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Pressestimmen von Dienstag, 11. Juli 2006

Thomas Grimmer 10. Juli 2006

Kongo-Einsatz der Bundeswehr / Kaczynski-Tandem in Polen

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Die Bundeswehr hat mit der Verlegung ihres Hauptkontingents für den Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo begonnen. Im Rahmen einer EU-Mission sollen rund 2.000 Soldaten die Wahlen in dem Land absichern, fast 800 von ihnen kommen aus Deutschland. In den Kommentarspalten der deutschen Tagespresse stößt der Kongo-Einsatz auf ein eher skeptisches Echo.

So kritisiert der Leitartikler der BERLINER ZEITUNG das Verhalten der Europäischen Union als zu unentschlossen:

"Mit ihrer Zögerlichkeit gefährdet die EU den Erfolg des Einsatzes. Sie setzt auf Abschreckung. Wenn sich trotzdem Unruhen ausbreiten, wenn Wähler landesweit behindert werden, bekommen die internationalen Truppen große Probleme. Spätestens dann muss die EU mehr Soldaten schicken, spätestens dann muss sie auch zugeben, dass ihr Einsatz länger dauern wird als die optimistisch gerechneten vier Monate. Dass die EU sich nicht traut, das auch laut zu sagen, befördert ihre eigene Glaubwürdigkeit nicht."

Auch das HANDELSBLATT aus Düsseldorf fordert mehr Ehrlichkeit gegenüber den Soldaten:

"Den Soldaten muss eine realitätsnahe Perspektive vermittelt werden. Wer schon jetzt, am frühen Anfang der Mission, deren Ende proklamiert, handelt eigentlich wider besseres Wissen. Und zwar umso mehr, wenn gleichzeitig laut über ein weiteres mögliches Engagement - im Sudan - nachgedacht wird. Niemand kann heute definitiv ausschließen, dass der Verteidigungsminister nicht doch mit einem Weihnachtsbaum im Gepäck zum Truppenbesuch nach Afrika reisen muss. Und vor diesem Hintergrund klingt das Argument, bei den Soldaten handele es sich doch ganz überwiegend um Freiwillige, pervers."

Für die Rostocker OSTSEE-ZEITUNG sind die Risiken der Mission größer als der denkbare Nutzen:

"Wunderdinge sind von diesem Einsatz nicht zu erwarten. Die Soldaten sind vor allem das Symbol, dass die internationale Gemeinschaft das rohstoffreiche Land nicht weiter in Chaos und Anarchie versinken lassen will. (...) Vor allem sollen die Unterlegenen die Wahlergebnisse akzeptieren. Hoffen zumindest die Europäer und die meisten Kongolesen. (...) Der Militäreinsatz fußt auf der Hoffnung, es werde sich schon alles friedlich fügen. Ein hinreichend festes Fundament für einen solch riskanten Einsatz ist dies freilich nicht."

Die ESSLINGER ZEITUNG kritisiert schließlich, dass ein Großteil der deutschen Soldaten im benachbarten Gabun stationiert werden soll:

"In der Hauptstadt Kinshasa werden sich gerade einmal 200 Soldaten bereit halten. Patrouillen sind nicht vorgesehen. So dürfte die Präsenz der Bundeswehr kaum wahrgenommen werden. Weder könnten Gewalttäter abgeschreckt noch friedfertige Kräfte geschützt werden. Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei der Kongo-Mission so weit auseinander wie bei keinem anderen Auslandseinsatz der Bundeswehr"

Themenwechsel: Nach dem Rücktritt des bisherigen Ministerpräsidenten Marcinkiewicz hat Polens Präsident Lech Kaczynski seinen Zwillingsbruder Jaroslaw mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Der Wechsel an der polnischen Regierungsspitze und die Macht der Kaczynski-Brüder sind ein zentrales Kommentarthema in der deutschen Tagespresse.

Die in Hamburg erscheinende FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND meint:

"Dem Wechsel (...) lässt sich allenfalls ein Gutes abgewinnen: Die Polen und die Welt wissen nun eindeutig, woran sie sind. Die Politik machen künftig die rechtskonservativen Kaczynski-Brüder unter sich aus, die für eine streng konservative nationale Weltanschauung, Ressentiments gegen Deutschland und eine utilitaristische Haltung zu Europa stehen. Beunruhigte polnische Beobachter sprechen schon vom Kaczismus. Vor allem Deutschland muss die Entwicklung nervös machen. Es wäre ein Jammer, wenn es den Zwillingsbrüdern gelingt, die Zeit zurückzudrehen."

Der Berliner TAGESSPIEGEL charakterisiert die Kaczynski-Ära so:

"Was man sieht, ist der Machtanspruch eines unverblümt vorgetragenen Patriotismus, in dem sich moralischer Rigorismus, nationale Sentiments, die ins Ressentiment hineinwechseln, und ein europaskeptischer Populismus aggressiv mischen. Dazu gesellt sich eine merkwürdige Entschlossenheit, in die Fettnäpfe der laufenden binationalen und europäischen Geschäfte zu treten."

Die WELT, ebenfalls aus Berlin, fragt:

"Rütteln ausgerechnet die Kaczynski-Brüder, die sich mit einem Anflug von Arroganz als die einzigen legitimen Erben der historischen Solidarnosc-Bewegung verstehen, an europäischen Grundwerten? Erst an ihren Taten wird man sie beurteilen können. (...) Die Demokratie ist nicht in Gefahr; doch mit ihrer erratischen Wagenburgmentalität (...) machen es die Kaczynskis dem In- und Ausland schwer, ihre Ziele angemessen zu beurteilen. Mit einer Haltung des ewig Beleidigten in der EU würden sie niemandem einen Gefallen tun, am wenigsten sich selbst."

Die STUTTGARTER ZEITUNG verweist darauf, dass Polen schließlich auch finanziell von der EU profitiert:

"Die Regierung in Warschau hat seit ihrem Amtsantritt im Herbst schon jede Menge Streit mit der EU entfacht: bei der Mehrwertsteuer, der Privatisierung der Banken, der deutsch-russischen Gaspipeline, der europäischen Verfassung, dem Euro und bei der Rolle der Homosexuellen in der Gesellschaft. Polens Politiker müssten eigentlich wissen, dass sie an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Das Land ist in hohem Maße auf EU-Mittel angewiesen. Und in Brüssel werden sich die Hüter der Geldtöpfe ihre eigenen Gedanken machen, wenn Jaroslaw Kaczynski lautstark tönt, dass der Schmusekurs mit der EU nun endgültig der Vergangenheit angehöre. (...) Lernen die Kaczynski-Zwillinge ihre Lektion nicht, werden sie vom Volk den Denkzettel bekommen."