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Pressestimmen von Donnerstag, 1. September 2005

zusammengestellt von Frank Gerstenberg 31. August 2005

Schröders Rede auf dem SPD-Sonderparteitag

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Die Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem SPD-Sonder- parteitag ist das beherrschende Thema für die Tageszeitungs- Kommentatoren. Trotz der kämpferischen Ansprache glauben die meisten Leitartikler offenbar nicht an eine Wende im Wahlkampf:

So schreibt der KÖLNER STADTANZEIGER:

"Kanzler Schröder hat, sicherlich unbeabsichtigt, das zentrale Manko des SPD-Wahlkampfes offenbart: Der Partei fehlt ein in die Zukunft gerichtetes Projekt, für das zu kämpfen sich lohnt. Schröder wird zwar nicht müde, die Fortsetzung der Reformen zu betonen. Doch mehr als den Ausbau erneuerbarer Energien und die Bürgerversicherung im Gesundheitswesen hat die SPD nicht zu bieten."

Auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München meint, dass es der SPD an Zukunftsvision fehle:

"Gerhard Schröder hat eine scheinbar offensive, teilweise aggressive Rede gehalten, die in Wahrheit eine defensive war. Er hat nur skizziert, wie viel Unheil die SPD durch einen Wahlsieg verhindern würde. Ein klares Bild dessen, was die Sozialdemokratie stattdessen machen würde, zeichnete er nicht. Was das innerparteiliche Gefüge angeht, hat man selten einen populistischeren Gerhard Schröder erlebt als an diesem Mittwoch in Berlin."

Die AACHENER ZEITUNG fragt:

"Sagt man, was selbst in den eigenen Reihen fast niemand mehr glaubt? Dass man stärkste Partei werde und die rot-grüne Koalition fortsetze. Klar sagt man das, weil es ja gar keine Alternative gibt. Eine Koalitionsaussage, die wirklich realistisch wäre, bleibt ein sozialdemokratisches Tabu. Rot-Grün ist nur mit der Linkspartei möglich. Oh je. Und die Große Koalition nur ohne Gerhard Schröder. Noch schlimmer für die SPD."

Die TAZ aus Berlin schreibt:

"Die inszenierte Wahlkampfroutine wirkt lächerlich. Sie offenbart erst recht ihr Grundproblem, über das sich niemand in der Partei offen zu reden traut: Schröder ist im Volk zwar immer noch populär, aber er ist der falsche SPD-Spitzenkandidat für den falschen Wahlkampf mit einer falschen Strategie. Die SPD hat sich nicht dagegen gewehrt, dass Schröder sie am 22. Mai zu seiner Geisel nahm. Die Partei wollte nur zu gern an das glauben, was der Kanzler mit seinem Neuwahlmanöver beabsichtigt hatte: durch einen Überraschungscoup das Unmögliche erneut möglich zu machen. Dabei war sein radikaler Schritt nur das Eingeständnis, politisch gescheitert zu sein. Die Bürger haben das erkannt, jetzt geben sie der SPD die verdiente Quittung. Gegen diesen Realismus hilft kein Wahlkampf mehr."

In der OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock lesen wir:

"Das Murren bei den Genossen über Wahlkampf-Strategie und Koalitionsgeplänkel will nicht verstummen. Schröder, der weder mit dem Bonus des Amtsinhabers noch mit seiner friedenspolitischen Festigkeit richtig punkten kann, hat es mit seiner Art Wahlkampf schwer. Viel zu stark ist die Richtungs-Kampagne darauf fokussiert, Union und Liberale vorzuführen und Horrorszenarien an die Wand zu malen, wie denn Deutschland unter anderen Regenten unterginge."

Die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG aus Regensburg verweist auf folgenden Aspekt:

"Das größte Problem in Schröders stürmisch gefeierter Rede war jedoch, dass er nicht die Offensive suchte, sondern die ungerechte, kalte Politik einer möglichen Kanzlerin Angela Merkel gleichsam als Schreckgespenst an die Wand malte. Der Medienkanzler wurde so, unter der Hand und vielleicht auch ungewollt, zum kleineren Übel gegenüber der konservativen Herausforderin. Schröder hat Herzen und Hirne seiner Genossen erreicht. Wie dies freilich bei den Wählern und Wählerinnen aussieht, steht auf einem anderen Blatt."

Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm meint, dass Schröder seine Partei zu spät erreicht hat:

"Der Genosse Trend marschiert seit Jahren in die falsche Richtung. Dass Schröder dennoch populär ist, ohne dass die SPD davon profitiert, bleibt ein Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt, jedenfalls nicht in den nächsten zwei Wochen. Trotz dieser misslichen Ausgangslage kämpft der Kanzler, und er ist in diesen Tagen so nah bei der SPD wie noch nie in den sieben Jahren seiner Amtszeit. Wäre das immer so gewesen, hätten sich manche Turbulenzen und Zerreißproben erübrigt. Nun aber spricht viel dafür, dass die Versöhnung des Kanzlers mit seiner Partei zu spät kommt."

Schließlich meint die FRANKFURTER RUNDSCHAU, dass viele Sozialdemokraten sich bereits von Schröder verabschiedet haben:

"Spürbar, dass die meisten längst damit rechnen, dass die nächsten Positionsklärungen nicht mehr mit Schröder ausgefochten werden müssen, sondern in den Reihen der nächsten Führungsgeneration. Im anerkennenden Jubel für den Kanzler zeigt sich so durchaus ein Stück Realitätsbewusstsein der anderen Art. Wer mit welchen Inhalten nach dem Wahltag in der SPD wofür antreten wird: Über solche Zukunftsfragen jenseits von Schröder wird längst nachgedacht. Verloren wäre nur, wer sich damit schon aus der Deckung wagt."