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Pressestimmen von Freitag, 11. Mai 2007

Christoph Schmidt10. Mai 2007

Streik bei der Telekom / Blair tritt zurück

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Im Streit um die Auslagerung von 50.000 Telekom-Mitarbeitern hatte weder die Gewerkschaft Verdi noch die Konzernspitze um René Obermann echte Kompromissbereitschaft gezeigt. So kam es, wie es kommen musste: Bei einer Urabstimmung stimmten über 96 Prozent der Befragten für einen Streik. Verdi kündigte ihn prompt für diesen Freitag an. Ein weiteres Thema dieser Presseschau ist der definitive Rücktritt des britischen Premierministers Blair.

Die BERLINER ZEITUNG schreibt zum Streik bei der Telekom:

'Die Messlatte hat sich Verdi mit diesem Abstimmungsergebnis auf eine riskante Höhe gelegt. Es sind, das ist völlig unzweifelhaft, schmerzhafte Einschnitte, die die Telekom ihren Mitarbeitern zumuten will. Es ist gutes Recht der Gewerkschaft, sich dagegen zu wehren, auch mit dem Mittel eines Arbeitskampfes. Doch das Risiko für Verdi, nach einem möglicherweise äußerst erfolgreichen Streik perspektivisch schlechter dazustehen als vor dem Arbeitskampf, ist enorm groß.'

Die KIELER NACHRICHTEN halten die Entschlossenheit der Gewerkschaft für den falschen Weg:

'Verdi ist rationalen Argumenten nicht mehr zugänglich. Kunden werden in den nächsten Wochen vergeblich auf einen Neuanschluss warten, Störungen werden später behoben. Frustrierte Verbraucher werden sich von der Telekom abwenden und scharenweise zur Konkurrenz marschieren. So wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Verdi scheint das nicht zu interessieren. Die Gewerkschaft beharrt auf tariflichen Besitzständen aus längst vergangenen Zeiten. Das schadet dem Unternehmen, den Aktionären vor allem aber schneiden sich die Arbeitnehmer ins eigene Fleisch.'

Pure Unvernunft sieht die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock dagegen auf Seiten des Telekom-Chefs:

'Wochenlang hatte Obermann seine harte Linie zu vermitteln versucht. Jetzt beißt er sich die Zähne aus am Widerstand seiner Angestellten und manövriert sich in die Zwickmühle. Wie soll er einen Konzern aus der Krise führen, dessen Personal kein Vertrauen mehr in ihn hat? Dass seine kompromisslose Haltung keinen Erfolg hat, scheint den Konzernchef nur leider nicht zu jucken. Dabei wäre es längst Zeit, den Beschäftigten annehmbare Vorschläge zu unterbreiten. Ansonsten kann es schnell passieren, dass der rosa Riese nicht nur schwankt, sondern umfällt.'

Der Neubrandenburger NORDKURIER nimmt auch Obermanns Vorgänger ins Visier:

'Das Feuer entzündet sich an einer Konzernspitze, die dem Unternehmen in 11 Jahren 18 Umstrukturierungen zugemutet hat. Patzte ein Vorstand, versuchte sich bald danach der nächste und ritt den Konzern weiter in die Krise. Nicht die höheren Preise vergrätzen die Kunden. Vor allem der schlechte Service durch ständige Organisationsänderungen und ausgebliebene Investitionen. Die Folgen der Fehler werden nun auf die Mitarbeiter abgewälzt. Das Tischtuch zwischen Belegschaft und Konzernspitze ist zerschnitten. Gerade dadurch wird es besonders schwer, den Konflikt zu entschärfen.'


Themenwechsel: Großbritanniens Premierminister Tony Blair hat nun ein konkretes Datum für seinen lange angekündigten Rücktritt genannt. Am 27. Juni will der Labour-Chef nach zehn Jahren im Amt aus der Downing Street ausziehen. Zum Ende einer Ära ziehen die Pressekommentare eine Bilanz der Regierung Blair:

Dazu schreibt das MAIN-ECHO aus Aschaffenburg:

'Nie zuvor hatte Großbritannien einen Politiker erlebt, der ähnlich erfolgreich die unterschiedlichsten Schichten ansprechen konnte. Er war, im guten Sinn des Wortes, ein Populist: ein Regierungschef, der die breite Mehrheit der Regierten hinter sich scharen konnte, weil er wusste, was der Mann auf der Straße denkt. Sein Niedergang begann als er diese Flexibilität verlor und seine Politik, insbesondere seine Außenpolitik, immer mehr nach seinem moralischen Gewissen ausrichtete.'

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen meint:

'Blair wollte mit der sozialistischen Tradition brechen. Aus Old Labour wurde New Labour. Blair und seine intellektuellen Mitstreiter definierten Gleichheit als Gleichheit am Start, nicht am Ende als Ergebnis staatlicher Eingriffe. Für sie war Sozialpolitik kein Wert an sich. Vielmehr war ihnen klar, dass Sozialleistungen aus wirtschaftlichem Wachstum finanziert werden müssten. Anstatt Träumen von einer besseren Welt nachzuhängen, wollten sie die Linke mit der Globalisierung versöhnen. Blair wollte ließ von seiner Idee auch nicht ab, als die Kritik zunahm, auch aus der eigenen Partei. Er war ein Steher, vom ersten bis zum letzten Tag.'

In der MITTELDEUZTSCHEN ZEITUNG aus Halle heißt es zu Blairs Wirtschaftspolitik:

'Blair konnte von den Reformen der konservativen Vorgängerregierungen profitieren. Der wirtschaftliche Aufschwung Großbritanniens war schon vorbereitet. Aber Blair hat es verstanden, den von Margaret Thatcher eingeschlagenen Kurs fortzusetzen und ihn als seinen eigenen zu verkaufen. Dem Land hat es genützt. Und Blairs dritter Weg gewann in ganz Europa Sympathie. Auf der Hand liegt zugleich Blairs größer Fehler: seine bedingungslose Gefolgschaft in den Irak-Krieg. Bis heute steht er zu diesem Krieg, dessen Rechtfertigung zu großen Teilen auf Lügen beruhte. Eine Fehlentscheidung, die seine Macht und sein Ansehen in den letzten Jahren rapide schrumpfen ließen.'

Hierzu bemerkt die STUTTGARTER ZEITUNG:

'Wer soll denn jetzt Bushs Außenpolitik ins Englische übersetzen? Scherze dieser Art, die auf die Entscheidung des Premiers abheben, mit den USA in den Irakkrieg zu ziehen, finden sich zuhauf. Das Bild von Blair als Bushs treuherzigem Pudel - weite Teile der Öffentlichkeit sehen in dem Mann, der nun Downing Street verlässt, nur noch eine Witzfigur oder einen Lügner, der sich die Tatsachen zurechtbog, um einen Kriegsgrund präsentieren zu können. Es ist die selbst verschuldete Tragödie des Tony Blair, dass die Briten nun mit Erleichterung auf den Rücktritt eines Premiers reagieren, dem sie viel verdanken.'