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Pressestimmen von Donnerstag, 26. April 2007

Stephan Stickelmann 25. April 2007

Rückzug von Siemens-Chef Kleinfeld / Krach in der großen Koalition

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Die Krise bei Siemens hat mit der Rücktrittsankündigung von Konzern-Chef Kleinfeld einen neuen Höhepunkt erreicht. Damit beschäftigen sich zahlreiche Tageszeitungen. Im Blickfeld der Kommentatoren ist ferner der aktuelle Hauskrach in der großen Koalition.

Zum Rückzug Kleinfelds schreibt die in Ulm erscheinende SÜDWEST PRESSE:

"Siemens, das war einmal der Inbegriff für deutsche Ingenieurskunst und Wertarbeit. Derzeit steht der Elektronik-Konzern fast nur noch für Korruption, für Personalquerelen und für Chaos. Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer musste zurücktreten und auch sein Nachfolger im Amt des Vorstandschefs, Klaus Kleinfeld, wurde zum Rücktritt genötigt. Es war ein unwürdiges Spiel. Nicht, dass man darüber nachdenkt, die Konzernspitze für das zur Verantwortung zu ziehen, was Siemens in seinen Grundfesten erschüttert. Vielmehr die Art, wie dies geschieht, lässt einen an der Fähigkeit mancher Manager zweifeln, die den Konzern beaufsichtigen. Denn mit offenkundigen Indiskretionen aus dem Aufsichtsrat heraus wurde Kleinfeld in die Knie gezwungen."

Der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth ergänzt:

"Man muss Klaus Kleinfeld nicht überreichlich Sympathie entgegenbringen, wenn man das unrühmliche Machtspiel um seinen Vorstandsposten verurteilt. Nun geht Kleinfeld im Strudel der Ereignisse unter, obwohl nichts Konkretes gegen ihn vorliegt. Pierers Erblast hat ihn erdrückt, bevor er selbst für einen Neuanfang stehen konnte. Man darf davon ausgehen, dass Kleinfeld nicht lange ohne lukrativen Job bleibt. Doch der bittere Abschied von Siemens lässt wohl auch einen Manager wie ihn nicht kalt."

Die TAGESZEITUNG (TAZ) aus Berlin analysiert:

"Kleinfeld muss gehen, weil das Image des Unternehmens ramponiert ist. Dies offenbart einen Wandel in der Welt der Großunternehmen: Da ihre Produkte zunehmend austauschbar sind, wird das Image zur eigentlichen Marke, die es zu schützen gilt. Damit werden die Unternehmen moralisch verletzlich. Unternehmensethik wird zum Wirtschaftsgut. Inzwischen muss jedoch jedes Unternehmen zusehen, dass es nicht peinlich auffällt. Kungelei geht nicht mehr. Der Siemens-Vorstand wird nicht der letzte bleiben, der diese Erfahrung macht."

In der TAGESPOST aus Würzburg schließlich heißt es:

"Schwarze Kassen und Schmiergelder an Betriebsräte - Sollte Heinrich von Pierer von den Machenschaften seiner Untergebenen tatsächlich nichts gemerkt haben, hat der Edelmann seine Aufsichtspflicht grob vernachlässigt. Klaus Kleinfeld, der doch bloß die Suppe auslöffeln muss, die ihm sein Vorgänger eingebrockt hat, ist offenbar so stark verstrickt in dieses System aus krimineller Verschwiegenheit oder offensichtlicher Unfähigkeit, dass Vertreter der Kapitalseite einen Neuanfang fordern. Noch am vergangenen Freitag ließ die Kanzlerin erklären, sie setze weiter auf Pierers Rat. Warum? Hat die 'Genosse-der-Bosse'-Attitüde ihres Vorgängers solch einen Eindruck auf die Kanzlerin gemacht, dass sie von einem Mann nicht lassen kann, der entweder kriminell oder unfähig sein muss?"

Es kracht derzeit wieder kräftig im Gebälk der großen Koalition. Auslöser des aktuellen Streits waren die kritischen Äußerungen des SPD-Vorsitzenden Beck und von Fraktionschef Struck in Richtung Union. Dazu bemerkt die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND:

"Der kalkulierte Wutausbruch hat im politischen Repertoire einen Stammplatz. SPD-Fraktionschef Peter Struck und Parteichef Kurt Beck haben hinter verschlossenen Türen ordentlich über den Koalitionspartner hergezogen – und dafür gesorgt, dass die Bosheiten sogleich an die Öffentlichkeit drangen. So kriegerisch die Angriffe klangen, so weit sind die beiden Parteien von einer Krise entfernt, die das Bündnis gefährdet. Nicht umsonst wählten Struck und Beck für ihre Angriffe Themengebiete, bei denen SPD und Union in der Sache dicht beisammen sind: Bei innerer Sicherheit, Familienpolitik oder Unternehmenssteuerreform liegen die Differenzen eher im Detail als im Grundsatz."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG konstatiert:

"Darum, wer nun Recht hat in den jüngsten Streitereien, geht es gar nicht. Vielmehr markieren sie im Auf und Ab der Stimmungsschwankungen, die diese Koalition von Anfang an begleitet haben, zur Abwechslung einen Punkt, an dem sich die CDU wohler fühlt als die SPD. Vor einem Jahr, als die SPD die Union mit dem Antidiskriminierungsgesetz und der Gesundheitsreform vor sich hertrieb, war sie weit weniger empfindlich. Nun redet Beck schon von 'Wortbruch', nur weil ein einzelner CDU-Abgeordneter die Erbschaftssteuer in Frage gestellt hat. Aber von der damaligen Situation unterscheidet sich die heutige dadurch, dass der SPD- Vorsitzende für sein erstes Jahr keine besonders guten Noten erhielt, die SPD weiter im Umfrage-Tief verharrt und in Bremen Wahlen vor der Tür stehen."

Die in Mainz erscheinende ALLGEMEINE ZEITUNG ist der Ansicht:

"Nein, die schwarz-rote Vernunftehe steht nicht vor der Scheidung, aber unüberhörbar fliegen die Tassen in dieser vom Wähler erzwungenen Zweisamkeit. Das war grundsätzlich auch gar nicht anders zu erwarten, da schon alleine wegen der zahlreichen Wahlen die Koalitionspartner irgendwann auch wieder die nötige Distanz zu einander brauchen, um aus Sicht des Wählers ein eigenes, möglichst unverwechselbares Profil zu bekommen. Aber so schnell? Aber selbst dann, wenn die Bündnispartner in Streit geraten, lässt sich der anders austragen, als das derzeit praktiziert wird."

Ähnlich ist auch der Tenor des Kommentars der FRANKFURTER RUNDSCHAU - Zitat:

"In Berlin gibt es keine ernste Krise, da hat Merkels Regierungssprecher Recht. Aber einiger Ernst und etwas Stimmungskrise kommen schon zusammen. Auch wenn es teilweise um Details geht, über die sich einigen kann, wer sich einigen will und über die man sich schließlich einigen wird. Während es dagegen bei Mindestlohn oder Steuerpolitik schlicht Unvereinbarkeiten gibt. Die Koalition jedenfalls wird so schnell nicht platzen. Das eigentliche Krisensymptom aber ist: Die Frage nach dem Profil stellen beide Partner schon jetzt nur für sich selbst."