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Pressestimmen von Dienstag, 23. Juli 2002

Stephan Stickelmann. 22. Juli 2002

Insolvenz des Telekom-Konzerns WorldCom / Hunzinger-Kredit an den Grünen Özdemir

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Die Tageszeitungen beschäftigen sich zum einen mit der Insolvenz des amerikanischen Telekom-Riesen WorldCom. Das zweite große Kommentarthema sind die finanziellen Verbindungen zwischen Politikern und dem PR-Unternehmer Moritz Hunzinger.

Zunächst zur WorldCom-Pleite. Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU erläutert:

"Hohe Börsenkurse leben von hohen Unternehmensgewinnen. Weil die nicht mehr flossen, rief das bei World Com die kreativen Buchhalter auf den Plan. Knapp vier Milliarden Euro schwere Luftbuchungen pumpten einen fiktiven Quartalsgewinn in die Kassen. Das ist der eigentliche Grund, warum World Com die Stimmung beim Anleger vermiest. 'Warum merkt das niemand?', ist die eine Frage und: 'Wer kommt als nächstes', die bange zweite. Die Deutsche Bank ist der größte europäische Gläubiger. Jeder Häuslebauer wundert sich, dass der Branchenprimus von der Schieflage nichts gewusst haben will."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ergänzt:

"Die Vorschläge zur Wiedererlangung des Vertrauens reichen von härteren Strafen für Bilanzbetrüger über neue Kontrollgremien für Wirtschaftsprüfer bis zur finanziellen und personellen Aufstockung der Börsenaufsicht. Im Bemühen, ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen, sollten Präsident Bush und die Kongressabgeordneten freilich nicht übersehen, dass auch das Streben nach persönlichem Gewinn zu den Wesenszügen der Marktwirtschaft zählt. Aufgabe der Regierenden ist, einen verlässlichen Ordnungsrahmen dafür vorzugeben."

In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:

"Der Staat ist jetzt gefragt. Nicht als Verhinderer, sondern als Förderer des Wettbewerbs. In Amerika bedarf es vor allem einer Modernisierung des Bilanzrechts und der Finanzaufsicht, die wieder für eine gewisse Vertrauensbasis in der Wirtschaft sorgt. Nötig ist im übrigen eine kluge Regulierung der Telekom-Industrie, die den Firmen Handlungsspielraum lässt und verhindert, dass jetzt aus den Trümmern der geplatzten Geschäftsmodelle neue, diesmal private Monopole gezimmert werden."

Nun zu den Politiker-Beziehungen zum PR-Berater Hunzinger. Angesichts des Kredits, den der grüne Bundestagsabgeordnete Özdemir erhielt, merkt die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera an:

"Es ist nicht ein unbekannter unbedarfter Hinterbänkler, der bei Hunzinger in der Schuld steht. Der anatolische Schwabe hätte wissen müssen: Die Geschichte hat ein Geschmäckle. Für die Grünen ist sie richtig ärgerlich. In den vielen kleinen und großen Geld-Affären der Republik hatten sie sich so gut wie nichts zu schulden kommen lassen. Fortan werden sie wohl nicht mehr so selbstverständlich mit diesem Pfund wuchern können."

In der SAARBRÜCKER ZEITUNG heißt es:

"Der Fall Özedmir ist deshalb in höchstem Maße problematisch, weil er alte Vorurteile schürt und - genau wie die Affäre Scharping - ein grelles Licht auf die Scheinheiligkeit der Politik wirft. Zahlreichen Amts- und Würdenträgern ist das vergleichsweise gute Entgelt, das sie für ihre Arbeit erhalten, offenbar nicht genug. Und vielen Abgeordneten, die eigentlich 'dem Volke dienen' sollten, was auch eine Vorbildfunktion einschließt, scheinen die Verhaltensmaßregeln des Bundestages kaltschnäuzig zu ignorieren."

Der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn ist der Ansicht:

"Lobbyisten suchen politischen Einfluss, was legitim ist. In der Regel ist diese Einflussnahme der Interessenverbände in der pluralistischen Gesellschaft auch völlig in Ordnung, weil es ohne externen Sachverstand häufig nicht geht. Die Frage ist aber die nach den Grenzen. Ein Abgeordneter ist nicht an Weisungen gebunden, aber an Überweisungen? Das böse Wortspiel beschreibt natürlich nicht die Regel, aber auch Ausnahmen gefährden die Reputation von Parteien und Politikern."

Und der Kommentator des MANNHEIMER MORGEN kommt zu dem Schluss:

"Solange alles in diesem Geflecht von Eitelkeiten und Kommerz, in dieser Grauzone kleiner Gefälligkeiten und Gunstbeweise diskret abgewickelt wurde, lief das System Hunzinger wie geschmiert. Mit Scharping und Özdemir aber kommt Sand in das ölige Getriebe. Erstmals darf die erstaunte Öffentlichkeit einen Blick hinter die Kulissen werfen und feststellen, dass es wie so oft nur um den schnöden Mammon geht. Eines fällt allerdings auf: Die sonst nicht prüden Akteure halten sich diesmal mit wüsten Beschimpfungen ihrer Gegner zurück. Es herrscht das Kartell des Schweigens. Und die ganz große Koalition
lässt grüßen."