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Pressestimmen von Donnerstag, 23. März 2006

Gerhard M Friese 22. März 2006

Christen-Prozess in Afghanistan / ETA kündet Waffenruhe an

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Beherrschende Themen der Kommentare deutscher Tageszeitungen sind an diesem Donnerstag der Prozess gegen einen zum Christentum übergetretenen Afghanen in Kabul und die Ankündigung der baskischen Untergrundorganisation ETA, ab Freitag eine unbefristete Waffenruhe in Kraft treten zu lassen.

Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN warnen vor überzogenen Reaktionen auf den Prozess in Afghanistan:

"Natürlich kann es nicht sein, dass in einem Land, dessen Verfassung die religiösen Minderheitenrechte schützt, ein Christ wegen seines Glaubens umgebracht wird. Doch diese von der internationalen Gemeinschaft bejubelte Verfassung schreibt eben auch vor, dass Muslime ihre Religion nicht wechseln dürfen. Ein Widerspruch, der immerhin Raum für ein gnädiges Urteil bietet. Diesen nutzt man am besten durch stille und beharrliche diplomatische Einflussnahme und nicht durch aufgeregtes Wie-könnt-ihr-nur-Gebrüll."

Die Düsseldorfer Wirtschaftszeitung HANDELSBLATT meint:

"Der Fall zeigt vielmehr, wie problematisch und zeitraubend Demokratieexport grundsätzlich ist. Die Errungenschaften der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte lassen sich nicht von oben dekretieren. Die afghanische Gesellschaft muss diese Rechte verstehen und auch wollen. Damit nicht in Berlin und London gegen islamischen Übereifer protestiert wird, sondern in erster Linie auf den Straßen Kabuls."

Und die BERLINER ZEITUNG schreibt:

"Legt der Westen seine eigenen Maßstäbe ungeschmälert an seine liberalen afghanischen Verbündeten an, zwingt er ihnen allgemein richtige, konkret aber fatale Entschlüsse ab, haben die Islamisten schon gewonnen. Wer jetzt aus dem Fall Abdul Rahman, aus dessen spezifischen Umständen heraus den Einsatz der Bundeswehr in Frage stellt, redet unbedacht und wenig zweckdienlich. Die ist dort, um langfristig die demokratische Entwicklung Afghanistans zu sichern. Afghanischen Clans wird man nicht im Hauruck-Verfahren Toleranz beibiegen. Und Hamid Karsai regiert ein Afghanistan voller Afghanen, kein Deutschland voller Menschenrechtsfreunde."

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder hält dagegen:

"Dass die afghanische Regierung auf die eher zurückhaltenden Erklärungen der Bundesregierung im Fall Rahman geradezu empört reagierte, sollte nicht ohne Folgen bleiben. Die neuen Herren in Kabul haben keinen Daueranspruch auf finanzielle Unterstützung und militärischen Schutz, wenn sie unter dem Deckmantel eines angeblich gemäßigten Islams nicht die grundlegenden Spielregeln einhalten."

Ähnlich argumentiert die ESSLINGER ZEITUNG:

"So lange in Afghanistan Menschenrechte mit Füßen getreten werden, geht es vor allem diejenigen Staaten an, welche die Demokratie schützen sollen. Präsident Hamid Karsai muss sich genau überlegen, ob er das Todesurteil - so es eines gibt - unterzeichnet. Das würde sein Land erheblich zurückwerfen. Deutschland müsste dann entscheiden, ob es seine Soldaten in einer Region lässt, die gar nicht willens ist, demokratisch zu werden."

Die Ankündigung der baskischen Untergrundorganisation ETA ab Freitag eine unbefristete Waffenruhe in Kraft treten zu lassen, ist bei den Kommentatoren deutscher Tageszeitungen auf Skepsis getroffen.

Die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera warnt:

"Die ETA will zwar auf den Terror verzichten, aber nicht auf die baskische Unabhängigkeit, für die sie kämpft. Allein deshalb sind weitere Spannungen programmiert. Und ein erneuter Bruch der Feuerpause ist in der Zukunft nicht ausgeschlossen. Diese bittere Erfahrung mussten die Spanier bereits Ende 1999 machen. Die Situation ist heute ähnlich, nur mit dem kleinen, aber vielleicht doch wichtigen Unterschied, dass seit zwei Jahren in Spanien der reformfreudige Sozialdemokrat Jose Luis Zapatero regiert. Der lehnt die Unabhängigkeit des Baskenlandes zwar genauso ab, wie sein konservativer Vorgänger Jose Maria Aznar. Doch scheint Zapatero zumindest bereit zu sein, den Basken weitere Selbstverwaltungsrechte zuzugestehen."

Bedenken auch bei der FRANKFURTER NEUEN PRESSE:

"Die Waffenruhe, die die Eta jetzt verkündet, ist mit Vorsicht zu genießen. Schon der Begriff 'Waffenruhe', der nach 'Waffenstillstand' klingt, zeigt, dass sich die Terroristen fälschlich auf gleicher Ebene wie die wirklich vom Volk gewählten staatlichen Organe wähnen. Konsequent wäre es, wenn die Eta ihren bedingungslosen Gewaltverzicht erklärte. Doch sie droht letztlich damit, den Terror wieder aufzunehmen, falls der von ihr skizzierte 'demokratische Weg' nicht eingeschlagen würde, der letztlich auf die völlige Unabhängigkeit des Baskenlandes zielt.

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER spricht zwar von einer guten Nachricht, mahnt aber zur Vorsicht:

"Es wäre nicht der erste 'taktische' Waffenstillstand, den die ETA zur Erholung und zur Sammlung neuer Kräfte nutzt, um gestärkt zum bewaffneten Kampf zurückzukehren. An der festgefahrenen Ausgangslage hat sich ja noch nichts geändert. ETA hält am Ziel einer Unabhängigkeit des Baskenlandes von Spanien und Frankreich fest, die Regierung in Madrid will und kann dem nicht zustimmen. Erst wenn ETA akzeptiert, dass nur ein Abrücken von der Maximalforderung den Weg zu einer politischen Lösung des Konflikts öffnen kann, hat der Frieden eine Chance."

Auch die FRANFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG kritisiert die ETA-Erklärung, meint aber:

"Dennoch ist die versprochene Terrorpause für alle Spanier ein Grund zur Erleichterung. Sie ist auch der bislang größte Triumph für Zapatero, der sie zur Bedingung für Verhandlungen machte. Diese werden voller Fallstricke sein und - nach dem neuen Autonomiestatut für Katalonien - Spaniens nationale Einheit abermals auf die Probe stellen."

Und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München befindet:

"Nie war die Chance auf ein Ende der baskischen Tragödie so nah, auch wenn dauerhafte Ruhe ähnlich wie in Nordirland einen langen Atem erfordert. Zapatero will die historische Chance nutzen. Gespräche mit der ETA bergen politischen Zündstoff, aber der ist harmloser als jede Autobombe."