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Pressestimmen von Mittwoch, 3. Januar 2007

Siegfried Scheithauer2. Januar 2007

Verzögerung bei Gesundheitsreform / Schäubles Abschluss-Pläne

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Berliner Tauziehen um die Gesundheitsreform, Polemik um die Pläne des Innenministers zum Luftsicherheitsgesetz: Die große Koalition streitet zum Jahresbeginn vor allem im eigenen Lager. Ein gefundenes Fressen für die Opposition, aber auch für die Leitartikler der deutschen Tagespresse. --

Auf Drängen der Union soll die Gesundheitsreform in Deutschland erst Anfang Februar vom Parlament verabschiedet werden. Zuletzt hatte insbesondere die CSU noch einmal zentrale Punkte der Reform in Frage gestellt.

Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND fällt ein vernichtendes Urteil:

"Wird 2007 für die große Koalition das Jahr der Schnecke? (...) Nun gerät auch noch das Renommierprojekt Angela Merkels ins Stocken. (...) Auch mit mehr Weile wird aus einer schlechten Reform keine gute. Vielmehr ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass hier nicht nachgebessert, sondern verschlimmbessert wird. (...) Merkel wäre gut beraten, sich auf ihre Politik der kleinen Schritte zu beschränken und zum Beispiel den missratenen Gesundheitsfonds ganz fallen zu lassen. Denn was lange währt, wird nicht immer gut."

Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU schlägt in die gleiche Kerbe und meint:

"Zum wievielten Mal eigentlich hat bei der Gesundheitsreform das große Verschieben begonnen? Die Union möchte den Beschluss, der SPD-Politiker Lauterbach das ganze Fondsmodell vertagen. Kurz vor Torschluss benehmen sich Unionspolitiker so, als seien sie am Entwurf nicht beteiligt gewesen. (...) Die Union würde sich selbst aufgeben, wenn sie ihn unverändert passieren ließe. Welchen Preis wird die SPD für Änderungen fordern? Da kann man sich mit Bismarck trösten: Beim Würstemachen und beim Gesetzemachen schaut man lieber nicht zu."

Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg resümmiert kurz und bündig:

"Das zweifelhafte Mammutwerk kann auf dem Verschiebebahnhof nur weiter schrumpfen. Was bleibt vom angeblich großen Wurf, der nicht mal der kleinste gemeinsame Nenner war, übrig? Gar nichts, hofft die Opposition. Es wäre die vernünftigste Variante".

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE rechnet mit einem parlamentarischen Kuhhandel:

"Die kleine Atempause in der Beratung ist aller Voraussicht nach bloß Teil einer Beschwichtigungsstrategie. Die Kritiker dürfen sich ernst genommen fühlen. Und sie dürfen damit rechnen, dass im Hintergrund das eine oder andere Kompensationsgeschäft angebahnt wird, das am Ende den Ländern die Zustimmung erleichtert", kommentiert die FAZ.

Die LÜBECKER NACHRICHTEN beleuchten noch einmal die Rolle der CSU und ihres Vorsitzenden:

"Wieder ist es Edmund Stoiber, der Sand in das Regierungsgetriebe schüttet. Dabei hat die CSU abgenickt, wogegen sie jetzt ihre Bundestagsabgeordneten in Stellung bringt. Das Verhalten Stoibers ist populistisch, man mag es gar für charakterlos halten. Und doch: Auch wenn seine Motive nicht gerade ehrenwert sind, muss man dem CSU-Chef dankbar sein. Seine neuerliche Eskapade wirft noch einmal ein Licht auf die vielen Ungereimtheiten dieser Gesundheitsreform. Vermutlich wäre es besser, sie träte so nicht in Kraft."

Bundesinnenminister Schäuble von der CDU ist mit seinen Plänen, doch noch den Abschuss von Terroristen gekaperter Flugzeuge zu ermöglichen, auf breite Ablehnung gestoßen. Auch die Zeitungskommentare sind durchweg negativ.

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock beschreibt die Fronten der aufgeregten Debatte:

"Die Opposition läuft Sturm gegen Schäubles neues Luftsicherheitsgesetz. Sie sieht darin gar eine 'Lizenz zum Töten Unschuldiger'. Das mag zugespitzt formuliert sein - doch darf man Unschuldige wirklich opfern, um eine eventuell noch größere Katastrophe zu verhindern? Die generelle Terrorgefahr darf bis heute und auch für Deutschland nicht unterschätzt werden - Grund zum 'Erst schießen, dann fragen!' besteht freilich nicht. So sollten sich auch Innenminister und Bundesregierung ans Urteil des höchsten deutschen Gerichtes halten."

Auch die HEILBONNER STIMME erinnert an die noch frische Entscheidung der Karlsruher Richter:

"Schäuble ignoriert auf besonders dreiste Art die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Dessen Richter haben vor knapp einem Jahr das Luftsicherheitsgesetz gekippt. Bereits das sah - auf Wunsch Schäubles - den roten Knopf vor, der im Notfall gedrückt werden kann, um gekaperte Passagierjets vom Himmel zu holen. Es sei 'schlechterdings undenkbar', heißt es in dem Urteil unmissverständlich, Leben gegen Leben abzuwägen und die Tötung unschuldiger Menschen in Kauf zu nehmen."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG prangert an, Schäuble stelle immer mehr Grundrechte in Frage:

"Die Pläne Schäubles sind der vorläufige Höhepunkt einer gefährlichen Abkehr vom rechtsstaatlichen Polizei- und Strafrecht. Grundrechte gelten dieser neuen Sicherheitspolitik eher als Hindernisse, denn als Wegweiser - siehe Lauschangriff, siehe uferlose Ausweitung der Telefonüberwachung, siehe Vorratsspeicherung von Internet-Daten, siehe biometrischen Personalausweis, siehe heimliche Durchsuchung privater Computer. Es gibt eine gefährliche Tendenz zu einem makabren Satz: Recht ist, was dem Staat nützt. Ein solches Denken hat diabolische Potenz."

Der MANNHEIMER MORGEN vermutet ein ganz anderes Ziel hinter dem Vorstoß des Innenministers:

"Vermutlich geht es Schäuble weniger um das Luftsicherheitsgesetz als um eine insgesamt neue Sicherheitspolitik. Der Innenminister will die Bundeswehr nicht nur bei Hochwasserkatastrophen oder Papstbesuchen im Inland einsetzen können, sondern auch im Kampf gegen den Terror. Für die erforderliche Änderung des Grundgesetzes müsste er die SPD auf seine Seite ziehen, was der alte Polit-Fuchs offenbar nach dem ältesten Prinzip politischen (Ver-)Handelns versucht: möglichst viel fordern, in diesem Fall die Möglichkeit zum Abschuss von Zivilflugzeugen, um am Ende zumindest etwas zu bekommen, in diesem Fall den Bundeswehreinsatz im Inneren."