Pressefreiheit in Kirgisistan: "Ich bin momentan optimistisch." | Europa/Zentralasien | DW | 13.04.2010
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Europa/Zentralasien

Pressefreiheit in Kirgisistan: "Ich bin momentan optimistisch."

DW Akademie: Herr Iskender, während die Opposition unter Führung der ehemaligen Außenministerin Rosa Otunbajewa eine Übergangsregierung gebildet hat, weigert sich Präsident Kurmanbek Bakijew weiterhin, sein Amt nieder zu legen und ruft seine Anhänger zum Widerstand auf. Wie würden Sie die Ereignisse der letzten Woche bezeichnen?

Bektour Iskender: Ich habe Angst, es eine Revolution zu nennen, weil wir das schon beim letzten Mal vor fünf Jahren gemacht haben und sich nichts verändert hat. Rein technisch war es wohl ein Putsch, aber andererseits haben die Polizisten zuerst auf die Demonstranten geschossen. Ich war dabei. Ich habe es gesehen. Einerseits ist es zwar schwierig, eine gesetzliche Rechtfertigung für die Übergangsregierung zu finden, aber andererseits ist es verständlich, dass die Leute das gemacht haben. Rein rechtlich ist die neue Regierung illegal, aber de facto musste das passieren. Wir wissen selbst nicht, wie wir Bakijew jetzt in unserer Berichterstattung nennen sollen. Wir nennen ihn einfach Kurmanbek Bakijew.

Wie sind die momentanen Arbeitsbedingungen für Journalisten in Kirgisistan?

Die Übergangsregierung ist sehr offen und sehr höflich zu uns Journalisten. Es ist einfach, Leute zu erreichen und Antworten zu erhalten, was vorher nicht der Fall war. Ich habe die Handy-Nummern aller neuen Minister, inklusive der von (Übergangs-Premierministerin) Rosa Otunbajewa - die übrigens auch regelmäßig twittert. Heute morgen haben wir beim Staatsanwalt angerufen und gefragt, ob es wahr ist, dass ein Haftbefehl gegen Kurmanbek Bakijew ausgestellt wurde. "Wir können dies momentan nicht bestätigen, rufen Sie uns bitte morgen früh noch einmal an", war die Antwort.

Das hört sich nach einer Veränderung zum Positiven an.

Ich bin momentan optimistisch. Während der letzten fünf Tage hat der KGB keinen Druck auf uns ausgeübt. Wir können jetzt offen sagen, dass wir unter Bakijew vom KGB bedroht wurden, und darüber bin ich froh. Ich habe das Gefühl, dass wir gerade die Ereignisse wirklich beeinflussen können. Wir haben die Macht, der neuen Regierung keine Chance zu geben, die Medien zu unterdrücken.


Inwiefern?

Wir haben zum Beispiel heute einen Artikel über einen möglichen Fall von Internetzensur in den letzten Tagen veröffentlicht. Es geht um eine Webseite, auf der Filme zu sehen waren, die führende Oppositionspolitiker beim Sex mit ihren Geliebten zeigen. Die Filme waren am 7. April noch abrufbar, jetzt ist die Seite komplett verschwunden.

Nach unserer Recherche glaube ich zwar nicht, dass die Übergangsregierung die Seite zensiert hat, sondern dass die Macher der Seite höchstwahrscheinlich Bakijew-Anhänger waren, die jetzt kalte Füße bekommen haben und die Filme selbst gelöscht haben. Trotzdem wird die neue Regierung morgen stinksauer auf uns sein, weil wir das zum Thema gemacht haben. Es ist ein Test, wie tolerant sie gegenüber den Medien ist.

Ein weiteres Projekt, das wir gerade angefangen haben, ist eine Anti-Nepotismus-Karte. Wir wollen darauf alle Verwandten der neuen Regierungsmitglieder einzeichnen und überwachen, ob sie Regierungsposten erhalten. Wir wollen, dass die neue Regierung den Druck spürt, dass wir sie beobachten. Wir wollen nicht, dass sie denkt, wir wären ihre Freunde, weil das für Journalisten sehr gefährlich ist.


Welche Rolle spielt Russland bei all dem, was in Kirgistan momentan passiert?

Die Russen sind in einer schwierigen Situation. Einerseits mochten sie Bakijew nicht - wobei ich glaube, dass die Anti-Bakijew-Stimmung in Russland eher auf wirtschaftlichen Interessen beruhte. Jetzt sieht es eher so aus, als ob die russischen Medien versuchen, zu zeigen, wie schlimm die Lage in Bischkek ist. "Bishkek ist völlig zerstört", hört man im russischen Fernsehen. Das stimmt aber nicht. Heute kann man kaum noch sehen, was hier vor ein paar Tagen passiert ist. Die Geschäftsleute haben die zerbrochenen Scheiben ersetzt, die Bazare sind offen, die Straßen sind sicher. Für pro-staatliche Medien in Russland ist es wohl schwierig, zu zeigen, dass sich die Situation nach einem Umsturz auch verbessern kann. Das könnte ja die Leute in einigen russischen Regionen zum Nachahmen anregen.


Bakijew scheint jetzt zum Aufstand gegen die Übergangsregierung zu rüsten. Befürchten Sie, dass dies zum Bürgerkrieg führen könnte?

Das ist eine meiner zwei großen Sorgen. Die andere ist, dass die neue Regierung die Zensur der alten Regierung wieder einführt.

Das Interview führte Mathis Winkler.

DW Akademie in Kirgisistan
Die DW Akademie pflegt enge Beziehungen zu Medien in dem zentralasiatischen Land, deren Freiheiten in letzter Zeit immer mehr beschnitten wurden. So blockierte das Bakijew-Regime im März einige Webseiten, die kritisch über den Präsidentensohn Maxim Bakijew berichtet hatten.

Zu den Medienpartnern der DW Akademie zählen neben Kloop.kg auch das Bürgerradio Radiomost in Talas - dem Ort, an dem die Proteste gegen das Bakijew-Regime Anfang April begannen. "Das Wichtigste ist jetzt, dass die kirgisische Regierung an die Menschen denkt," sagt Radiomost-Redakteurin Rita Klyut, die über die Proteste in Talas berichtete. "Eine dritte Revolution wird Kirgisistan nicht überleben." Der von Klyut betreute und in Zusammenarbeit mit der DW Akademie entstandene Blog Talasmost.kg ist für den diesjährigen Prix Ars Electronica nominiert, der im September in Linz verliehen wird.

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