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Pressestimmen von Dienstag, 18. November 2003

Walter Lausch17. November 2003

Rede von Kanzler Schröder auf SPD-Parteitag in Bochum

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Einziges Thema dieses Blickes auf die Kommentarseiten der Dienstagsausgaben der deutschen Tageszeitungen ist der Parteitag der Sozialdemokraten in Bochum. DIE WELT aus Berlin bewertet die Grundsatzrede des Kanzlers so:

"Einen Kessel Nettes hat der Kanzler geboten beim Parteitag der SPD, nicht das 'Wunder von Bochum'. Viel nacheilendes Selbstlob für Rot-Grün gab es, manche Verbeugung vor altlinken Ressentiments, ein bisschen Pathos und den bestenfalls halb geglückten Versuch, ein zugkräftiges Bild vom Deutschland im Jahr 2010 zu entwerfen. Eine Stimmung von begeistertem Aufbruch hat der Kanzler mit all dem nicht erzeugt; 'the vision thing' bleibt Gerhard Schröder seltsam fremd. Einen offenen Putsch der Linken muss er aber auch nicht fürchten. Die Kraft der Unzufriedenen und Reform-Müden reicht nicht aus, den Kurs der Partei zu drehen. Das ist eine erste Lehre des Bochumer Treffens; der Kanzler kann aufatmen."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München betont, dass der Kanzler mit seiner Rede nicht so sehr eine Außenwirkung anstrebte, sondern die eigenen Parteifreunde ansprechen wollte:

"Schröder versuchte also zuerst, die von seiner Reformpolitik überrollte, von den jüngsten Wahlergebnissen deprimierte und von den Parteiaustritten demoralisierte SPD wieder aufzurichten, er versuchte ihren alten Stolz wieder zu wecken - und darauf dann einen neuen Stolz aufzubauen: den Stolz auf eine SPD, die, auch wenn es ihr weh tut,den Mut zu grundlegenden Reformen hat. Es war dies der späte, etwas hölzerne, aber möglicherweise erfolgreiche Versuch, seine Reformpolitik in die Partei zu implementieren. Bisher schwimmen diese Reformen obenauf wie der Schnittlauch auf der Suppe."

Auch die FRANKFURTER RUNDSCHAU stellt sich die Frage, ob der Kanzler die Delegierten von seinem Reformkurs überzeugt hat:

"Der Kanzler kann, wenn es sein muss, integrative Parteitagsreden halten. Er hat diesmal sogar nach Kräften versucht, hinter der eigenen Tagespolitik eine Richtung ausfindig zu machen. Genau das sollte seine Bochumer Botschaft sein: dass da eine Führung am Werk ist, die versucht, sich die Gesellschaft der Zukunft vorzustellen. Allein schon deshalb, weil ihr sonst die Tagesparole kaum mehr abgenommen würde. Und die lautet, mit Bitte um gefällige Verinnerlichung: Die SPD ist besser, als sie glaubt. Fragt sich nur, ob sie das glaubt."

Für den BERLINER KURIER steht fest, dass die Kanzlerrede ihren Zweck nicht erreicht hat:

"Gerhard Schröder ist ein Stimmungsmensch. Und so konnte er die Seele der Genossen zwar streicheln. Doch deren Kopf erreichte er nicht. Stolz auf das, was die SPD geleistet hat, sollen die Genossen sein. Doch die meisten sehen nur, was ihnen ihr Parteichef als Kanzler einbrockt: Weniger Lohn, weniger Rente, weniger Leistungen vom Staat. Schröder bat seine Genossen und auch alle Wähler um Einsicht in die Notwendigkeiten, um Unterstützung für seine Reformen. Und die ist auch nach dem Parteitag eher zögerlich. Schröder hat seiner Partei keinen richtigen Ruck geben können."

Ähnlich sieht es die in Berlin erscheinende Zeitung NEUES DEUTSCHLAND:

"Das von der Führung erhoffte Aufbruchsignal wird dieser Parteitag nicht, nicht mal parteiintern. Denn es geht um nicht mehr als ein strammes 'Weiter so!' mit etwas basisdemokratischer Protestgarnitur. Wenn Schröder sagt, man wolle sich den Sozialstaat von niemandem kaputt machen lassen, dann kann das nur als knallharte Selbstkritik verstanden werden. Die SPD, meint Sigrid Skarpelis- Sperk, eine der wenigen Abweichler bei den Sozialabbau-Reformen, treffend, gehe mit ihren Wahlversprechen um wie mit Einwegflaschen: ex und hopp."

Abschließend die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld, die das Dilemma der SPD unter Kanzler Schröder beschreibt:

"Die SPD und ihre Anhänger verharren zwischen Hoffen und Bangen. Hoffen, dass die eingeleiteten Reformschritte und die ersten Anzeichen einer konjunkturellen Erholung tatsächlich zu einem nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung führen. Bangen, dass die bisherigen Wähler der SPD die tiefen Einschnitte ins soziale Netz, die handwerklichen Fehler und das chaotische Missmanagement in der Berliner Koalition nicht verzeihen und auf Dauer abwandern."