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Pressestimmen von Dienstag, 8. Oktober 2002

zusammengestellt von Siegfried Scheithauer. 8. Oktober 2002

Clement als Superminister nach Berlin/ Linke siegt bei Wahl in Brasilien/

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Dominierendes Thema der deutschen Presse-Kommentatoren ist der Wechsel von Ministerpräsident Wolfgang Clement in das neue Superministerium für Wirtschaft und Arbeit in Berlin.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreibt zu Gerhard Schröders Schachzug:

"Mit der überraschenden Personalentscheidung verheißt der Kanzler dem Land einen Aufbruch. Die Union wollte es mit Lothar Späth rucken lassen, jetzt versuchen es die Sozialdemokraten mit dem nicht viel jüngeren Clement. Ein solcher Neustart wäre mit Wirtschaftsminister Werner Müller unmöglich gewesen. Daher bricht der Kanzler sein Wort gegenüber dem Amtsinhaber, dem er einen Verbleib im Kabinett versprochen hatte. (...) Schröders gebrochene Zusage wird in der Öffentlichkeit rasch vergessen sein. Ein anderes Problem dürfte dem Kanzler länger Sorgen bereiten. Clements Nachfolge war miserabel - präziser - überhaupt nicht vorbereitet. Hastig basteln die Genossen
an Rhein und Ruhr an einer Lösung. Dabei weiß jeder: Wenn die SPD Nordrhein-Westfalen vernachlässigt, geht es ihr auf Dauer schlecht."


Die BERLINER ZEITUNG analysiert besonders die Ressort-Fusion:

"Ein Superminister Wolfgang Clement verheißt viel für die nächsten vier Jahre rot-grüner Regierungsarbeit, in deren Mittelpunkt eine Reform der Arbeitsmarktpolitik stehen muss. Es ist ohne jeden Zweifel geboten, das Arbeitsministerium, nach seinem Etatvolumen das mit Abstand bedeutendste Ressort des Bundes, in seiner bestehenden Form aufzulösen und mit dem Wirtschaftsministerium zu verbinden. Früher, etwa zu Zeiten Walter Arendts und Karl Schillers, mag der Widerstreit zwischen den stets überaus gewerkschaftsnahen Arbeitsministern und den ordoliberal orientierten Wirtschaftsressortchefs ein fruchtbares Spannungsverhältnis erzeugt haben, das half, die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik zu entwickeln und zu justieren. Doch spätestens unter CDU-Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm zeichnete sich immer stärker ab, dass das Ressort zu einer Institution wurde, in der das organisierte Beharrungsvermögen Unterschlupf fand."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE sieht die personelle Weichenstellung eher skeptisch:

"Dem Gewerkschaftsmann Riester, der weder als Charismatiker noch als solider Handwerker aufgefallen ist, traute Schröder offenbar nicht die Härte zu, die für die Durchsetzung des Hartz-Konzepts nötig ist, denn immerhin geht es um das ehrgeizigste Vorhaben dieser Regierung: die Halbierung der Arbeitslosenzahlen in zwei, spätestens vier Jahren. Für so etwas braucht man einen ruppigen Modernisierer. Als Manager der «Nordrhein-Westfalen-AG» hat sich Clement schon in Düsseldorf am liebsten gesehen. Doch in seinen viereinhalb Jahren als Ministerpräsident ist ihm einiges verdorben, was als besonders haltbar und zukunftsfähig im Schaufenster stand, während sich die eigentlich zur Abwicklung anstehenden Strukturen als überaus resistent erwiesen.(...) Sein Wechsel gleicht einer Flucht", meint die FAZ.

Der MANNHEIMER MORGEN gibt sich hingegen positiv:

"Star im neuen Kabinett wird neben dem Kanzler aber Clement sein. Er muss das Hartz-Konzept umsetzen, den Arbeitsmarkt regeln und dem neuen Chef der Bundesanstalt für Arbeit Beine machen. Clement weiß,dass er ebenso wie Schröder nach vier Jahren daran gemessen wird, ob es ihm gelungen ist, die Wirtschaft anzukurbeln und die Zahl der Arbeitslosen abzubauen. Der Mann aus dem Ruhrpott hat das Zeug, Schröders Retter zu werden."

Ähnlich bewertet dies der WESER-KURIER aus Bremen:

"Der knappe Wahlsieg, der links von der Mitte errungen wurde, hat Begehrlichkeiten geweckt. Die Roten möchten es nun gerne ein bisschen sozialdemokratischer haben, die Grünen hätten's gern grüner. Da kommt ein Pragmatiker mit sicherem Machtinstinkt gerade recht, um zwischen Blütenträumen und Realität zu unterscheiden. Clement ist insofern ganz unverdächtig - ein sozialdemokratisches Gewächs nämlich, das quasi in einem Freilandversuch mit den Grünen erprobt worden ist."

Themawechsel. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU beschäftigt sich mit den Wahlergebnissen in Brasilien:

"Keine Überraschung und dennoch eine Sensation: Die brasilianische Linke hat, auch wenn ihr Kandidat Lula die absolute Mehrheit knapp verfehlt hat, einen historischen Sieg errungen. (...) Lula ist ein Repräsentant derer, die noch nie etwas zu melden hatten in Brasilien. Er und seine Arbeiter-Parei haben einen gewaltigen Schwenk zur Mitte vollzogen. Das macht ihn auch für die Mittelschicht wählbar. Dass er im zweiten Wahlgang noch unterliegt, ist kaum wahrscheinlich."