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9. November 2009

In der internationalen Presse bleibt die Bedeutung des Mauerfalls und das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen nicht unkommentiert. Danach bietet der 9. November Anlass zum Feiern - aber auch zum Nachdenken.

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Themenbild Presseschau
Bild: DW

"La Repubblica" aus Rom:

"20 Jahre danach ist die qualvolle Vergangenheit ein Stück Erinnerung. In der festlichen Hauptstadt zeigt sich das föderale Deutschland entspannt. Es ist dabei aber auch eine Generationenfrage, denn wer heute 30 Jahre alt ist, der spürt keine Nostalgie, den einst kommunistischen Osten betreffend. Er erinnert sich nicht einmal mehr daran. Und er versteht das Misstrauen der Wessis im Umgang mit den Ossis und umgekehrt nicht. Früher einmal haben sich die einen von den anderen ziemlich gut unterschieden, in der Kleidung wie den Gesten. Nun versichert ein Berliner, dass dieses fast nicht mehr möglich ist und dass der Streit zwischen den beiden deutschen "Sippen" mehr eine Angewohnheit und eine Tradition ist als eine Wirklichkeit, die die Beziehungen ernsthaft behindern könnte."

"Der Standard" aus Wien:

"Ungeduldig sind auch die Westdeutschen, die eines einfach nicht nachvollziehen können: dass es nicht so einfach ist, von einem Tag auf den anderen ein neues System - Schule, Job, Justiz - übergestülpt zu bekommen. Nicht wenige sehen den Ostdeutschen als ewig jammernden Nimmersatt. Die unfassbare Summe von 1300 Milliarden Euro ist an Aufbauhilfe von West nach Ost geflossen. Und immer noch ist die Arbeitslosigkeit im Osten höher, die Produktivität niedriger und sind mehr Menschen auf staatliche Unterstützung angewiesen. Dabei gibt es längst Regionen im Westen (Ruhrgebiet), die das Geld genauso dringend bräuchten. Denn die Westdeutschen erlebten seit 1989 ebenfalls eine gravierende Veränderung: die Globalisierung. Diese hat auch viele West-Biografien durcheinandergewirbelt. Sehr viel mehr Geld wird es auf beiden Seiten der ehemaligen Mauer in den kommenden Jahren nicht geben. Am gegenseitigen Verständnis zu arbeiten hingegen würde nichts kosten. Dann kann es in 20 Jahren vielleicht wirklich heißen: Ja, wir Deutschen sind alle ein Volk."

"La Libération" aus Paris:

"Der Fall der Mauer hat das letzte Jahrhundert umgewälzt und formt immer noch das neue Jahrhundert. Doch auch zwei Jahrzehnte danach ist die Erde deswegen nicht in unveränderlichen Gewissheiten verankert. Sie ist mit einer der schwersten Krisen eines zu sehr triumphierenden Kapitalismus konfrontiert. Die alten Mächte des Warschauer Paktes mit Russland an der Spitze haben - genau wie China - offenbar nicht alle Lehren aus dem Fall des Eisernen Vorhangs gezogen. Sie verlieren sich weiterhin auf autoritären Wegen und verletzen die Menschenrechte. Im Osten ist eine Mauer eingestürzt. In Mexiko, in Palästina und anderswo gibt es immer noch andere, die man eines Tages freudig mit Pickelschlägen niederreißen muss."

"The Times" aus London:

"Es brauchte zwei Jahrzehnte (...) und ungeahnte Investitionen, um 40 Jahre kommunistisches Regierungsversagen zu beheben. Selbst jetzt ist der Osten noch deutlich ärmer und hat eine höhere Arbeitslosigkeit als der Westen. Aber er hat seine Freiheit. Und wer hätte gedacht, dass der Kanzler einer selbstbewussten und stabilen westlichen Demokratie einmal die Tochter eines ostdeutschen Pfarrers sein würde."

Die "Trouw" aus Amsterdam:

"Die Mauer durch Berlin, die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland, ja der Eiserne Vorhang, der das kommunistische Osteuropa vom demokratischen Westeuropa trennte, war offenkundig nicht mehr zu retten. Das große Experiment, planmäßig ein Paradies zu erschaffen, hatte sich als Fehlschlag erwiesen. Die Mauer, die verhindern sollte, dass die Versuchskaninchen ihr Glück woanders suchten, symbolisierte, dass der Kommunismus nicht auf Idealen, sondern auf Zwang beruhte. Mit dem Verschwinden der Mauer, mit dem Wegfall des Zwangs, war das linke Experiment dann auch schnell vorbei."

Die "Politiken" aus Kopenhagen:

"Man kann am 20. Jahrestag des Mauerfalls gar nicht genug jubeln. Aber der Tag sollte auch zum Nachdenken über das anregen, was für ein wirklich vereintes Europa noch fehlt (...) Ideologien sind überwunden, aber gemeinsame Zukunftsvisionen im Namen der Freiheit gibt es immer noch nicht. Der Fall der Mauer schaffte Platz für einen neuen Internationalismus. Stattdessen hielt aber ein neuer Provinzialismus seinen Einzug. In Wirklichkeit wissen wir weniger voneinander. (...) Mögen die Feiern zum 20. Jahrestag des Mauerfalls neuen Enthusiasmus schaffen und Europas Herzen und auch den Verstand inspirieren, damit die Geschichte des Kontinents gemeinsam verarbeitet wird."

"Le Progrès" aus Lyon:

"Erst einmal Ungläubigkeit. Und dann Freude vor dieser Mauer, die ohne Gewalt gefallen ist, zum Glück von Familien, die nach so langer Trennung wiedervereint waren. Es war die Zeit einer süßen Begeisterung. Sie versprach dem, was man Osteuropa nannte - so weit weg erschien es uns - Freiheit und Wohlstand und kündigte dem Planeten das Kommen einer neuen Weltordnung an. Aber auf einen Exzess ist schnell ein anderer gefolgt (...). Nein, die Freiheit hat keinen Wohlstand gebracht. Ja, der Nationalismus hat weitergelebt und in Jugoslawien massakriert. (...) Trotzdem ist die Geschichte vor 20 Jahren, am 9. November 1989, außer sich geraten. Freudig und ohne Gewalt. Man kann gar nicht genug betonen, dass das ein Wunder ist, das man maßlos feiern muss."

Autorin: Patrizia Pullano (dpa, afp)
Redaktion: Martin Muno