Fortschrittsberichte anschaut. Und das waren sicherlich rückblickend Fehler, dass man das vor allem bei Bulgarien und Rumänien nicht gemacht hat. Es ist wichtig, dass die EU hier Druck aufbaut. Vor allem Transparenz ist wichtig - dass man in vielen Ländern Südost- und Osteuropas wirklich ganz deutlich macht, dass das wichtige Voraussetzungen für Medienfreiheit ist.

Das Gespräch führte Adelheid Feilcke.

Der deutsche Journalist Christian Mihr ist seit Anfang 2012 Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.