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Pressestimmen von Donnerstag, 19. Juli 2007

Thomas Grimmer18. Juli 2007

Tour de France in der Krise / Merkel zieht Halbzeit-Bilanz

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Nach dem Bekanntwerden eines neuen Dopingfalls haben ARD und ZDF ihre Live-Berichterstattung von der Tour de France vorerst gestoppt. Gut so, meinen die Kommentatoren der deutschen Tagespresse. Wenn es nach ihnen geht, sollten auch die Sponsoren dem immer unappetitlicheren Spektakel endlich den Rücken kehren. Die Leitartikler beschäftigen sich außerdem mit der Halbzeit-Bilanz von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Zur Krise bei der Tour de France schreibt das in Düsseldorf erscheinende HANDELSBLATT:

'Der jüngste Dopingskandal um den Radrennfahrer Patrik Sinkewitz wird weiter reichende Konsequenzen haben als den vorläufigen Übertragungsstopp der Tour de France durch ARD und ZDF. Sponsoren aus der Wirtschaft, allen voran die Deutsche Telekom, sollten sich nun dringend von dem Skandalsport distanzieren. Kluge Konzernlenker wissen: Reputationsrisiken übersteigen mittlerweile die Sachrisiken bei weitem.'

Die ESSLINGER ZEITUNG ist der gleichen Ansicht:

'Die Telekom wäre gut beraten, ihr Engagement als Sponsor sofort einzustellen. Der Radsport stellt reine Negativ-Werbung dar. Als Vorbilder für Jugendliche taugen die reihenweise ertappten und geständigen Betrüger längst nicht mehr. Nur wenn dem von innen heraus verfaulten System der Geldhahn zugedreht wird, gibt es die Chance auf einen Neuanfang. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat lange gewartet. Firmen, die noch einigermaßen bei Sinnen sind, sollten folgen.'

Den Hardcore-Fans der Tour empfiehlt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG die privaten Sendeanstalten:

'Die Konsequenzen aus der chronischen Blauäugigkeit ziehen (...) ARD und ZDF, indem sie ihre Übertragungen beenden. Tröstlich für eingefleischte Radsportfans: Die Spartensender machen weiter. Weshalb das Peloton endlich dort ankommt, wo es hingehört: auf eine Programmschiene mit Schlammcatchen und Monstertrucks.'

Der Kommentator der OFFENBACH-POST glaubt, dass der Radsport auf absehbare Zeit kaum zu retten ist:

'Dopen mitten in einer Affäre, die die Radsportwelt erschütterte und die gerade erst angesichts der Fernsehbilder ein ganz kleines bisschen abgeflaut war - dreister geht's nicht. ARD und ZDF haben jedenfalls die Nase voll und stoppen vorerst die Live- Berichterstattung von der Tour de France. Eine vernünftige, längst überfällige Entscheidung. Gebührenzahler dieses einstige Sport-Highlight mitfinanzieren zu lassen, das wäre spätestens seit gestern endgültig unzumutbar. Der Radsport (...) ist vorerst am Ende. Und diesmal ist es fraglich, ob er sich (...) kurzfristig erholt. Dope wirkt lange. Ein Rufmord auch.'

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg blickt nüchtern in die Zukunft:

'Nachdem das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit großen Sendeumfängen und einer ganz und gar unkritischen Berichterstattung jahrelang dafür gesorgt hatte, dass sich die Radfahrer in ihrem betrügerischen Tun unbeobachtet fühlen konnten, haben sich (...) die Zeiten geändert. Das Fernsehen ist ausgestiegen, die Rennställe werden ihre Sponsoren verlieren, die Radler ihre Arbeitgeber und ihre Existenz.'

Zum zweiten Thema: Bei ihrer letzten Pressekonferenz vor der Sommerpause verkaufte Bundeskanzlerin Angela Merkel den anwesenden Journalisten eine durchweg positive Bilanz der bisherigen Regierungsarbeit und - noch mehr - ihrer bisherigen Zeit als Kanzlerin. Die Leitartikler der deutschen Tagespresse stellen diese Selbsteinschätzung kaum in Frage - eher im Gegenteil.

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt kommentiert den Aufstieg der Kanzlerin so:

'Schneewittchen und die sieben Zwerge. Koch, Wulff, Oettinger, Stoiber, Beck, Westerwelle, Lafontaine und wie sie alle heißen. Lange Zeit hatte keiner von ihnen die Frau aus dem Osten auf der Rechnung. Nun müssen sie etwas betröppelt zusehen, dass sie nicht nur die ersten Jahre im Kanzleramt überstanden hat. Schlimmer noch: Ob Freund, oder Feind, außerhalb der üblichen Politzirkel trägt Angela Merkel ein Zuspruch, wie ihn sonst nur zur Neutralität verpflichtete Bundespräsidenten kennen.'

Auch der MANNHEIMER MORGEN sieht Angela Merkel gleichsam über den Dingen schweben:

'Während Merkel die Gipfel der politischen Macht erklimmt, schleppen sich Union und SPD eher missmutig durch die Mühen der Ebene. Eine eigentümliche Diskrepanz zwischen Merkels Strahlkraft und dem verschlissenen Habitus ihrer Koalition prägt das Bild der Berliner Republik.'

Die DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN werden sachlicher:

'Merkels Bilanz ist in der Tat nicht schlecht. Vor allem auf dem glatten Gipfelparkett tanzte sie den Mächtigen der Welt auf der Nase herum. (...) Doch wo viel Licht, da ist auch Schatten. Hierzulande kann die schwarz-rote Klempnertruppe mit ihrem Stückwerk kaum jemanden vom Stuhle reißen. Eine vermurkste Gesundheitsreform, das Drehen an der Steuerschraube, das Herumeiern beim Mindestlohn - es braucht nicht mal den hyperventilierenden Marktschreier Lafontaine, um die Mängelliste zu erkennen.'

Dass Merkel etwas tun muss, um weiterhin zu glänzen, meint die PFORZHEIMER ZEITUNG:

'Merkel hat die Macht, und niemand stellt sie auch nur leise in Frage. (...) Daran gemessen, nimmt sie innenpolitisch zu wenig Einfluss. Stillhalten mag hin und wieder die richtige Taktik sein, zum Prinzip des politischen Handelns darf es nicht werden. Auch wenn Merkel sich von diversen Windmachern in Berlin angenehm unterscheidet, kann sie sich nicht auf Dauer den Mechanismen des Polit-Betriebs entziehen.'

Abschließend noch ein Blick in die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG:

'Die CDU-Kanzlerin ist deshalb so stark, weil ihre Gegner so schwach sind. Dies gilt vor allem mit Blick auf (SPD-Chef) Beck, der bislang keinen Stich gegen Merkel bekam. In der Union dürften deshalb die meisten hoffen, dass er am Ende auch die Kanzlerkandidatur seiner Partei beansprucht. Dann könnte der schöne Politsommer bis zur Wahl 2009 dauern.'