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Bessere Nerven gewinnen

23. April 2007

Sarkozy oder Royal? Die Kommentatoren der internationalen Zeitungen sind sich nach der französischen Präsidentschaftswahl alles andere als einig, wer in der Stichwahl die besseren Chancen hat.

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Bild: DW

"Dagens Nyheter": Vieles spricht für Royal

Nun kommt in Frankreich das Duell zwischen Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy. Entschieden wird es von den Wählern des Mitte-Kandidaten François Bayrou. Deshalb ist Bayrou der eigentliche Sieger bei den Präsidentschaftswahlen 2007, obwohl er nicht in die zweite Runde gekommen ist. Mit seinen 18 Prozent hat er nicht nur die Mitte in der französischen Politik neu aufgebaut. Seine Wähler bestimmen nun auch, wer es in den Elyséepalast schafft. Diese neue Mitte hat eine Neigung nach links. Zu ihr gehören Menschen, die sich von Sarkozys harten Haltungen abgestoßen fühlen und die gleichzeitig das Grundempfinden haben, dass Frankreich Einigung statt Gegnerschaft braucht. (...) Viel spricht jetzt dafür, dass Ségolène Royal Frankreichs nächste Präsidentin wird. (...) In der ersten Runde nahmen die Wähler ihre Aufgabe ernst. Sie gaben Zensuren für die bisherige Rechtsführung ab und zeigten, auf welcher Seite die Macht in den kommenden Jahren liegen soll.

"Le Figaro": Sarkozy hat große Siegeschancen

Seit Monaten wollten die Franzosen ein Duell Ségo-Sarko. Sie haben es bekommen, und das ist gut so. Wie in allen großen Demokratien können die Franzosen jetzt zwei Gesellschaftsprojekte miteinander konfrontieren, ein rechtes und ein linkes. Die Schlacht des zweiten Wahlganges wird schwierig. Wie in allen großen Ländern, wo die Mehrheiten auf Messers Schneide stehen. Doch am Abend des ersten Wahlganges hat Nicolas Sarkozy die besten Chancen und die besten Karten in der Hand. Zum ersten Male seit 30 Jahren hat ein Kandidat der scheidenden Mehrheit große Aussichten auf den Sieg.

"Les Dernières Nouvelles d'Alsace": Nummer drei im Mittelpunkt

Dieses Mal ist die Rechte in einer starken Position. Die autoritären und protektionistischen Themen ihres Kandidaten Sarkozy haben in der Öffentlichkeit Eindruck gemacht. Das ist eine Tatsache. Die Linke ist historisch schwach. Und dieses deprimierende Verhältnis wurde zweifelsfrei nicht von Ségolène Royals Auftritt gestern Abend geändert: Er erinnerte mehr an eine Trauerrede als an einen Aufruf zu Begeisterung und Kampf. Und wenn der andere Sieger dieses ersten Wahlganges eher der Dritte wäre, nämlich François Bayrou? Der einsame Ideengeber eines Wandels, für den Frankreich noch nicht reif ist, wurde zwar eliminiert, steht aber im Mittelpunkt des zweiten Wahlganges.

"Der Standard": "Aus" für Le Pen ein großer Erfolg

Dass die Attraktion des greisen Demagogen stark abgenommen hat, ist einer der erfreulichen Aspekte dieses ersten Wahlgangs - ebenso wie die exorbitante Wahlbeteiligung, die zeigt, wie ernst die Franzosen die Reformagenda nehmen, welche beide Kandidaten angekündigt haben. Natürlich ist auch der Umstand, dass erstmals eine Frau auf dem Sprung zum Präsidentenamt ist, als Fortschritt zu würdigen. In den kommenden zwei Wochen geht es für Sarkozy und Royal darum, die Franzosen zu überzeugen, dass ihre Zukunftsvorstellung für Frankreich die produktivere ist - für ein Land, das trotz allem Jammer über politische Unbeweglichkeit und Reformstau immer noch eine sehr bedeutsame Rolle in Europa und in der Welt zu spielen hat. In diesem Sinn ist der Wunsch, dass in vierzehn Tagen der oder die Bessere gewinnen möge, beileibe nicht nur eine französische Angelegenheit.

