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Pressestimmen von Mittwoch, 15. November 2006

Christoph Schmidt14. November 2006

Einigung zum Bleiberecht / Blair für Strategiewechsel

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Die Große Koalition hat sich im Kern auf eine Bleiberechtsregelung für Ausländer ohne feste Aufenthaltsgenehmigung geeinigt. Familien, die seit sechs und Alleinstehende, die seit acht Jahren in Deutschland leben, dürfen bleiben, wenn sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Ein weiteres Thema dieser Presseschau ist der Vorschlag des britischen Premiers Blair für einen Strategiewechsel im Nahen und Mittleren Osten.

Der FRÄNKISCHE TAG aus Bamberg urteilt zum Bleiberecht:

"Durchgesetzt im Koalitionsgeschacher haben sich die Unions-Politiker mit einer harten Linie. Zu hart. Kirchenvertreter fürchten, dass im schlimmsten Fall 10 000, im günstigsten Fall 30 000 Ausländer bleiben dürfen. Der Rest würde abgeschoben. Niemand sollte durch pauschale Behauptungen den Eindruck erwecken, die Betroffenen seien nur auf die Segnungen des Sozialstaates aus. Selbst gut Ausgebildete tun alles, um Arbeit zu finden und ihre Familie zu ernähren. Auch wenn es ihnen die Gesetze so gut wie unmöglich machen."

Im GENERAL-ANZEIGER aus Bonn heißt es:

"Die Einigung baut hohe Hürden auf, die vor allem den Sozialmissbrauch verhindern sollen. Schon die Arbeitsplatzsuche für Nicht-Deutsche dürfte sich angesichts des immer noch angespannten Arbeitsmarktes schwierig gestalten. Das Paradies Eden findet auf deutschem Boden nicht statt. Der Kompromiss trägt aber zur Rationalisierung der Ausländerdebatte bei. Integration kann sinnvoll sein angesichts der demographischen Entwicklung in Deutschland."

Die Rostocker OSTSEE-ZEITUNG schreibt:

"In Deutschland «geduldete» Fremde können jederzeit abgeschoben werden. Für betroffene Gesellschaften ein spannungsgeladener, weil rechtsfreier Raum. Deshalb hatte die EU Richtlinien erlassen, um im Ausländerrecht für Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. Die Große Koalition musste also zum Kompromiss getragen werden. Dabei liegt es im ureigensten Interesse der Bundesbürger, den Ausländern einer klare Ansage zu machen: Hier gibt es Sicherheit für Leute, die ehrlich und integrationsbereit sind."

Die HEILBRONNER STIMME gibt zu bedenken:

"Gleichwohl birgt das neue Bleiberecht auch Risiken. Der von Arbeitsminister Müntefering befürchtete Verdrängungswettbewerb im Niedriglohnsektor ist eines davon. Auch lehren die Erfahrungen in anderen Ländern, dass ein rechtlich verankerter Bleibeanspruch auf Flüchtlinge weltweit eine Sogwirkung auslöst. Schon deshalb dürfen die jetzt formulierten Bedingungen nicht aufgeweicht werden. Sinnvoll wäre zudem ein Gesamtpaket, damit Deutschland auch auf Leistungsträger attraktiv wirkt. Für sie sind die Hürden noch zu hoch."

Themenwechsel: Angesichts der Gewalt im Irak und der Blockade im Nahost-Konflikt befürwortet der britische Premierminister Blair eine neue Strategie: Er will die bislang vom Westen isolierten Länder Syrien und Iran in die Lösung der Probleme einbinden und einen Dialog wagen. Die Kommentare der Presse befassen sich intensiv mit dem Vorstoß.

Für die NÜRNBERGER NACHRICHTEN ist der britische Premier auf dem richtigen Weg:

"Tony Blair scheint Bush und Olmert etwas voraus zu haben: An seiner Aufforderung, der gesamten Krisenregion eine grundlegend neue Sicherheitsarchitektur zu verpassen, mag man ablesen, dass da einer erkannt hat, dass man auf Dauer nicht am eigenen Volk vorbeiregieren kann. Es ist der alte Gedanke des «think big», des Denkens in großen Dimensionen, der den Briten eingeholt hat - auch wenn der damit wohl nur sein politisches Erbe ein wenig aufpolieren möchte."

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Düsseldorf zeichnet ein ungünstigeres Bild des Premierministers:

"Normalerweise trottet ein Hund hinter seinem Herrchen her. Sollte der Vierbeiner doch einmal vorauseilen, stellt das keinen Rollenwechsel dar, solange das Herrchen die Leine führt. Ganz ähnlich verhält es sich mit Bush und Blair. Wenn Blair nun augenscheinlich vorprescht und die Schurkenstaaten Iran und Syrien umwirbt, dann geschieht das nicht in Opposition zu Bush. Der treue Verbündete aus London spricht nur offen aus, was die US- Regierung nach ihrer bitteren Niederlage bei den Kongresswahlen endlich begriffen hat."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER hält Blairs Idee für realistisch:

"Syrien und Iran werden einem Geschäft nicht abgeneigt sein, wenn ein gutes Angebot auf dem Tisch liegt. Vor allem Syriens Herrscher Assad giert geradezu nach internationaler Anerkennung seit dem schmählichen Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon, der nicht zuletzt auf amerikanischen Druck zurückzuführen war. Mit dem Iran könnte es ungleich schwerer werden. Doch echte Verhandlungen ohne Vorbedingungen haben schon manche Kuh vom Eis gebracht."

Die LANDESZEITUNG aus Lüneburg kritisiert hingegen:

"So sieht eine verheerende Niederlage aus: Als letzter Ausweg erscheint den Kreuzzüglern für Demokratie das Paktieren mit den Mächten der Achse des Bösen. So ist die Einbeziehung Irans und vor allem Syriens in die Nahost-Politik zwar eine überfällige Idee. Doch der sich anbahnende Strategiewechsel im Irak kommt zu spät. Der Geist des Bürgerkriegs ist aus der Flasche. Schwer vorstellbar, dass ausgerechnet Iran und Syrien dem Westen dabei helfen werden, ihn wieder einzufangen. Zu sehr profitieren beide Staaten von dem Chaos im Nachbarland."