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Pressestimmen von Freitag, 7. Juni 2002

Eleonore Uhlich6. Juni 2002

Möllemann

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Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen befassen sich an diesem Freitag ausschließlich mit der Entschuldigung von FDP-Vize Jürgen Möllemann im Streit über Antisemitismus.

Im Berliner TAGESSPIEGEL lesen wir:

"Ob jetzt alles gut wird, ist mehr als fraglich. Jedenfalls war es verdammt knapp: Viel zu lange hat die Republik mit ansehen müssen, wie Jürgen W. Möllemann den Vizepräsidenten des Zentralats der Juden Michel Friedman nicht nur beleidigte, sondern gar noch ein paar Beleidigungen, als Bedauern getarnt, hinterher schickte: von 'Missverständnissen' war die Rede - als sei das Publikum zu blöde zu verstehen. Dass Möllemann dennoch wie gefordert reagiert und sich entschuldigt - viel zu spät, um ihn ernst nehmen zu können - kann nur daran liegen, dass er den möglichen künftigen Schaden für sich und die FDP inzwischen für größer hält als den Nutzen dieser Dauerdebatte für sein Projekt Stimmenfang."

Die OFFENBACH POST ergänzt:

"Der Schritt Möllemanns auf dem Weg zum Frieden mit dem Zentralrat und zu mehr Sachlichkeit in der Antisemitismusdiskussion war gerade mal ein halber, ein wenig glaubwürdiger. Und so stellen sich nach diesem Tag voller Überraschungen auch noch die Fragen: Hat Westerwelle die Machtprobe am Ende tatsächlich bestanden? Und: Wie lange kann sich die FDP überhaupt einen Möllemann leisten, ohne in den Abgrund zu stürzen? Unter den Fall Möllemann ist der Schlussstrich zwar noch nicht gezogen. Als führender Politiker hat sich der Westfale aber spätestens gestern disqualifiziert."

Die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG aus Regensburg führt aus:

"Ein Zeichen menschlicher Größe zu setzen, ist dem Egomanen Möllemann offenbar fremd. Doch was lässt sich schon von einem Politiker erwarten, der den Bundeskanzler in einer TV-Talkrunde öffentlich als «Knilch» tituliert? Möllemann hat gestern seine vermutlich letzte Chance vertan, die Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Zentralrat der Juden halbwegs elegant zu beenden. Er schädigt wegen seiner persönlichen Fehde mit Friedman bewusst seine Partei. Die nächste Auseinandersetzung mit dem Vorsitzenden dürfte eine reine Frage der Zeit sein. Solange dieser Vize sein unberechenbares Unwesen treibt, wird die FDP kaum zur Ruhe kommen.

Mit den Beweggründen Möllemanns befassen sich die KIELER NACHRICHTEN. Dort heißt es:

"Zu viel stand für den Möchtegern-Rebell auf dem Spiel, so dass er sich doch noch kleinlaut seinem verärgerten Chef Westerwelle unterordnete. Möllemann befürchtete die Isolierung in seiner fast zerrissenen Partei, das populistische Projekt 18 drohte als blau-gelber Testballon zu platzen. Aber Westerwelle braucht Möllemann für einen Wahlerfolg. Der steht für unbequeme Positionen, bleibt ein politischer Krawallmacher, der auf die Wählerschichten an den Rändern schielt. So wird Möllemann auch künftig seine Machtbesessenheit mit scharfer Zunge beweisen. Und das Zweckbündnis Westerwelle/Möllemann wird halten, vorerst bis zum Wahltag."

Auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG fragt: 'Was war die Ursache, was ist die Wirkung?' und fährt fort:

"Die eigentliche Ursache dieses Konflikts wird verschwiegen, weil sie niemandem in das politische Konzept passt und künftige Konflikte ahnen lässt. Möllemann selbst hat in knapper Form dargelegt, dass es ihm nicht um Karsli ging, sondern um die Stimmen der «achthundert-tausend muslimischen Wähler in Deutschland». Da diese Wählerschichten langfristig erhalten bleiben, wird sich der Kampf um die Macht mit oder ohne Möllemann fortsetzen."

Abschließend ein Blick in die ESSLINGER ZEITUNG:

"Eine Ursache dafür, dass der Konflikt diese unsäglichen Ausmaße angenommen hat, liegt darin, dass hier zwei besonders exaltierte und egozentrische Selbstdarsteller aufeinander geprallt sind. Keiner, nicht Möllemann, nicht Friedman, ist bereit, auch nur einen Millimeter zurückzuweichen. Geschweige denn einzugestehen, dass man sich in irgendeiner Beurteilung jemals geirrt haben könnte. Insofern hat der Konflikt auch eine persönliche Note. Denn natürlich ist die FDP keine antisemitische Partei genau so wenig wie Deutschland ein antisemitisches Land ist. - Wer solches behauptet, verharmlost im übrigen tatsächlich vorhandenen Antisemitismus", schreibt die Eßlinger Zeitung, mit der wir diese Presseschau beenden.