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Pressestimmen von Dienstag, 4. April 2006

Thomas Grimmer 3. April 2006

Energiegipfel / Schröders Gasprom-Engagement

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Zwei energiepolitische Themen stehen im Mittelpunkt der Kommentare in den deutschen Tageszeitungen: der Energiegipfel im Berliner Kanzleramt und das Engagement von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder für die deutsch-russische Ostsee-Pipeline.

Zunächst zum Energiegipfel, der vom Streit zwischen Union und SPD über die weitere Nutzung der Atomenergie überschattet wurde.

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock zeigt sich von dem Trffen enttäuscht:

"Auf allen Ebenen konnte die hochkarätige Runde nur mit wenig Power auf wirklich nachhaltige Ergebnisse drängen. Versorgungssicherheit und Preise etwa sind kaum von der Bundesregierung zu beeinflussen. Schon eher von den international agierenden Versorgern. Vier große Energiekonzerne profitieren in Deutschland zudem immer noch von weithin monopolisierten Verhältnissen. Markt-Liberalisierung sieht anders aus. Erst recht fanden die Koalitionäre Union und SPD in der Gretchenfrage - wie hältst Du's mit der Kernenergie? - nicht zueinander."

Die LANDESZEITUNG aus Lüneburg ist froh, dass das Thema Energiepolitik wieder auf die Tagesordnung kommt:

"Der Energiegipfel war überfällig. Politische Phantasie entzündet sich hierzulande vorwiegend an Steuermodellen oder 18 Minuten Mehrarbeit. Das Ausklingen des Erdöl-Zeitalters findet dagegen kaum Beachtung. Der Energiegipfel kann die Probleme nicht lösen, aber im Bewusstsein der Bürger verankern."

Die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera beklagt eine zu ideologisch geführte Debatte um die Kernergie:

"Der Streit um Atomenergie und das rechte Maß der staatlichen Subventionen für Sonnen-, Wind- und Bioenergie sind Beleg für die Notwendigkeit einer ordnenden Diskussion über die Ziele und Strategien für eine zukunftsgerichtete Energiepolitik. Ausgerechnet aber in dieser wichtigen Frage blockieren sich in der großen Koalition stärker als auf allen anderen Politikfeldern Union und SPD gegenseitig. In der Atompolitik wie bei erneuerbaren Energien prallen die ideologischen Fronten unverrückbar aufeinander. Es steht zu befürchten, dass bei dieser Gemengelage Ansätze für eine Wende in der Energiepolitik kaum eine Chance besitzen."

Der Berliner TAGESSPIEGEL meint zu den Folgen eines Ausstiegs aus der Kernenergie:

"In Deutschland ist der Energieverbrauch über die Jahre hinweg zwar gesunken, doch die Abhängigkeit von Importen gestiegen. Früher finanzierten wir mit unseren Petrodollars arabische Despoten, die die Ausbreitung des Islamismus beförderten. Heute fließt das Geld in Putins Russland, wo sukzessive die Menschenrechte ausgehöhlt, die Pressefreiheit drangsaliert, Oppositionsgruppen mundtot gemacht werden. Wir stärken ein System, das in Tschetschenien mordet, die Ukraine mit einem Gasembargo erpresst und in der Nahostregion zunehmend antiwestlich operiert. Rot-Grün hat sich den Ausstieg aus der Atomkraft mit der Umarmung Moskaus teuer erkauft." Der Kommentator des HAMBURGER ABENDBLATTS meint schließlich:

"Deutschland darf sich nicht zu einseitig abhängig machen - weder vom Gas der Russen noch vom Öl der Scheichs. (...) Die Aufgaben sind nicht leicht zu lösen. Wer sie ernsthaft bewältigen will, muß mehr bieten als Parolen pro oder contra Atomkraft."

Themenwechsel. Das Hamburger Landgericht hat FDP-Chef Guido Westerwelle am Montag untersagt zu behaupten, Gerhard Schröder habe als Bundeskanzler dem russischen Gasprom-Konzern einen Auftrag für die deutsch-russische Ostsee-Pipeline erteilt. Dennoch geht der Streit um Schröders Verhalten weiter:

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG heißt es:

"Die Causa 'Schröder und die Gasleitung' hat mindestens zwei kontroverse Aspekte: einen energiewirtschaftlich-außenpolitischen und einen, der des früheren Bundeskanzlers Reputation betrifft. Dass der zweite Aspekt Anlass für Gerichtstermine gibt und Überlegungen provoziert, einen Untersuchungsausschuss des Bundestages einzusetzen, sollte den Machtpolitiker Schröder nicht wundern. Er hatte das Projekt einer Gasleitung von Rußland durch die Ostsee nach Deutschland ohne Rücksicht auf EU-Partner betrieben und auf eine Weise forciert, die durch Schröders Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes im Betreiberkonsortium eine fragwürdige Fortsetzung fand. Und ob nun eine Bürgschaft in Anspruch genommen wird oder nicht - schon der Verdacht, hier werde Privates mit öffentlichen Belangen vermengt, ist peinlich genug." Das MINDENER TAGEBLATT fordert Schröder zum Rücktritt als Aufsichtsratschef des Betreiberkonsortiums auf:

"Was von Anfang an zu befürchten stand, bewahrheitet sich mit jeder Weiterung des Pipeline-Geschäfts, das die deutsche Öffentlichkeit zwangsläufig noch über Jahre beschäftigen wird, nicht zuletzt deshalb, weil es für seine Energieversorgung eine wichtige Rolle spielt: der Ex-Bundeskanzler hat vielleicht sich persönlich einen Gefallen getan. Seinem Ansehen, dem des einst von ihm ausgeübten Amtes und dem seines Landes ganz gewiss nicht, als er die Versorgungssicherheit zu seiner persönlichen Angelegenheit machte. Er sollte das Mandat niederlegen." Der Leitartikler der SCHWÄBISCHEN ZEITUNG aus Leutkirch meint:

"Trotz aller anderslautenden öffentlichen Bekundungen ist Schröders Gasprom-Engagement vielen Genossen einfach nur peinlich. Es gibt Regeln, die sind nirgendwo aufgeschrieben und werden trotzdem eingehalten. Etwa, dass man eigene Stärken nicht nur zum eigenen Vorteil einsetzt. Es sind Regeln des Anstands oder des Gewissens oder auch der Ehre, die für das erfreuliche Zusammenleben auch in der Politik wichtig sind."

Die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG aus Regensburg stellt die Verdienste Schröders in den Vordergrund:

"Es besteht wenig Hoffnung, dass sich das Informationsdickicht rund um die Ostsee-Pipeline lichten wird. Hinter der wirtschaftlich und politisch zweifellos wegweisenden deutsch-russischen Initiative stehen zu viele, zu mächtige Interessen; und jene auf die Person Schröder zugeschnittene, scheinheilige Debatte hinterlässt einen faden Beigeschmack. Davon, dass der Ex-Kanzler das Verhältnis zu Moskau, dem erbitterten Gegner von einst, auch auf eine neue qualitative Ebene gehoben hat, spricht schon heute niemand mehr."