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Pressestimmen von Freitag, 21.Juni 2002

Gerhard M Friese20. Juni 2002

Bundespräsident unterzeichnet Zuwanderungsgesetz

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Bundespräsident Johannes Rau hat das umstrittene Zuwanderungsgesetz unterzeichnet. Dafür, aber vor allem für seine harsche Kritik am Verhalten der Politiker in der Länderkammer, erntet er viel Lob von den Kommentatoren deutscher Tageszeitungen.

So schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München:

"Rau hat klar, logisch und unbestreitbar dargelegt, warum die Rolle des Bundespräsidenten nicht darin bestehen kann, eine verfassungsrechtlich umstrittene Frage auf dem Wege der Unterzeichnung oder Nicht-Unterzeichnung eines Gesetzes zu entscheiden. Man kann, sagt Rau, was die Art und Weise der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes im Bundesrat angeht, 'in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht jeweils mit guten Gründen zu dem einen oder dem anderen Ergebnis kommen'. Wenn die Lage aber so ist, dann muss in unserem politischen System das Bundes-Verfassungsgericht über die gültige Interpretation des Grundgesetzes entscheiden."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU merkt an:

"Selten war Kritik am Verhalten der Parteien, genauer: der beiden Großexemplare Union und SPD, so angebracht... Eine beispiellose Konkretion aus dem Munde eines Staatsoberhauptes, das normalerweise in die Wolken der Abstraktion verbannt ist. Der Präsident wird es nie verraten, aber einiges spricht dafür, dass ihn die Genossen der eigenen Herkunftspartei mindestens so in Rage gebracht haben wie Christdemokraten mit ihrem respektlosen 'Finger weg von der Unterschrift'. Nun haben die Richter in den roten Roben das Wort zur juristischen Würdigung. Darüber hinaus hat der Präsident das politisch Notwendige gesagt. Und das war verdammt gut so."

In der Berliner TAGESZEITUNG lesen wir:

"Das Verhalten von Rau zeugt von Respekt gegenüber dem Prinzip der Gewaltenteilung. Selbstverständlich ist das offenbar nicht. Zu Recht hat er sich verwundert darüber gezeigt, dass die Unionsparteien eine Klage vor dem Verfassungsgericht als 'Drohung' betrachten. Sie legen
damit ein ebenso seltsames Rechtsverständnis an den Tag wie die SPD-Fraktionsvorsitzenden aus Bund und Ländern, die gestern die Verfassungsmäßigkeit des Zuwanderungsgesetzes für nunmehr erwiesen erklärt haben. Ist ja egal, was der Bundespräsident so vor sich hin redet."

Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle verlangt:

"Der politische Teil der Rede des Bundespräsidenten müsste zur Pflichtlektüre von Parteipolitikern werden. Man sollte diesen kurzen Text immer mal wieder hervorholen, wenn die Maßstäbe zu entgleiten drohen, wenn kurzfristige taktische Vorteile wichtiger werden, als die Sache selbst.... Es ist ein Akt politischer Kultur, wenn das Staatsoberhaupt nun ganz undiplomatisch den Finger auf diese Wunde gelegt hat."

Zustimmung auch von der ABENDZEITUNG aus München:

"Mehr noch als für seine Entscheidung verdient Rau Anerkennung und Respekt für seine Standpauke an die Parteien. Zehn Jahre ist es her, dass sein Vorgänger von Weizsäcker ihnen Machtversessenheit und Machtvergessenheit vorgeworfen hat. Genützt hat es wenig. Es war an der Zeit für ein neues Donnerwetter. Hoffentlich lernen die Parteien diesmal aus der präsidialen Strafpredigt."

Ähnlich auch die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam:

"Die verbindliche Entscheidung in diesem Auslegungsstreit hat Rau dorthin verwiesen, wo sie hingehört: ins Bundesverfassungsgericht. Noch eindrucksvoller als seine Begründung der Unterschrift war das, was er den politischen Parteien im Hinblick auf ihren Umgang mit dem Verfassungsorgan Bundesrat ins Stammbuch schrieb. Als Integrations-Instrument, mit dessen Hilfe Länder- und Bundesinteressen zum Wohle aller abgeglichen werden sollen, ist der Bundesrat in der Tat nicht erst seit dem Streit ums Zuwanderungsgesetz ein ums andere Mal schwer beschädigt worden. Der Bundespräsident hat seine Rolle
gestern ausgefüllt."

Etwas persönlicher die KIELER NACHRICHTEN:

"Nicht wiederzuerkennen war der Präsident, der seit seinem Amtsantritt von der deutschen Öffentlichkeit im Vergleich zu seinen Vorgängern als eher blass und zaghaft empfunden wurde. Nicht so gestern. Deutschland erlebte einen Präsidenten, der kraftvoll Dinge gerade rückte, die aus dem Lot geraten waren. Der auf beeindruckende Weise denen die Leviten las, die glaubten, Institutionen wie den Bundesrat als Bühne für politisches Kasperletheater mit vorher eingeübter Empörung nutzen zu können, die mit peinlichen
Inszenierungen das Ansehen der politischen Kultur in der Bundesrepublik beschädigt haben."