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Pressestimmen von Donnerstag, 22. August 2002

zusammengestellt von Barbara Zwirner21. August 2002

Flutkatastrophe und Wahlkampf

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Die Hochwasserkatastrophe an der Elbe bleibt weiterhin das beherrschende Kommentarthema in der deutschen Tagespresse. Mehrere Zeitungen beschäftigten sich dabei mit der Frage, wem die Krisen-Bewältigung vor den Wahlen mehr hilft, dem Kanzler oder seinem Herausforderer:

DIE WELT schreibt:

"Im Finale des Wahlkampfs schlüpfen die Protagonisten in schräge Rollen. Schröder gibt den Schimmelreiter auf dem Deich, legt seine über Jahre ausgeruhte Hand auf die Steuerreform und mimt den Macher; Stoiber reiht sich in die nationale Eimerkette, gefällt sich kurzzeitig als der bessere Sozialdemokrat und entdeckt schließlich den Bundesbankgewinn als rettenden Schatz. Beide tragen plötzlich Gummistiefel und benutzen die Elbe-Flut als politisches Planschbecken für Tatmenschen - und während es vor taktischen Manövern nur so spritzt, rufen sie von den Sandsäcken in jede Fernsehkamera: Auf keinen Fall Wahlkampf mit der Flut machen! Das ohnedies bescheidene Niveau des Wahlkampfs fällt auf den Pegelstand einer Posse."

Die in Mainz erscheinende ALLGEMEINE ZEITUNG meint:

"Helmut Schmidt war es, der von einer Sturmflut geradewegs ins Kanzleramt gespült wurde, ein ungewöhnlicher Start für einen hervorragenden Mann. Jetzt kann es passieren, dass die Flutkatastrophe den amtierenden Regierungschef trockenen Fußes in eine neue Amtsperiode trägt. Gestern noch der bespöttelte 'Meister der ruhigen Hand', steht Gerhard Schröder heute unversehens als Muster an Tat- und Entschlusskraft da. Nur mühsam gelingt es seinem Widerpart Stoiber, thematisch Schritt zu halten, während sich FDP-Kandidat Westerwelle die Haare über seinen Entschluss raufen darf, das Guidomobil nicht unverzüglich in die Hochwassergebiete gelenkt zu haben: Ein kapitaler Fehler, der zur Zeit nur noch übertroffen wird durch das Fehlen eines Umweltexperten im Kompetenzteam seines CSU-Pendants."

Auch die FRANKFURTER RUNDSCHAU beleuchtet die Folgen der Flut für die Union:

"In Katastrophen schlägt die Stunde der Regierenden. Nirgendwo aber steht geschrieben, dass die Opposition zwangsläufig wie ein Haufen naiver Amateure dazustehen hat. Genau das aber ist der Fall. In krampfhafter Suche nach dem eigenen Akzent ist den Unionisten deshalb eingefallen, dass es bei den Solidarleistungen für die Flutopfer nicht gerecht zugehe. Kaum allerdings werfen sie ihre alte Forderung nach höherer Besteuerung der Kapitalgesellschaften ins Hochwasser, da kontert auch schon der Kanzler, alles, was zusätzlich geleistet werde, sei ihm recht. Es ist Krise. Gerhard Schröder gibt das Tempo vor. Und Stoiber? Nun ja, der ist gewaltig außer Tritt geraten."


Die OFFENBACH-POST ergänzt:

"Diese Strategie hätte Edmund Stoiber einfallen sollen: zum Kanzler gehen und sagen, verschieb die Steuerreform, und wir machen sofort mit. Schließlich geht es ja um die Menschen und um eine nationale Aufgabe. So agieren Kanzler(kandidaten). Die Union steckt so gesehen in der Falle, zumal sie eine eh nicht für gut gehaltene Steuerreform nun nicht plötzlich als Konjunkturdünger verkaufen kann. Also noch ein Thema verschlafen. Und Gerhard Schröder ist dabei, vier Jahre Versäumnisse und nicht gehaltene Versprechen in vier Wochen vergessen zu machen. Genial."

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Düsseldorf resummiert:

"Es hat auch Vorteile, dass uns die Flutkatastrophe ausgerechnet während des Wahlkampfes heimgesucht hat. Keine Partei will einen großen Streit um die Hilfe provozieren. So werden sich Regierung und Union in Sachen zweiter Stufe der Steuerreform zu einem Kompromiss zusammenraufen. Rot-Grün kann es nicht auf sich sitzen lassen, ausgerechnet von Edmund Stoiber als sozial unausgewogen verunglimpft zu werden, und die Opposition will in dieser Situation nicht ins Abseits rutschen. Alle sitzen schließlich in einem Boot."

Die Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT setzt einen anderen Akzent:

"Die große Überraschung des schläfrigen Wahlsommers 2002 ist eine veritable Epidemie der Spenden- und Opferbereitschaft, des freiwilligen Einsatzes und Mitanpackens. Vater Staats Wohlstands-Kinder sind zu Tausenden an die Wasserfront geströmt, um zu schippen und zu helfen, zu schleppen und zu trösten. Und zwar ohne jenen Marschbefehl, der 19.000 Soldaten in die Verteidigungsräume beorderte."