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Pressestimmen von Donnerstag, 20. Oktober 2005

Frank Gerstenberg19. Oktober 2005

Auftakt im Saddam-Prozess / Eklat um Bisky-Wahl

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Zentrales Thema für die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen ist der Prozessauftakt gegen den einstigen irakischen Diktator Saddam Hussein. Auch der Streit um die Wahl Lothar Biskys zum Bundestagsvizepräsidenten beschäftigt die Leitartikler.

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt an der Oder hofft zwar, dass der Prozess gegen den einstigen Despoten ein "Signal an die Alleinherrscher in den umliegenden Ländern sein" könnte, glaubt aber auch:

"Es wäre besser gewesen, Saddam vor einem international besetzten Gericht den Prozess zu machen. Das hätte auch nahe gelegen, weil der Kriegsverbrecher von 1980 bis 1988 den ersten Golfkrieg gegen den Iran führte. Weil aber die USA den Fall Saddam zur innerirakischen Angelegenheit erklärt haben, ist das Verfahren eine Gratwanderung zwischen Strafverfolgung und Siegerjustiz."

Mit diesem Attribut hat die FAZ kein Problem:

"Daß es sich um Siegerjustiz handelt, ist gar nicht zu bestreiten. Um was denn sonst? Und natürlich ist das Niveau des Rechtstaates in Deutschland oder Amerika (viel) höher als in einem Land, in dem eine unabhängige Justiz keine Tradition hat. Nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Milosevic-Prozeß hätte ein Verfahren vor einem internationalen Tribunal auf viele Iraker wie ein schlechter Scherz gewirkt - von Amerikas Interessen abgesehen."

Die Zeitung DIE WELT hofft ungeachtet aller Rachegedanken und der Trauer von Opfern Saddams, dass der Prozess ein Umdenken im Irak bewirkt:

"Wenn im Anschluß die Erkenntnis dessen stünde, was Saddam dem eigenen Volk angetan hat und was sie ohne ihn hätte erreichen können, wäre viel für die sich entwickelnde Demokratie getan. Mehr als das: Im Verfahren gegen Saddam Hussein könnte die Möglichkeit einer zweiten Staats- und Gesellschaftsgründung stecken."

Es könnte aber auch der gegenteilige Effekt eintreten, meint die NEUE RUHR/NEUE RHEIN-ZEITUNG aus Essen:

"Unter den Sunniten, die mit dem Sturz Saddam Husseins Macht und Einfluss verloren, hat der Angeklagte noch viele Anhänger. Sie sehen sich als Verlierer des neuen Irak und haben die Verfassung offenbar mehrheitlich abgelehnt. Und es sind zum großen Teil sunnitische Extremisten, die das Land mit Terror überziehen. Das selbstbewusste, trotzig arrogante Auftreten des ehemaligen Machthabers könnte ihnen neue Kraft geben."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER gibt außerdem zu bedenken:

"Streng genommen müsste in Bagdad auch über eine Mitverantwortung des Westens geredet werden. Europa und die USA haben Saddams Regime lange Zeit mit allen Mitteln - auch militärisch - unterstützt, um einen Export der islamischen Revolution im Iran zu verhindern. Dass es zu solch kritischer Betrachtung kommt, ist bedauerlicherweise nicht zu erwarten."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN bemerken zu der gescheiterten Wahl von Lothar Bisky zum Bundestagsvizepräsidenten:

"So gewinnt man nach links verprellte Wähler gewiss nicht zurück, so stärkt man höchstens eine Wagenburg-Mentalität und zementiert die Spaltung des Landes. So erreicht man auch eine falsche Solidarität innerhalb jener Wagenburg, die die ja noch keines erledigte Aufarbeitung des SED-Regimes in deren Nachfolgepartei und auch bei manchem von deren Anhängern erst mal verdrängen könnte. Kein gutes Omen einer großen Koalition, der man ja schon vor ihrem offiziellen Stapellauf ohnehin latente parlamentarische Selbstherrlichkeit unterstellt."

Der TAGESSPIEGEL aus Berlin plädiert für ein rasches Ende der Hängepartie:

"Vierter Wahlgang und durch. Unmut ja, aber per Enthaltung, nicht per Nein-Stimme. Das reicht für Bisky, fürs eigene Seelenprotokoll und deckt den politischen Kollateralschaden noch am passabelsten ab. Der parlamentarische Fehlstart war kein Ruhmesblatt für die scheidenden Fraktionschefs Angela Merkel und Franz Müntefering."

Die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe sehen ein Menetekel:

"Der Eklat um Lothar Bisky, den Chef der Linkspartei, der bei der Wahl zum Vizepräsident in einer beispiellosen Abstrafaktion gleich drei Mal durchgefallen ist, gibt einen Vorgeschmack auf die drohenden Auseinandersetzungen zwischen einer übergroßen Koalition und einer zersplitterten, ohnmächtigen Opposition."