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Presseschau von Samstag, 21. Dezember

Bernhard Schatz20. Dezember 2002

Bundestag-Reformgesetze / Kanzleramt-Sozialreformen

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Mit einem letzten Kraftakt vor der Weihnachtspause hat die Koalition drei ihrer wichtigsten Reformprojekte im Parlament durchgesetzt. Dies und ein im Kanzleramt kursierendes Strategie-Papier zu einer umfassenden Sozialreform sind die dominierenden Kommentar-Themen der deutschen Tageszeitungen am Samstag.

Zu den Reformgesetzen meint die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Düsseldorf: 'Der Kanzler kann mit seinem Superminister zufrieden sein. Clement hat seine erste Bewährungsprobe bestanden. Er drückt aufs Tempo. Wenigstens in diesem Punkt hat Schröder sein Wahlversprechen eingelöst. Im neuen Jahr schlägt dann die Stunde der Wahrheit. Wird Hartz wirklich die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen? Clement erwartet allein von den Minijobs 320.000 neue, wenn auch kleine Arbeitsplätze. Arbeitsmarkt-Experten bezweifeln das jedoch stark. Die Arbeitslosigkeit wird nur dann wirklich drastisch nach unten gehen, wenn die Konjunktur anspringt. Und dafür gibt es zurzeit keinerlei Anzeichen.'

In den STUTTGARTER NACHRICHTEN lesen wir: 'Und sie bewegt sich doch! Kurz vor Jahresschluss kommt die Bundesregierung offenbar doch noch auf Touren. Die Gefahr einer unternehmensfeindlichen Vermögensteuer - vom Tisch! Die flexiblere und lukrativere Ausgestaltung der Minijobs - auf den Weg gebracht! Der untertarifliche Einstieg in Leiharbeit - durchgepaukt! Die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten wenigstens an Samstagen - vom Kabinett beschlossen! Bürger, höret die Signale! 'Land in Sicht', ruft man heiser aus dem rot-grünen Mastkorb - auch wenn man auf der Kapitänsbrücke weiß, dass man noch längst keinen festen Boden unter den Füßen hat.'

Der MANNHEIMER MORGREN glaubt: 'Mehr denn je ist Rot-Grün auf Schwarz angewiesen. Zumal die großen Reformvorhaben zur Sicherung der sozialen Systeme und zur Konsolidierung des Haushalts sowie das umstrittene neue Zuwanderungsgesetz erst noch anstehen. Eine umfassende Reform ist nur im konstruktiven Zusammenwirken von Regierung und Opposition, von Bundestag und Bundesrat möglich. Nur so kann auch der notwendige breite gesellschaftliche Konsens hergestellt werden. Die schwarz-rot-goldene Republik ist auf dem Weg, schwarz-rot-grün zu werden.'

Themenwechsel, und damit zu dem Strategiepapier.

Dazu der BERLINER KURIER: 'Den Chefdenkern im Kanzleramt schwant etwas und zwar nichts Gutes. Das Vertrauen der Bürger ist futsch. Und dagegen wollen sie was unternehmen. Sehr schön. Dass etwas (Steuer-)faul ist im Staate Deutschland pfeifen die Spatzen von den Dächern. Nach der Wahl ging ein Stöhnen durchs Land. Das Wahlvolk fühlte sich betrogen. Jetzt ist das Jammer-Konzert endlich auch im Kanzleramt gehört worden. Es war mehr als höchste Zeit. Ab Januar soll das verschütt gegangene Vertrauen der Bürger, die sich über den Tisch gezogen fühlen, zurück erobert werden. Den Schlachtplan haben die Strategen schon in der Schublade. Mit einem Blitzlichtgewitter wird Rot-Grün die Wähler nicht erhellen können. Die Enttäuschung über gebrochene Versprechen sitzt tief. Und: Gleich im Januar werden wir in der Lohntüte merken, wie teuer uns die neuen Steuern kommen.'

Auch die MÄRKISCHE ALLGEMEINE in Potsdam ist skeptisch: 'Ein Strategiepapier ist noch keine Strategie. Um etwas gegen die miese Stimmung im Lande zu tun, hat das Kanzleramt ein 'internes' Papier ohne allzu große Gegenwehr an die Öffentlichkeit gelangen lassen. Darin ist alles versammelt, was wünschenswert wäre und von kompetenter Seite seit langem gefordert wird. Der Kanzler tut was, soll das heißen, nur wann und wie muss noch geklärt werden. Die Opposition setzt unterdessen einen Ausschuss ein, der Monate nach der Wahl klären soll, wer wann was gesagt und gewusst hat. Inzwischen soll auf Wunsch der SPD sogar geprüft werden, ob die Landschaften im Osten tatsächlich blühen. Es gilt das Primat der Stimmungspolitik. Mit solchen Aktionen bekämpft man den Unmut nicht, man schafft ihn. Und die gestern beschlossenen Reformgesetze? Mit den 'Minijobs' kehrt das alte Dienstmädchenprivileg zurück. Und die 'Ich-AG' revidiert das Gesetz gegen die Scheinselbstständigkeit. Aber jetzt klingt es besser.'

Zum Schluss der Kommentar des Kölner EXPRESS: 'In einem internen Papier räumt das Kanzleramt eine Vertrauens- und Wachstumskrise in Deutschland ein. Wohl wahr: Was die Regierung Schröder bisher geleistet hat, ist alles andere als Vertrauen erweckend. Statt Steuern und Abgaben zu senken, wie jetzt im stillen Kanzleramtskämmerlein bedauert, tat sie das genau Gegenteil. Mangels eines Konzeptes hat sich Rot-Grün so lange durchgemogelt, bis die ungedeckten Schecks massenhaft platzten. Die Zeche zahlen wir.'