"Les Echos": Die besseren Nerven gewinnen

Ende des Erdbebens. Zurück zum Althergebrachten. 2007 ist das Gegenteil von 2002. Das traditionelle Rechts-Links-Denken hat wieder die Oberhand. Raus sind Jean-Marie Le Pen und François Bayrou, die davon träumten, den Tisch umzuwerfen und auf der Wut der Franzosen zu surfen. Das Spiel bleibt aber offen, weil die Franzosen ihre Beobachtung und Prüfung der beiden Finalisten noch nicht abgeschlossen haben. Die ultimative Herausforderung ist auch psychologischer Natur: Derjenige wird gewinnen, der ausreichend Nervenstärke und Kompetenz beweist, um das Präsidentengewand tragen zu können.

"Salzburger Nachrichten": Frankreichs Mitte vor einem Dilemma

Weinen werden nun jene, die von diesen Wahlen einen Systemwechsel erhofften. Viele von ihnen hatten auf die Karte des Zentrumsdemokraten François Bayrou gesetzt. Seine Idee einer Großen Koalition war in ihren Augen fast revolutionär, weil sie mit der Tradition des französischen Zweiparteiensystems gebrochen hätte. Nun ist es klar, dass kein dritter Weg durch die Mitte in den Élysée-Präsidentenpalast führt. Das politische Zentrum als Schwerpunkt der Macht bleibt in Frankreich eine Utopie. Und Bayrou, der sein ganzes Prestige und die Existenz seiner Partei UDF auf die Frustration der Franzosen über die traditionelle Linke und Rechte gewettet hat, ist der große Verlierer. Ihm bleibt nicht einmal ein Achtungserfolg. Er steht jetzt vor einem Dilemma.

"La Croix": Die Franzosen haben nützlich gewählt

Die erste Lehre aus dem ersten Wahlgang ist klar: In der Stichwahl stehen sich "traditionelle" Linke und Rechte gegenüber. Auch wenn die beiden Kandidaten deren Überzeugungen auf andere Art verkörpern. Es scheint zweitens so, als hätten die Wähler 2007 ihre Stimmen nicht vergeuden, sondern nützlich wählen wollen. Und die dritte Lehre: In diesem Gedankenumfeld bleibt das Abschneiden Bayrous ein bemerkenswertes Ereignis, denn er hat den größten Zugewinn zu 2002 erzielt. Sein Ergebnis und seine Wähler zählen beim zweiten Wahlgang. Und vielleicht beim Entwurf einer Erneuerung des politischen Lebens Frankreichs.

"Libération": Frankreich hat die Linke gerettet

"Frankreich hat die Linke gerettet. Trotz einer unsicheren Kampagne und Messerstiche aus dem eigenen Lager nähert sich Ségolène Royal den Ergebnissen François Mitterrands im ersten Wahlgang, was alle Hoffnung für den zweiten lässt. (...) Sarkozy steht sehr weit rechts, einverstanden. Doch diese Wahl darf sich nicht einfach in ein Referendum über einen Mann verwandeln, auch nicht symbolisch. Einem negativen Projekt muss man ein positives entgegensetzen. Die Madonna der Parteitreffen kann sich nicht damit begnügen, mit dem Finger auf den bösen Sarkozy zu zeigen. Sie muss Maßnahmen, Vorschläge, Entscheidungen verteidigen. Der Kampf beginnt."

"Nepszabadsag": Warten auf die große Operation

Mit dem Abgang von Jacques Chirac geht nach allgemeiner Ansicht eine zwölf Jahre währende Ära des Stillstands zu Ende, und das in einer Gesellschaft, die sich offensichtlich vor einem Rütteln am "französischen Modell", vor den Herausforderungen der Globalisierung, den Folgen einer Masseneinwanderung und der Amputation sozialer Errungenschaften fürchtet. Doch mit der Desavouierung der alten politischen Garnitur und der Akzeptanz des Erscheinens einer jüngeren Politiker-Generation haben die Wähler signalisiert, dass die französische Gesellschaft trotzdem zur nötigen großen Operation bereit ist. Zwischen den beiden Wahlgängen werden Sarkozy und Royal vielleicht auch endlich genauer darlegen, wie sie sich deren Ablauf vorstellen. (stu)